Im Gespräch

«Ein Hobby von mir ist ausschlafen. Ausschlafen ist der Himmel!»

Nehmen Sie Ihre Hobbys – oder sogar schon Ihre Freunde – wie abzuhakende Agendatermine wahr? Dann ist es höchste Zeit für «Mañana-Kompetenz». Dieser Begriff bezeichnet die Fähigkeit, aus der Anspannung in die Entspannung zu switchen. Die Psychologin Maja Storch, die den Begriff geprägt hat, sagt, wie das funktioniert.

Frau Storch, in Ihrem Buch «Die Mañana-Kompetenz» geht es um eine neue Definition von Work-Life-Balance. Mañana ist spanisch und bedeutet morgen. Heisst das, wenn ich alles, was ich heute nicht mehr schaffe, auf morgen verschiebe, ist mir schon geholfen?

Maja Storch: (Lacht.) Nein. Der Titel ist natürlich frech gewählt, aber so einfach ist es nicht. In unseren Kursen zum Thema Selbstmanagement landen oft Menschen, die effizienter werden wollen. Bei denen stapeln sich Papiere auf dem Schreibtisch und quillt die Mailbox über, und in ihnen formt sich der Wunsch, mehr in kürzerer Zeit schaffen zu wollen. In unserem Kurs nehmen wir diesen Wunsch der Menschen aber nicht unhinterfragt als reine Wahrheit. Denn die bewusste Absicht entspricht oft nicht den unbewussten Bedürfnissen. Oft besteht unbewusst überhaupt nicht der Wunsch nach Effizienz, sondern nach Ruhe und Erholung. Und daraus bauen sich die Menschen bei uns im Kurs ein neues Lebensmotto, das bewusste Absicht und unbewusste Bedürfnisse koordiniert. Sie lernen dann vielleicht nicht, effizienter zu arbeiten, sondern Sachen liegen zu lassen. Mañana eben.

Menschen kommen zunehmend in solche Situationen, die Zahl der psychischen Erkrankungen und Burnouts nimmt stetig zu. Ist das System falsch?

Grundsätzlich ja. Mein Mitautor, Gunter Frank, ist Arzt und auf Führungskräfte spezialisiert. Er bemerkt seit einigen Jahren, dass die Idee von der Work-Life-Balance völlig gekippt ist. Die Leute absolvieren den Freizeitanteil auch noch im so genannten Sympathikusmodus (siehe unten): Sie müssen ein guter Familienvater und Liebhaber sein, einen Sixpack und auch noch ein tolles Hobby haben. Wenn Sie sich in einer internationalen Firma in gehobener Position bewerben, können Sie nicht als Hobby «schlafen» angeben.

Wer hat schon schlafen als Hobby ...

Na ich. Für ein Magazin habe ich einmal in einem Fragebogen als Hobby schlafen hingeschrieben. Da kamen viele E-Mails von Leuten, die das lustig fanden. Aber es ist so. Ein Hobby von mir ist ausschlafen. Ausschlafen ist der Himmel!

Inwiefern kann man denn Work-Life-Balance missverstehen?

Heute betreiben die Leute ihre Hobbys wie Termine. Sogar Freunde verkommen so zu Terminen im Kalender, die auch noch bedient werden müssen. Man müsse doch seinen Freundeskreis pflegen, sagte ein Besucher eines Vortrags von mir letztens. Wenn ich das schon höre! Jemand, der seine Freunde pflegen muss, hat eine weitere Pflicht und wieder keine Entspannung. So kann niemand seine Batterien wieder aufladen.

Ihrer Ansicht nach merken viele Menschen gar nicht, dass sie verlernt haben, zu entspannen. Wie bringt man denen die Mañana-Kompetenz näher?

Es gibt zwei Sorten Menschen, die mehr auf sich achten sollten. Die eine Sorte merkt bereits, dass es ihr nicht mehr so ganz gut geht. Die erreichen wir recht leicht. Die andere Gruppe ist euphorisch vom dauernden Erfolg, im Dopaminrausch. Die fühlen sich eigentlich wohl und sind schwer zu erreichen, weil sie momentan keinen Leidensdruck haben. Auf Dauer bekommen die männlichen Mitglieder dieser Gruppe aber häufig Erektionsstörungen. Und das ist dann ein ganz empfindlicher Punkt! Mein Co-Autor hat immer mehr Männer um die 40 in seiner Sprechstunde, die nach Viagra fragen. Das sind fast nie organische Probleme, sondern Menschen, die nicht mehr in den Parasympathikusmodus umschalten können: Sie haben verlernt, sich zu entspannen. Bei diesem Thema werden immer alle ganz wach. Natürlich gibt es vorher noch andere Symptome.

