Drei neue Mitglieder pro Sekunde
Auf Redaktionsbesuch bei HR Today sprach der LinkedIn-DACH-Chef Till Kaestner über die Marktführerschaft von Xing, seine Aufholjagd sowie Innovationen und Visionen im Social-Media-Eldorado.
Till Kaestner, Chef LinkedIn DACH. (Foto: Marion Bobst)
Herr Kaestner, welche Bilanz ziehen Sie nach einem Jahr an der Spitze von LinkedIn der DACH-Region?
Till Kaestner: Ich bin sehr zufrieden mit dem ersten Jahr: Im September 2013 haben wir vier Millionen Mitglieder in der Region verzeichnet, was einem Wachstum von 35 Prozent innerhalb von zehn Monaten entspricht. Wir haben ausserdem eine Reihe Kunden für unsere beiden Geschäftsbereiche Marketing- und Recruiting-Lösungen gewinnen können. In der Schweiz gehören dazu unter anderem ABB, Credit Suisse, Nestlé und Novartis. Unser Büro in München ist mittlerweile auf zwölf Mitarbeiter gewachsen.
Googelt man Ihren Namen, erscheint an allererster Stelle Ihr Xing-Profil. Wie stehen Sie eigentlich persönlich zur Hauptkonkurrentin Xing?
Ich war sowohl auf LinkedIn als auch auf Xing eines der ersten Mitglieder. Für mich ist es interessant, die Entwicklung beider Netzwerke zu beobachten – wie ich übrigens auch den Aufstieg von Facebook und WhatsApp mit grosser Faszination verfolgt habe.
Im DACH-Raum ist Xing in der Leaderposition, hat im Januar die 7-Millionen-Grenze geknackt und liegt damit rund 3 Millionen Profile vor LinkedIn. Was macht Xing besser?Ist Xing denn besser?
Da ich nicht der Geschäftsleiter von Xing, sondern von LinkedIn bin – und Herrn Vollmoeller auch seine Position nicht streitig machen will –, beantworte ich gerne Fragen zu LinkedIn.
Zur Person
Till A. Kaestner ist seit gut einem Jahr als Geschäftsleiter für LinkedIn Deutschland, Österreich, Schweiz (DACH) tätig, wo er neben der Umsetzung der Unternehmensstrategie insbesondere die Wachstumsinitiativen in der DACH-Region verantwortet. Till Kaestners berufliche Stationen umfassen neben T-Mobile und Trust Group Multimedia auch die Job-Plattform Monster Worldwide. Kaestner studierte Architektur an der TU Darmstadt. Er hat vier Kinder und ist begeisterter Motorradfahrer und Segler.
Wie positionieren Sie sich gegenüber Xing?
Wir bieten drei Vorteile für Mitglieder und Recruiter. Erstens: die Nutzerbasis. LinkedIn hat mehr als 277 Millionen Mitglieder weltweit, mehr als 65 Millionen in Europa, davon mehr als vier Millionen Nutzer in der DACH-Region. Pro Sekunde kommen weltweit drei neue Mitglieder dazu. Zweitens: Jedes DAX-Unternehmen ist bei uns vertreten, insgesamt haben drei Millionen Unternehmen ein Profil bei uns. Drittens: Unsere Mitglieder sind sehr aktiv. 5,7 Milliarden Mal haben LinkedIn-Mitglieder im letzten Jahr unsere Suchfunktionen genutzt, um Arbeitgeber und Kollegen, Kunden, Jobkandidaten und berufliche Informationen zu finden. Unsere Talent Solutions machen LinkedIn zu einer wertvollen Recruiting-Plattform für neue Mitarbeiter, und über unsere Marketing- und Vertriebslösungen lassen sich neue Kunden erschliessen.
Dennoch: LinkedIn und Xing werden ähnlich wahrgenommen. Hat es Platz für zwei professionelle Netzwerke?
Wir schätzen, dass die DACH-Region eine Zielgruppe von circa 25 Millionen Fach- und Führungskräften bietet. Das heisst, bei vier Millionen LinkedIn-Mitgliedern in der Region besteht ein grosses Wachstumspotenzial im Gegensatz zu Märkten wie beispielsweise den Niederlanden, wo bereits 90 Prozent aller Fach- und Führungskräfte bei LinkedIn sind.
