Porträt

Eine Eislaufprinzessin auf Abwegen

Sie tanzt übers Eis, will Englischlehrerin werden, versucht sich als Bankerin. Auf dem Weg, Professorin zu werden, bleibt Pia Tischhauser in der Unternehmensberatung hängen und ist heute so leidenschaftlich dabei wie am ersten Tag.
 

Mir wird ein Energiebündel angekündigt, es kommt ein Wirbelwind. In Anbetracht ihres Arbeitspensums und ihrer Reisetätigkeit könnte man auch eine etwas müde und blasse Gesprächspartnerin erwarten. Doch mir gegenüber sitzt frisch und lebendig am späten Montagnachmittag ein Powerpaket namens Pia Tischhauser. Als Partnerin und Managing Director bei The Boston Consulting Group (BCG) ist sie viel unterwegs, doch heute hat sie organisiert, in Zürich zu sein, und nimmt sich Zeit für ein Gespräch.

Erst vor einigen Tagen ist sie von einem Kunden in Asien zurückgekehrt. Ihre Aufgaben führen Pia Tischhauser auch regelmässig nach London und in die USA. Letztes Jahr leitete sie ein Projekt in Saudi-Arabien, drei Monate lang, jeweils zwei bis drei Tage die Woche verbrachte sie beim Kunden.

Die 38-Jährige ist bei BCG verantwortlich für den Bereich Versicherung. Doch so, wie sie jetzt selbstbewusst durch die Welt jettet, war es nicht immer. «Für mein erstes Projekt reiste ich alleine nach Brasilien», erinnert sie sich. «Mit einer nagelneuen Kreditkarte, die ich nicht vorher ausprobiert hatte, und natürlich funktionierte sie nicht. Das war ein Anfängerfehler.»

Sie kommt nach ihrem MBA 1998 zu BCG, «aber nicht mit der Idee, 13 Jahre zu bleiben», lacht Tischhauser und wirft ihren Kopf nach hinten. Ihre blonde Mähne hat sie in einem Pferdeschwanz gebändigt. Sie trägt ­einen klassischen schwarzen Hosenanzug, weisse Bluse. Geschmückt ist sie dezent mit einer Perlenkette und passenden Ohrringen. Vielleicht wirkt Pia Tischhauser so frisch, weil sie es schafft, auch ihre persönlichen Bedürfnisse nicht zu vernachlässigen. Die begeisterte Snowboarderin braucht regelmässige Auszeiten in Eis, Schnee und Kälte. Auch Temperaturen um die minus 15 Grad machen ihr nichts aus. Sie verbringt ihre Wochenenden im Engadin, welches sie erst heute Morgen mit dem ersten Zug verlassen hat.

Schafe, Wasser und Wirtschaftswissenschaften

Bis zum Alter von 14 Jahren will Pia noch Eiskunstläuferin werden. Jede freie Minute verbringt das Mädchen auf Schlittschuhen und sieht sich als künftige Eislaufprinzessin. «Davon habe ich wirklich geträumt», erzählt Pia Tischhauser und fügt selbstkritisch hinzu: «Aber irgendwann habe ich festgestellt, ich bin nicht gut genug darin. Trotz aller Leidenschaft. Und bald wurden dann auch andere Dinge wichtig», zwinkert sie.

Es liegt ihr im Blut, ständig etwas Neues zu wagen. Heute noch will sie manchmal mit dem Kopf durch die Wand, sie will nicht lange überlegen, sondern Dinge in Bewegung bringen. Sie agiert oft nach dem Motto: «Don’t ask for permission, ask for forgiveness.» Und wenn jemand ihre Idee nicht gut findet, leidet sie. «Ich verwende dann sehr viel Energie darauf, Überzeugungsarbeit zu leisten und alle mit im Boot zu haben», sagt sie und gibt zu: «Es nicht allen recht machen zu können, fällt mir ab und zu schwer.»

Tischhauser spricht akzentfreies Hochdeutsch und könnte ihre Schweizer Heimat glatt leugnen. Doch sie ist heimatverbundener, als es zuerst den Anschein hat. Sie wächst mit einem Bruder und einer Schwes-ter in Birchwil auf, einem kleinen Ort zwischen Zürich und Winterthur. Die Mutter ­arbeitet bei der Swissair, der Vater ist im Aussendienst. «Von ihm habe ich wohl die grundsätzliche Freude an Menschen. Bei uns waren immer Leute. Berufliche Kontakte und Freundschaften gingen auch ineinander über.»

Die Mutter hat sie stets ermutigt: «Geht hinaus in die Welt. In der Schweiz könnt ihr noch früh genug bleiben.» Dies fällt bei Pia auf fruchtbaren Boden. Für sie sind die täglichen Fahrten zum Gymnasium nach Winterthur die ersten Schritte in die «grosse Welt». Als Teenager absolviert sie einige Sprachaufenthalte in England, entwickelt eine regelrechte Affinität zu der Sprache. Spätestens als sie mit 17 im Schüleraustausch einige Monate in Australien verbringt, steht fest: Anglistik soll es sein. Lehrerin will sie werden.

Auf einer Farm am Ende der Welt, mitten im australischen Nichts, kommt die junge Frau zudem das erste Mal mit Wirtschaft in Berührung. «Die Farmer rechneten jeden Tag, jeder Tropfen Wasser für die über 1000 Schafe war knapp kalkuliert», und die junge Frau bekommt Lust, mehr darüber zu erfahren, was die Weichen für ihr Studium der Wirtschaftswissenschaften und Anglistik an der Universität Bern stellt. Als sie später in Chicago ein MBA-Programm absolviert, erhält sie das Angebot, beruflich in den USA zu bleiben. Eine wichtige Lebensentscheidung für die damals 25-Jährige. «Ich hatte mich gerade in einen Amerikaner verliebt und die Entscheidung lag eigentlich auf der Hand.» Doch entgegen aller Erwartungen geht sie zurück in die Heimat. Für sie ist es der schwerere Weg, in der Schweiz wieder Fuss zu fassen. Aber bereut hat sie es nie. «Ich liebe die USA und ich liebe England, und im Moment habe ich sogar beides. Wer hätte das damals gedacht?»