Welche?

Stress und Gereiztheit. Manche werden auch krank, sobald sie relaxen. Das sind alles Auffälligkeiten, bei denen man wach werden sollte. Und wenn man das einmal kapiert hat, geht es darum, den Parasympathikus zu aktivieren. Und da begegnen wir einem grossen Irrtum. Der lautet, alle Menschen können ihren Parasympathikus auf dieselbe Art aktivieren.

Wie denn?

Wir haben alle Bilder im Kopf, wie Entspannung auszusehen hat. Wellness, stille Klöster und so weiter. Aber manche Menschen laufen Amok, wenn sie im Kloster tagelang in der Stille sitzen müssen. Solche Menschen haben einen starken Aktivitätsdrang. Die entspannen eben anders. Oft führen solche unterschiedlichen Präferenzen auch zu Streit in Beziehungen. Sie findet, er soll in den Ferien doch auch einfach mal am Strand liegen. Es gibt aber Menschen, die dann noch gestresster als vorher sind.

Kann man das Liegen oder Sitzen in der Stille nicht üben?

Bei Mañana wird nicht geübt. Überhaupt nicht. Für einmal geht es nicht darum, sich anzustrengen, sondern einfach zu akzeptieren, wie man eben ist. Die Kunst besteht darin, selbst herauszufinden, was man zum Entspannen braucht, und den Mut zu finden, das gegen andere zu schützen und zu vertreten.

Sie rufen zu einem Paradigmenwechsel im Unternehmen auf. Wie soll das gehen?

So etwas wie eine Mañana-Kultur muss immer top-down eingeführt werden. Wir kennen etliche Unternehmen, die vorbildliche Ruheräume eingerichtet haben, wo ein Masseur bereitsteht. Und wer nutzt das? Niemand. Kein Angestellter zu entdecken. Warum? Weil der Chef das nicht vormacht. Wenn Sie eine Mittagsschlafkultur einführen wollen, dann muss der Chef das vormachen. Sonst traut sich keiner.

Was mache ich mit meinem Chef, der 
Mañana für eine schlechte Idee hält?

Bei einem Chef, der selbst im Dauersympathikus-Modus sirrt und der Sie mit ihrem Mañana-Anliegen für ein Weichei oder einen Sitzpinkler hält, würde ich mich auf Dauer nach einem anderen Arbeitsplatz umsehen. Das muss sich doch keiner antun. 

Wie lange dauert es noch, bis das in den Unternehmen ankommt?

Der Leidensdruck, der durch den demografischen Wandel entsteht, arbeitet da klar zugunsten unseres Anliegens. Wir müssen mit den vorhandenen Alten immer länger auskommen, und das geht nur, wenn man die gesund erhält.

Warum passiert das im Moment noch eher selten?

In den Führungsetagen sitzen vorwiegend Männer, und das Thema Mañana gilt immer noch als Weichei-Thema. Das ist einfach so. Aber wie gesagt, auch die werden irgendwann von der Realität eingeholt. Je härter der Ton und je härter jemand mit sich umgeht, desto sicherer kann man davon ausgehen, dass dessen Erektionsfähigkeit gestört ist. Ein funktionsfähiger Mann macht sein Mittagsschläfchen!

Das würden sicher nur wenige zugeben ...

Richtig. Da rauszukommen, ist ganz schwer. In Männerkreisen wird leider ein falsches Bild von Männlichkeit propagiert.

Wie steht es eigentlich um die Frauen?

Was bei Männern das falsche Bild von Männlichkeit ist, ist bei Frauen das Pflichtbewusstsein. Die Zerrissenheit zwischen Mutter sein und Karriere machen. Für die Kinderlosen gilt im Job immer noch das Motto, fünfmal so gut sein zu müssen wie die Männer. Es herrscht ein irrsinniger Perfektions- und Leistungsanspruch. Das stellt den Frauen das Bein.

Was, wenn Mañana in meinem Unternehmen nicht möglich ist?

