Auf den ersten Blick fällt ihr weisses Haar auf, das sie als Pagenkopf trägt und das mit der Sonne um die Wette glänzt, auf den zweiten Blick sind es die stahlblauen Augen, die Offenheit und Wärme verheissen. Es ist ein strahlender Sommermorgen in Zürich, und von ihrem Büro im Stadthaus aus kann Claudia Cuche-Curti sehen, wie die Betriebsamkeit der Stadt erwacht.
Zürich und Claudia Cuche-Curti, das gehört zusammen wie der Wind und das Meer, der Himmel und die Sterne. Die gebürtige und passionierte Zürcherin hat mit ihrer Funktion als Stadtschreiberin genau die richtigen Aufgaben gefunden. «Manchmal könnte ich die ganze Stadt umarmen», sagt Cuche-Curti, als wir über die Münsterbrücke gehen, mit Blick auf Züris Wahrzeichen, das Grossmünster. Während hinter uns bereits die Touristen das Panorama bestaunen, erklärt sie, was eine Stadtschreiberin so macht.
Als Stabschefin des Stadtrates bereitet sie alle Sitzungen des Stadtrates vor, die wöchentlich am Mittwoch stattfinden. Pro Sitzung müssen rund 30 bis 70 Beschlussvorlagen gelesen und aufbereitet werden, weshalb für Cuche-Curti die Sitzungsvorbereitung bereits am Freitag der Vorwoche beginnt. Während der Sitzung notiert sie, welche Beschlüsse angenommen, zurückgestellt oder korrigiert werden müssen. «Das geht alles ziemlich schnell, und ich muss höllisch aufpassen. Bei der Beschlusslage des Stadtrates darf mir kein Fehler unterlaufen, denn nach mir gibt es
keine Sicherheitsstufe mehr.»
Cuche-Curti sitzt an der Züri-Zentrale, dort, wo wichtige Entscheidungen für die Stadt getroffen werden. Sie bekommt mit, welche Strasse saniert wird, in welchem Quartier es Probleme gibt und welches Haus unter Denkmalschutz gestellt wird. Aber: «Politik mache ich nicht», betont die Chefin der Stadtkanzlei. Es habe sie auch nie gereizt. Hier, an der Schnittstelle zwischen Verwaltung und Politik, sei sie genau richtig. Als Angehörige der Administration hat sie zwar eine beratende Stimme, diese übt sie jedoch nicht politisch aus, sondern nur formal, wenn es beispielsweise um die Dokumentation der Beschlüsse geht. Zudem ist sie für die Produktion des Geschäftsberichtes des Stadtrates und die Herausgabe der amtlichen Sammlung verantwortlich.
Nach dem Feierabend warten
repräsentative Aufgaben
Auch wenn ihre Woche mit der Vor- und Nachbereitung der Sitzungen fast schon ausgefüllt ist, hat Cuche-Curti noch weitere Verantwortungsbereiche und, wie sie sagt, mehr als einen Full-Time-Job. Sie steht nicht nur der Protokollabteilung vor, sondern auch der Kommunikation, dem Weibeldienst und der Bürgerrechtsabteilung. Sie ist Antragstellerin an den Stadtrat für Einbürgerungen. «Eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, die ich sehr ernst nehme.» Rund 1000 bis 2000 Einbürgerungsbegehren erreichen die Stadt Zürich pro Jahr.
Zu Cuche-Curtis zyklischen Aufgaben gehört auch die Organisation von Abstimmungen und Wahlen, die von der Stadtkanzlei durchgeführt werden. Rund vier Mal pro Jahr sind bis zu 2000 Mitarbeiter im Einsatz, von der Erstellung der Wahlunterlagen bis zur Stimmenauszählung und Kommunikation. Neben all dem Tagesgeschäft nimmt Cuche-Curti sich Zeit, Gespräche mit Mitarbeitern oder Gästen zu führen und sich mit den wichtigsten Ansprechpersonen aller Departemente zu koordinieren. Unterstützt wird die Chefin bei all ihren Aufgaben von einer administrativen und einer fachlichen Assistentin. Wenn andere in den Feierabend gehen, übernimmt die Stadtschreiberin oft noch repräsentative Aufgaben. Alles in allem ein sehr spannender Job, in dem die promovierte Juristin aus dem Vollen schöpfen kann. «Das Jurastudium war immer ein Türöffner», ist sie überzeugt. Eine Anwendungsmöglichkeit finde sich in fast jedem Job.
Eine Juristin aus Familientradition, die mehr gestalten will
«Nach der Matura waren bei mir noch keine ausgeprägten Stärken und Talente zu erkennen», erinnert sie sich mit einem verschmitzten Lachen. Und da sich bereits Vater, Gross-vater und Grossonkel der Juristerei verschrieben hatten, liegt für die junge Frau dieser Weg ebenfalls nahe. Sie promoviert 1988, merkt aber nach zwei Jahren im Beruf schnell, dass die Juristerei auf Dauer nicht das Richtige für sie ist. Sie will mehr gestalten und kommt bei den Verkehrsbetrieben Zürich (VBZ) das erste Mal mit der Stadtverwaltung in Kontakt. Dort arbeitet sie sich als Leiterin Rechtsdienst auch ins Kommunikationsfach ein. Später wechselt sie in die Privatwirtschaft zur Tamedia AG und später zum Think-Tank Avenir Suisse, wo sie zuletzt als Vizedirektorin wirkt. Als sie die Stellenausschreibung der Stadt Zürich liest, weiss sie sofort: Das bin ja ich. Davon kann sie dann auch die Entscheidungsträger überzeugen.
