Arbeit und Recht

Die Stellensuche geht dem Ferienbezug vor – 
auch und gerade während der Probezeit

Urteil des Bundesgerichts vom 16. Mai 2011 (4A_11/2011).

Das Urteil

Einem Arbeitnehmer wurde kurz vor Ablauf der vertraglich vereinbarten Probezeit von drei Monaten mit einer Frist von sieben Tagen gekündigt. Für die restliche Dauer des Arbeitsverhältnisses wurde er freigestellt und die Arbeitgeberin ordnete an, er müsse während der Freistellung die ihm zustehenden Ferien beziehen. Gut einen Monat später reichte der Arbeitnehmer beim zuständigen Arbeitsgericht Klage auf Bezahlung seines Ferienguthabens von fünf Tagen im Betrag von 969.30 Franken ein.

Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Es argumentierte, dass dem Arbeitnehmer der Ferienbezug während der Freistellungszeit möglich gewesen sei. Im Hinblick darauf, dass die Arbeitgeberin mit dem Kläger vor der Kündigung Gespräche über seine ungenügenden Arbeitsleistungen geführt hat, habe er mit einer Kündigung rechnen müssen und entsprechend sei ihm der Bezug während der Freistellungszeit zumutbar gewesen.

Das daraufhin angerufene Obergericht des Kantons Solothurn hingegen hiess die Klage gut. Da der Kläger zwei Wochen nach der Kündigung bereits eine neue Stelle in Aussicht hatte, ging das Obergericht davon aus, dass er sich tatsächlich bereits unmittelbar nach der Kündigung intensiv mit der Stellensuche befasste und entsprechend der Erholungszweck der Ferien nicht gewahrt werden konnte.

Der für eine bundesgerichtliche Beschwerde in Zivilsachen erforderliche Streitwert war nicht erreicht, aber die ehemalige Arbeitgeberin zog das Urteil dennoch weiter, mit dem Argument, es sei falsch, die bundesgerichtliche Rechtsprechung zum Ferienbezug im ordentlichen Arbeitsverhältnis auf die Kündigung in der Probezeit anzuwenden, wobei es sich um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung handle. Das Bundesgericht trat auf diese Beschwerde zwar nicht ein, führte aber dennoch detailliert aus, dass auch während der Probezeit Ferien grundsätzlich tatsächlich bezogen werden müssen und nicht in Form von Geld abgegolten werden dürfen, zumindest soweit der Ferienbezug bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses möglich und zumutbar ist. Wenn aber der Ferienbezug während der Freistellung nicht möglich ist, weil der Arbeitnehmer eine neue Stelle sucht, dann muss der Ferienanspruch ausnahmsweise abgegolten werden.

Konsequenz für die Praxis

Die Grundsätze zum Ferienbezug während der Kündigungsfrist bestehen demnach unabhängig davon, ob die Kündigung während der Probezeit erfolgt oder nicht. Allerdings ist davon auszugehen, dass bei einer sehr kurzen Kündigungsfrist die Stellensuche den Ferienbezug verunmöglicht, während bei einer langen Kündigungsfrist die Stellensuche trotz Ferienbezug möglich ist. Tendenziell sind demnach in der Probezeit Ferienansprüche eher in Geld abzugelten als bei einer Kündigung im ordentlichen Arbeitsverhältnis.

Kommentieren 0 Kommentare HR Cosmos

Yvonne Dharshing-Elser arbeitet als Anwältin in der Steuer- und Rechtsabteilung der OBT AG in Zürich. Sie berät vorwiegend KMU in Fragen des Arbeits-, Vertrags- und Gesellschaftsrechts.

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