Die verborgenen Stärken von KMU

Kleine und mittlere Unternehmen müssen ihre Mitarbeitenden genauso wie Grossunternehmen mit geeigneten Verfahren auswählen, entwickeln, führen, motivieren, beurteilen, entlohnen, allenfalls entlassen und schliesslich in den Ruhestand verabschieden. Dazu stehen jedoch weniger Ressourcen zur Verfügung. Dies zwingt KMU zu neuen Herangehensweisen, von welchen auch Grossunternehmen lernen können.

Grossunternehmen mit 250 oder mehr Beschäftigten machen nur einen Bruchteil aller Unternehmen aus. 99.7% der Firmen in der Schweiz sind KMU (EU 99.8%) und diese beschäftigen zwei Drittel aller Arbeitnehmenden. Aufgrund der vielen Innovationen, welche sie hervorbringen, gelten KMU als Motoren oder Rückgrat der Wirtschaft.

Genau wie grosse Unternehmen müssen KMU alle gängigen Personalmanagement-Aufgaben wahrnehmen. Und da beginnen die Herausforderungen. Denn häufig werden Personalaufgaben von der Geschäftsleitung oder dem Administrationspersonal gestemmt, weil es keine Personalabteilung oder -verantwortliche gibt. Hinzu kommt, dass bei kleinen und mittleren Firmen der relative Einfluss einzelner Mitarbeitender auf das Unternehmensergebnis markanter ist als in grossen Organisationen. Ein Ausfall oder eine unpassende Neuanstellung kann deshalb drastische Folgen haben.

Insbesondere die Suche nach guten Mitarbeitenden ist schwierig geworden, da sich der Arbeitsmarkt in den letzten Jahren von einem Angebots- zu einem Nachfragemarkt entwickelt hat. Unternehmen aus verschiedenen Branchen bemühen sich immer intensiver um gute und spezifisch ausgebildete Fachkräfte. Um diese Leute zu gewinnen, werben grosse Unternehmen häufig mit Karriere- und Weiterbildungsmöglichkeiten, flexiblen Arbeitszeiten und gutem Gehalt. In diesem Wettbewerb können viele KMU nur bedingt mithalten. Nicht selten ist zu beobachten, dass gute KMU-Mitarbeitende abgeworben werden, sich Top-Kandidat*innen in letzter Sekunde für andere Stellen entscheiden oder es gar keine Interessent*innen für Vakanzen gibt.

Der «Integrierte Ansatz»

Diesen Herausforderungen stehen indes besondere Stärken gegenüber: KMU sind im Vergleich zu grossen Unternehmen sowohl organisatorisch als auch von der hierarchischen Struktur her deutlich weniger formalisiert und daher umso flexibler und agiler. Bei Bedarf lassen sich rascher Massnahmen implementieren, ohne langwierige Entscheidungs- oder Vorbereitungsprozesse. Da ausserdem die persönliche Nähe und das Vertrauen zwischen der GL und den Mitarbeitenden tendenziell höher sind, fällt die Aktivierung der Mitarbeitenden beispielsweise für die Entwicklung und Umsetzung von Personalmanagement-Massnahmen leichter, insbesondere, was integrierte Massnahmen angeht. Bei integrierten Massnahmen (siehe Box) werden die «klassischen» Personalmanagementfelder, wie sie in grossen Unternehmen existieren, nicht isoliert voneinander bearbeitet, sondern priorisiert und so weit möglich sinnvoll miteinander verknüpft.

Konkret werden primär Massnahmen für das priorisierte Personalmanagement-Feld entwickelt und nach Möglichkeit so ausgelegt oder angepasst, dass diese auch in anderen Personalmanagement-Feldern Wirkung zeigen. Dadurch verstärkt sich die Wirkung der Aktivitäten insgesamt und betriebsspezifische Potenziale werden optimal ausgeschöpft. Gleichzeitig hält sich durch Synergien bei der Umsetzung der Aufwand in Grenzen. Wurden in einem KMU beispielsweise die einleitend beschriebene Herausforderung der Personalgewinnung priorisiert und Massnahmen zur Steigerung der Arbeitgeberattraktivität entwickelt, kann eine gezielte Anpassung oder Erweiterung der Massnahmen auch in anderen Personalmanagement-Feldern Wirkung zeigen. Sinnvollerweise liessen sich die Massnahmen zur Personalgewinnung und Arbeitgeberattraktivität mit Personalentwicklung, Nachfolgeplanung und Mitarbeitendenbindung kombinieren (vgl. Abbildung 1).