Wenn Sie sich auflehnen und das nichts nützt, können Sie ruhig subversiv werden. Es geht darum, in einem überlebensfeindlichen System zu überleben. Ich rate dazu, einfach mit halber Kraft voraus zu arbeiten. In Zeiten, wo teilweise dermassen an Personal gespart wird, dass man das nur noch als Ausbeutung bezeichnen kann, muss der Einzelne ja anfangen, das Unternehmen auszunutzen. Irgendwann ist die eigentlich vorhandene Leistungsbereitschaft ausgereizt, und jeder muss schauen, wie er überleben kann. Zum Glück gibt es aber nicht nur die Cowboy-CEOs. Wir kennen tolle Beispiele von Unternehmen, die versuchen, mehr dieser wichtigen Kompetenz in die Firmen zu bringen.

In Ihrem Buch beschreiben Sie, wie auch gewisse Worte dazu führen können, dass wir uns ungesund verhalten ...

Absolut. Was viele Leute nicht wissen, ist,  dass das Unbewusste mit einer Bildersprache arbeitet, die eng an Körperreaktionen gekoppelt ist. Wenn wir also ein Wort aussprechen oder denken oder hören, wird es sofort bebildert und mit körperlichen Begleiterscheinungen versehen. Die Bedeutung von Worten wird körperlich verstanden. Und für das Mañana-Thema ist vor allem ein Wort besonders schädlich: schnell. Ich mach dir schnell ne Kopie, ich schicke dir schnell ein Fax. Das sagen wir ja oft und erzeugen dadurch permanenten latenten Stress. Es reicht doch, zu sagen: Ich schicke dir ein Fax. Es dauert eben so lange, wie es dauert.

Woran merke ich, dass ich die Mañana-Kompetenz habe?

Sie können willentlich in einen Zustand von Behaglichkeit wechseln. Das kann man lernen, ich übe zum Beispiel gerade den Kurzschlaf, den die Japaner praktizieren. Und sobald man das beherrscht, merkt man, wie viel energiegeladener man seine Aufgaben erledigen kann. Ich werde oft gefragt, wie ich es schaffe, ein bis zwei Bücher im Jahr zu schreiben, Seminare zu geben und so weiter. Meine Antwort lautet: weil ich ausreichend faul bin. Ich kann in kürzerer Zeit mehr leisten, weil meine Batterien voll sind. Und wenn sie leer sind, gehe ich in den Mañana-Zustand. Bei einem Leistungsabfall ist es das Falscheste, einfach weiterzumachen. Dann sollte man faules, unnützes Zeugs machen.

Und die viel propagierte Selbstdisziplin?

Selbstdisziplin heisst ja, etwas mit Zwang und Druck und schlechten Gefühlen zu machen. Wenn Sie gut mit Ihren Energien haushalten, brauchen Sie gar keine Selbstdisziplin mehr. Das Gleiche gilt für das schlechte Gewissen, das sich viele machen, wenn sie nicht dauernd leisten. Da braucht es einen Einstellungswandel, und das kann jeder lernen.

Maja Storch (53) ist Diplompsychologin und Psychoanalytikerin. Sie arbeitet als Projektleiterin von ZRM research an der Universität 
Zürich und ist Inhaberin des Instituts für Selbstmanagement und Motivation Zürich (ISMZ GmbH), eines Spin-offs der Universität Zürich. Storch ist Autorin zahlreicher Bücher und hält regelmässig Vorträge zum Thema Selbstmanagement. Sie lebt in Süddeutschland.

(Para-)Sympathikus und Dopamin

Der Sympathikus ist ein Teil des vegetativen Nervensystems, der vor allem jene Körperfunktionen mit Reizen versorgt, die den Körper in erhöhte Leistungsbereitschaft versetzen und den Abbau von Energiereserven zur Folge haben. Er ist der Gegenspieler des Parasympathikus, der vorwiegend jene Körperfunktionen steuert, die der Regeneration des Organismus und dem Aufbau von Energiereserven dienen. Dopamin ist ein Neurotransmitter, den das Belohnungssystem des Gehirns ausschüttet und der gute Gefühle verursacht.

Linktipp

Unter www.manana-kompetenz.de finden Sie 
einen Test, mit dem Sie herausfinden können, welcher Mañana-Typ Sie sind und wie Sie sich am besten in den Entspannungszustand versetzen können.

Buchtipp

Gunter Frank, Maja Storch: Die Mañana-Kompetenz. Entspannung als Schlüssel 
zum Erfolg. Piper Verlag 2010. Taschenbuch

Kommentieren 0 Kommentare HR Cosmos
Weitere Artikel von Stefanie Zeng