Würde es Sie reizen, Xing zu kaufen?
Nein. Ich bitte um Verständnis, dass wir als börsennotiertes Unternehmen hierzu nicht weiter Stellung nehmen.
Gerade in HR-Kreisen scheint eine gewisse «Social-Media-Müdigkeit» wahrnehmbar zu sein. Täuscht der Eindruck oder hat der Social-Recruiting-Hype in der Zwischenzeit seine Klimax erreicht?
Ich habe eher den Eindruck, dass wir erst am Anfang des Social-Recruting-Trend stehen. Die Nutzung von Online-Businessnetzwerken bei der Suche nach den richtigen Kandidaten für Schlüsselpositionen steigt: Laut unserer im Juli 2013 erschienen Studie «Global Recruiting Trends» zählen für 37 Prozent der Recruitingbeauftragten diese Netzwerke zu den wichtigsten Quellen für hochqualifizierte Mitarbeiter. Noch 2012 war der Kanal für weniger als ein Viertel der Personalbeschaffer relevant und musste sich klar von Stellenbörsen im Internet (2012: 60 Prozent, 2013: 34 Prozent) und der eigenen Karrierewebseite geschlagen geben (2012: 32 Prozent, 2013: 29 Prozent). Social Media liegt damit im weltweiten Trend, denn auch international bewerten 37 Prozent der Personaler Online-Businessnetzwerke als wichtigen Rekrutierungskanal.
Stichwort Zeitmanagement: Neben dem Online- haben wir auch noch ein Offline-Leben. Wie gehen Sie persönlich mit dieser Vielfalt um?
Indem wir das Beste aus beiden Welten vereinen. Ich habe mein erstes Handy Ende der 90er Jahre gekauft – das war damals eine Revolution, und hat Verabredungen und das Kontakthalten mit Geschäftspartnern und Freunden enorm vereinfacht. Gleichzeitig fingen damals schon die Bedenken an, dass der Mensch dadurch ständig erreichbar ist. Social Media ist für mich eine Erweiterung dieses Trends und hat gute und schlechte Seiten. Das effiziente Management ist zugegebenermassen nicht immer ganz einfach, aber ich bin trotzdem froh über die Einfachheit, mit der ich mein Leben dank moderner Technik managen kann – schalte aber auch gerne alle Geräte ab, wenn ich mit meinen Töchtern und meiner Frau zu Hause bin.
Sie haben mehrere Jahre bei Monster gearbeitet, kommen also von einer Jobplattform her. Hand aufs Herz: War LinkedIn nicht immer schon quasi «über die Hintertür» als verkapptes Jobportal konzipiert worden?
LinkedIn war noch nie als Jobportal konzipiert. Wie unsere kürzlich erschienene Studie «Talent Trend» ergeben hat, sind nur 11 Prozent unserer Mitglieder aktiv auf der Suche nach einer neuen Stelle. Der Rest sind sogenannte passive Kandidaten, die bereits eine gute Stelle haben – allerdings ist jeder zweite davon wechselwillig, wenn ihr oder ihm ein interessantes Angebot gemacht wird. Es geht also auf LinkedIn darum, diese Fach- und Führungskräfte gezielt anzusprechen. Auf Jobanzeigen werden sie nicht antworten.
Das Kandidaten-Sourcing ist eine der grossen Spezialitäten von LinkedIn. Allerdings genügt dies in der Praxis nicht, um ein gutes Profil zu finden. Eine Unterhaltung bleibt unerlässlich. Wird LinkedIn eines Tages auch Kandidatengespräche führen?
LinkedIn bietet im Bereich Recruiting weitreichende Möglichkeiten, national und international unter unseren 277 Millionen Mitgliedern passive und aktive Kandidaten zu finden. Unser Angebot umfasst im Kern die Vermittlung von Kandidaten. Gleichzeitig bieten wir Employer-Branding-Lösungen, zum Beispiel unsere Unternehmensseiten, mit denen sich Firmen darstellen und die Kontaktaufnahme mit Kandidaten erleichtern können. Aber wir werden nicht die Funktion der HR-Abteilung übernehmen, Kandidaten auszuwählen und einzustellen.