In den USA gilt die Schweizerin als Engländerin

Zwei bis drei Tage die Woche arbeitet Tischhauser in London, betreut dort wichtige Kunden aus der Versicherungsbranche. England und Tischhauser, das ist nicht mehr voneinander zu trennen. Den amerikanischen Akzent hat sie mittlerweile abgelegt, spricht feinstes British English. «Wenn ich jetzt in die USA reise, werde ich als Engländerin gesehen.»

Ihr Handy klingelt. Tischhauser nimmt an, schaltet blitzschnell auf Englisch um und bittet den englischen Gesprächspartner, später nochmals zu telefonieren. Dann erzählt sie weiter von sich und ihrer Arbeit und warum sie sich bei BCG irgendwie zu Hause fühlt. «Das Schöne ist», sagt sie, «dass kein Tag dem anderen gleicht. Wo bin ich heute in drei Tagen? Ich weiss es nicht. Ist das nicht wunderbar?» Was andere Menschen aus der Bahn werfen würde, ist für sie eine willkommene Herausforderung. Und macht eines klar: Die Beraterin lebt im Hier und Jetzt. Sie schätzt, nutzt und geniesst den Augenblick.

Tischhauser hat ihr Leben fest durchorganisiert, ist aber trotzdem flexibel geblieben. Am Wochenende geschieht vieles einfach nach Lust und Laune. Denn dann ist auch Zeit für den Lebenspartner. «Einfach ist es oft nicht», räumt Tischhauser ein. «Ohne sein Verständnis ginge es nicht.» Doch glücklicherweise gibt es viele Gemeinsamkeiten, vom beruflichen Engagement bis hin zur Sportbe-geisterung (auch er liebt die Piste). Unter der Woche müssen sich beide schon einmal einen Termin reservieren, um sich zu sehen. «Aber das Wochenende gehört ganz uns. Wenn ­einer das Arbeiten dennoch nicht lassen kann, gilt die eiserne Regel: Nicht vor Sonntag 18 Uhr.»

Eine ganze Woche im Büro? Gibt es nicht!

Tischhauser arbeitet in einer Männerdomäne. BCG Schweiz zählt 18 Partner in der Chefetage – mit ihr als einziger Frau. BCG ist international tätig und eng vernetzt. So wird sichergestellt, dass jeweils das nötige fachliche, regionale sowie kulturelle Know-how in ein Projekt einfliessen kann. «Wer als Berater arbeitet, muss Zahlen lieben», so Tischhauser, «und sehr faktenbasiert denken können.»

Während ihres Studiums findet sie immer mehr Freude an Statistik und Zahlen, jetzt denkt sie über eine Professorenlaufbahn nach. Doch es kommt anders und sie erobert sich ihren Platz in der Unternehmensberatung. Seit mehr als fünf Jahren ist sie Partnerin und Managing Director. «Es wird immer noch automatisch angenommen, dass der Mann der Chef ist, vor allem wenn er älter ist und graue Haare hat», berichtet Tischhauser. «Es gab Situationen, da wurde ich richtiggehend übergangen, als zu Beginn Visiten­karten ausgetauscht wurden. Umso mehr ­geniesse ich den Moment, die Reaktionen zu sehen, wenn ich von unserer Seite das ­Meeting eröffne.»

Was sie antreibt, ist die Interaktion mit dem Kunden. «In meiner ganzen BCG-Geschichte gibt es wohl keine einzige Woche, in der ich jeden Tag im Büro war.» Natürlich ­haben Kunden auch schon versucht, die en­gagierte Frau für ihr Unternehmen zu gewinnen. Doch solchen Angeboten widersteht sie bisher tapfer. «Ein CEO-Posten war schon sehr verlockend», gibt sie zu. «Da hätte ich einen richtigen Status gehabt, da ist man nicht nur Heinzelmännchen im Hintergrund. Und meine Eltern wären stolz und wüssten endlich mal, was ich tue.» Aber sie weiss auch, dass sie die Kultur und Abwechslung bei BCG vermissen würde. «Man hat nur in wenigen Unternehmen die Chance, immer wieder etwas Neues zu lernen, neue Verantwortung zu übernehmen. Das ist für mich echter Luxus und das, was mich immer gereizt hat.»

Materielle Werte sind Tischhauser nicht wichtig, obwohl sie sich vieles leisten könnte, wenn sie wollte. Nur ihre Liebe zu England lässt sie sich etwas kosten. Gerade hat sie sich im bunten, aufstrebenden Londoner Viertel White Chapel ein Apartment gekauft. Weil sie diesem Land so schnell wohl nicht den Rücken kehren wird.

Sehnsucht nach Ruhe? Sehnsucht nach Familie? Die hat sich noch nicht eingestellt. «Irgendwie hat sich bei mir das Baby-Gen noch nicht bemerkbar gemacht. Meinen Job dann aufzugeben, kann ich mir nicht vorstellen.» Wenn es so weit ist, ist ihr sicher zuzutrauen, Beruf und Kind unter einen Hut zu kriegen. «Und wenn sich der Kinderwunsch nicht meldet, ist es okay.» Sie lebt eben im Hier und Jetzt.

Kommentieren 0 Kommentare HR Cosmos
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