Aufgewachsen ist Cuche-Curti im Kreis Fluntern. Sie besucht das damals noch reine Mädchengymnasium «Hohe Promenade». Danach wird die Universität Zürich zu ihrem Lebensmittelpunkt. «Ich habe an viele Orte in Zürich eine tiefe Erinnerung.» Heute wohnt sie in Sihlcity in einer fünf Jahre alten Bebauung und freut sich, dass der Stadtrat nun endlich beschlossen hat, auf einem angrenzenden Stück Ödland einen Biker-Park zu errichten. «Es passiert so unheimlich viel in Zürich», schwärmt sie, und auch der Internationalisierung gewinnt sie positive Seiten ab. Eine andere Stadt käme für sie überhaupt nicht in Frage, das ist klar. «Ich hatte ja nach meinem Studium zwei ‹Auslandjahre› am Bezirksgericht in Hinwil», scherzt sie. «Das war genug.» Dass es sie immer wieder nach Zürich zieht, ist umso bemerkenswerter, als sie als junge Frau fast die ganze Welt gesehen hat.
Chefin mit Harmoniebedürfnis
statt Galionsfigur
Das Geld für ihr Studium verdient sie sich als Reiseleiterin. «Ich habe Glück gehabt, wie so oft im Leben», sagt sie. Ihr Fernweh hinlänglich ausgelebt, geniesst sie die nächsten Jahre frei und ungebunden in Zürich. «Es ist gemütlich hier, die Grösse der Stadt ist machbar und bringt nicht zu viel Stress.»
Wann immer eine Chilbi im Stadtzentrum gastiert, steigt Cuche-Curti aufs Riesenrad und schaut von oben auf ihre Stadt. «Gerade von oben sieht man die landschaftliche Schönheit der Stadt. Die Nähe zu den Bergen, der Fluss, der See – und trotzdem ist Zürich ein urbanes Zentrum. Wo findet man das schon?»
Da sie in ihrem Job ständig aktiv ist, räumt sich Cuche-Curti privat Zeit fürs Nichtstun ein. Sie ist ein harmoniebedürftiger Mensch. Harmonie sucht sie mit ihren Mitmenschen und der Umwelt, aber auch mit ihren Mitarbeitern. «Ich bin eine sehr kollegiale und spürbare Chefin, manchmal wohl zu sehr. Einige würden vielleicht lieber eine Galionsfigur in mir sehen, aber das bin ich nicht.» Sie gibt ihren Mitarbeitern lieber das Ziel vor als den Weg dorthin. «Diesen können sie selbst entscheiden. «Dann haben sie auch Freude an der Arbeit und wir miteinander.» Auf Fehler macht die Chefin sehr höflich aufmerksam, «obwohl nach dem zweiten oder dritten Mal das Verständnis schon sehr schwindet».
Immer auf dem Weg,
statt Ziele erzwingen zu wollen
Man glaubt dieser offenherzigen Frau schwerlich, dass sie auch Härte zeigen kann. Cuche-Curti ist ein «Der-Weg-ist-das-Ziel-Typ». Sie ist immer auf dem Weg, und so ergeben sich viele Ziele fast von selbst. Damit sei sie immer besser zurechtgekommen als mit dem Gedanken, irgendetwas erzwingen zu wollen. War ihre Karriere also eher Zufall? «Wenn Sie es so sehen, dann muss ich sagen: ja», erklärt sie. Auch ihre weissen Haare, die ihre Persönlichkeit so sehr prägen, sind Zufall. «Ich habe Glück gehabt», sagt sie wieder. «Mausgrau wäre nicht so toll.» Doch die Natur hat für sie dieses starke Weiss bereitgehalten, und darauf ist sie heute stolz. Das erste weisse Haar bekommt sie mit 14, jahrelang färbt sie ihre Haare, mal blond, mal braun, bis sie vor sieben Jahren den Mut findet, die Naturfarbe zu tragen.
Vielleicht auch Zufall, dass sie zu dieser Zeit heiratet, einen Mann, der sie darin bestärkt und der keine Blondine oder Brünette favorisiert. Mit ihm an ihrer Seite – sie muss ihn erst aus einem anderen Kanton herlocken – ist sie nun nach den vielen Jahren der Ungebundenheit auch privat angekommen. Ein Ökonom und eine Juristin, das ist ein spannendes Duo. «Ich habe gelernt, faktenbasiert zu denken und knallhart durchzudeklinieren, bis es passt. Während Ökonomen ja immer den Fehler im System suchen», lacht sie. Die beiden haben noch viele Pläne. Demnächst werden sie eine Eigentumswohnung beziehen – in Zürich, versteht sich.