LinkedIn hat kürzlich für 120 Millionen Dollar die Firma Bright gekauft, ein Unternehmen, das sich auf das Matching von Kandidatenprofilen und Stellenangeboten spezialisiert hat. Welchen Impact hat diese Akquisition für Ihren Recruiting-Service von LinkedIn?
Das Team von Bright hat eine interessante Technologie entwickelt, die den Datenabgleich auf Basis von sich selbst optimierenden Algorithmen vereinfacht. Wir planen, diese Technologie unter anderem für unsere Rubrik «Stellen, die Sie vielleicht interessieren» und in den LinkedIn-Jobvermittler zu integrieren. Ziel ist, passive Kandidaten und potenzielle Arbeitgeber in Zukunft noch effizienter und schneller zu verknüpfen. Insofern werden wir unseren Recruiting-Kunden verbesserte Lösungen anbieten, mit denen sie nach Fach- und Führungskräften auf LinkedIn suchen können.
Mit welchen neuen Produkten können Recruiter in nächster Zeit rechnen? Welche Neuigkeiten gibt es von der E-Recruiting-Front?
Der LinkedIn Recruiter ist eine umfassende Suchmaschine, die – seit 2012 auch auf Deutsch – Zugriff auf LinkedIns weltweit 277 Millionen Mitglieder bietet. Suchparameter wie Ort, Branche, Firmengrösse, Dauer der Firmenzugehörigkeit, Jahre an Berufserfahrung, Position und Ausbildung ermöglichen das schnelle Eingrenzen der Recherche auf die relevantesten Kandidaten, bevor diese kontaktiert werden. Die Recruiter-Lösung gibt es übrigens auch für mobile Geräte. Unser Credo ist es, durch Innovation zu wachsen. Sie können also sicher sein, dass wir auch dieses Jahr wieder ein paar spannende neue Produkte für HR-Fachkräfte vorstellen werden.
Stichwort Mobile-Strategie: Können Sie konkrete Projekte in Aussicht stellen?
Weltweit kommen 41 Prozent unseres Traffics über mobile Geräte. Wir bieten LinkedIn für alle Betriebssysteme und damit für alle Varianten von Smartphones und Tablets an. Wir haben beispielsweise festgestellt, dass sich das Nutzungsverhalten zwischen Handy und Tablet unterscheidet: Während man das Tablet am Frühstückstisch eher benutzt, um Artikel und Neuigkeiten aus dem Netzwerk zu lesen, wird die LinkedIn-App auf dem Smartphone dazu verwendet, neue Kontakte zu seinem Netzwerk hinzuzufügen oder Informationen über Mitglieder abzurufen, bevor man diese persönlich trifft. Wir bieten ausserdem für unsere Mitglieder die Funktion «Apply with Mobile», mit der man sich mit seinem LinkedIn-Profil zum Beispiel am Montagmorgen bequem von der Bushaltestelle aus auf eine Stelle bewerben kann. Für Unternehmenskunden gibt es dafür das Produkt «Recruiter Mobile», das HR-Fachleuten eine mobile Rekrutierungslösung bietet. Kurz gesagt: Mobile ist zentral für unsere Strategie.
Wie wird sich LinkedIn in 5 Jahren präsentieren?
Als börsennotiertes Unternehmen können wir leider keine Voraussagen für die Zukunft treffen. Wenn wir zehn Jahre und mehr in die Zukunft blicken, würden wir gerne den sogenannten «Economic Graph» umsetzen: Wir möchten weltweit aufzeigen, welche Verbindungen zwischen Fach- und Führungskräften und deren Fachwissen einerseits und Unternehmen und deren Jobangeboten andererseits bestehen, und daraus globale als auch lokale ökonomische Trends in Echtzeit ablesen. Das ist eine unserer Visionen, wobei bereits heute beinahe die Hälfte der von uns weltweit geschätzten 600 Millionen Fach- und Führungskräfte Mitglied bei LinkedIn sind.