 

Image
KMU-Grafik.png

Gut ausgebildete Fachleute sollten mit interessanten Herausforderungen und Lernmöglichkeiten angesprochen werden. Dazu müssen die Personalentwicklungsmöglichkeiten geprüft und der Zielgruppe angepasst sein. Da externe Weiterbildungen für viele KMU schwieriger zu finanzieren sind, gilt es in erster Linie, interne Entwicklungsmöglichkeiten zu systematisieren und für die Zielgruppe aber auch für die vorhandene Belegschaft aufzubereiten. So wird gleichermassen im Feld der «Personalentwicklung», wie auch im priorisierten Feld der «Personalgewinnung und Arbeitgeberattraktivität» agiert. Wird zudem geprüft, welche Schlüsselpositionen frei werden (beispielsweise infolge Pensionierungen), können die Massnahmen mit wenig Mehraufwand um das wichtige Feld der «Nachfolgeplanung» erweitert werden. Daraus ergeben sich konkrete Entwicklungsperspektiven für Interessent*innen sowie für die Mitarbeitenden der aktuellen Belegschaft, wodurch automatisch auch die «Mitarbeitendenbindung» gestärkt wird. Mit dem Wissen um die Schlüsselpositionen und deren Nachfolger*innen, ist das Unternehmen vor allem langfristig gesehen besser aufgestellt. Mit diversen weiteren Massnahmen innerhalb der Schnittstellen liesse sich die Wirkung der einzelnen Felder weiter verstärken.

Nicht nur KMU profitieren

Auf den ersten Blick ist es eher schwer vorstellbar, dass sich auch Grossunternehmen am «Integrierten Ansatz» für Personalmanagement orientieren können. Angesichts ihrer Bemühungen, sich flexibler, agiler und resilienter aufzustellen, ist dies jedoch nicht ausgeschlossen. Ist es in einem grossen Unternehmen aufgrund der betrieblichen Voraussetzungen unmöglich, integriert vorzugehen und mit priorisierten Massnahmen gleichzeitig in mehreren HRM-Feldern zu agieren, können ebendiese Voraussetzungen und Rahmenbedingungen hinterfragt und wenn möglich und sinnvoll verändert werden. Und zwar so, dass die vorliegenden Einschränkungen reduziert und die Flexibilität und Agilität erhöht werden. Dabei gilt es nicht nur die organisationalen Strukturen, sondern auch die Funktionen und Aufgaben der Mitarbeitenden zu hinterfragen. Denn wenn diese Aufgaben und Funktionen so spezifisch ausgelegt sind, dass es «keinen Platz» für funktionsübergreifende Massnahmen und Aktivitäten gibt, werden tendenziell Flexibilität und Agilität unterbunden. Erhalten jedoch Massnahmen des «Integrierten Ansatzes» auf Unternehmens- und insbesondere auf Bereichs- oder Abteilungsebene Platz, kann man davon ausgehen, dass flexiblere und weniger formalisierte Strukturen kleinerer Unternehmen Einzug halten.

Im Zuge aktueller Entwicklungen wie beispielsweise der Digitalisierung, kommen organisationale Veränderungen auf Grossunternehmen zu, welchen herkömmliche HRM-Konzepte nicht mehr gerecht werden. Daher könnte es für Grossunternehmen von zentraler Bedeutung sein, sich an den Vorteilen zu orientieren, welche bisher nur KMU nutzen konnten.

Definition «Integrierter Ansatz» & Buchtipp:

Image
Buchtipp-kmu.jpg
Beim «Integrierten Ansatz» für Personalmanagement in KMU werden die «klassischen» Felder des Personalmanagements nicht isoliert voneinander betrachtet, sondern so miteinander verknüpft, dass mit überschaubarem Aufwand Synergien genutzt und betriebsspezifische Potentiale ausgeschöpft werden können. Dadurch wird die Wirksamkeit der Aktivitäten weiter verstärkt. Der «Integrierte Ansatz» wurde im Rahmen eines Innosuisse-Projekts (ehemals KTI) entwickelt und in der Praxis erprobt. Er wird im Buch von Pekruhl, Vogel und Strohm (2018) vorgestellt.

Pekruhl, Vogel und Strohm (2018). Integriertes Personalmanagement in kleinen Unternehmen. Ein Praxisratgeber. Wiesbaden: Springer.

 

Kommentieren 0 Kommentare HR Cosmos

Christoph Vogel (M.Sc.) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Personalmanagement und Organisation (PMO) und Studiengangleiter des CAS Integriertes Personalmanagement in kleinen Unternehmen an der Hochschule für Wirtschaft der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW.

Weitere Artikel von Christoph Vogel