Fach-, Projekt-, Patchwork-Karriere – Alternativen für Leistungsträger
Das Image einer Führungskarriere im Vergleich zu anderen Karrierewegen verliert im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise an Glanz. Welche Alternativen stehen Leistungsträgern zur Auswahl, wenn sie vielleicht keine Neigung zur Führungskarriere hat oder diese Option aus anderen Gründen nicht offensteht?


In der Vergangenheit entwickelte sich die Führungskarriere vielfach aus einer Fachkarriere heraus. Dies ist jedoch nicht immer von Leistungsträgern des Unternehmens so gewünscht, zumal enorme Veränderungen im Selbstverständnis und im Aufgabenbild verlangt werden. Fachkarrieren bedingen nämlich andere Anforderungen als Führungskarrieren. Fachkräfte bringen sich primär mit ihren fachlichen Kompetenzen und den dadurch erwarteten Arbeitsergebnissen ein.
Die bewusste Aus- und Weitergestaltung von Fachkarrieren wird heute zunehmend als Alternative zur Führungskarriere gesehen. Es geht um die Sicherung von Fachkräften, die verloren gingen, wenn aus einer guten Fachkraft eine durchschnittliche, eventuell überforderte Führungskraft würde. Auch bieten Fachkarrieren die Chance, Schlüsselpositionen im Unternehmen weiterhin zu behalten oder zu binden, um dadurch Engpässe und Know-how-Verlust zu verhindern. Nicht zuletzt kann es durchaus sinnvoll sein, Fachkarrieren zu entwickeln, wenn attraktive Führungskarrieren gar nicht im Unternehmen benötigt werden oder die dazu benötigten Kompetenzen nicht mitgebracht werden.
Führungskarriere als klassischer Weg?
Viele der bestehenden Unternehmen zeichnen sich durch funktionale bzw. divisionale Organisationsformen aus. Hierarchie gestützt auf Weisungs- und Entscheidungskompetenzen gewährleistet seit Jahrzehnten Ordnung und Schlagkraft der Unternehmen. In gewissem Masse lassen sich Transparenz und Kontinuität durch bewährte Führungskarrieren aufrechterhalten. Die lineare Ausgestaltung förderte die Entwicklung der klassischen Führungskarriere. Aus einem guten Mitarbeiter oder einer Fachkraft wurde ein Gruppenleiter, aus dem wieder ein Abteilungsleiter, Bereichsleiter und schliesslich gar ein Mitglied der Geschäftsleitung. Die Führungskarriere beinhaltet einen hohen vertikalen Aufstieg. Die Tätigkeiten wie auch der Verantwortungs- und Kompetenzbereich verändern sich mit jeder Stufe.
Soziale Kompetenzen auch bei Fachkräften gefragt
Der fortlaufende Wandel und die raschen Veränderungen im technologischen und gesellschaftlichen Bereich stellen jedoch für die Unternehmen neue Herausforderungen dar. Brüche und Diskontinuitäten prägen das unternehmerische Umfeld. Das Denken in Hierarchien, das Verhalten und Entscheiden nach Dienstweg führt in Krisensituationen zu Überlastungen und Überforderungen der Spitze. Viele Fragestellungen sind ohne fachliches Know-how, also ohne Expertentum, nicht mehr lösbar. Die Fachkarriere gewährleistet hier die Sicherung des fachlichen Einbezugs. Gerade Mitarbeiter, die sich stark für einen fachlichen Themenbereich interessieren und die in ihrer bisherigen Tätigkeit ein beachtliches Know-how aufgebaut haben, können sich als Experten beweisen.
Die Fachkarriere verfolgt eine Ausrichtung der Tätigkeit an fachlichen Fragestellungen, ohne sich in der Verantwortung über andere Mitarbeiter zu verlieren. Es sollte jedoch nicht der Eindruck entstehen, dass in Fachkarrieren soziale Kompetenzen nicht gefragt sind. Bei Tätigkeiten als Berater oder Experte sind die Teamarbeit sowie die Vermittlungs- und Sozialkompetenz wichtige Komponenten. Eine Kombination von Fachexperte und Führungskraft ist in solchen Situationen eine Idealverbindung.
Know-how-Träger binden
Fachkarrieren werden überall dort entwickelt und angeboten, wo es gilt, für Fachexperten als Arbeitgeber attraktiv zu sein und diese verstärkt ans Unternehmen zu binden. In Organisationen, in denen der Anteil an Spezialisten hoch ist, bietet die Fachkarriere vielversprechende Zukunftsperspektiven. Fachkarrieren bieten interessante Alternativen für Leistungsträger, die nicht Personalverantwortung übernehmen wollen und sich weiterhin fachlich entwickeln wollen. Um diese Schlüsselpersonen ans Unternehmen zu binden, darf jedoch nicht nur auf dieses intrinsische Motiv gesetzt werden.
Es gilt zudem, interne Stufenmodelle (Retentionsmodelle) zu entwickeln, das einzelne Fachstufen vergleichbaren Führungsstufen im Unternehmen zuordnet. Eine hierarchische Entsprechung bestimmter Fachkarrierestufen zu Stufen der Führungskarriere gekoppelt mit adäquaten Gehaltsstrukturen, inklusive der variablen Gehaltsbestandteile und der Fringe Benefits, sind zudem zwingend. Der hierarchische Aufstieg in der Fachkarriere erfolgt vielfach in Abhängigkeit der Expertentätigkeit des Mitarbeitenden. Dabei lassen sich Titel oder Stufen wie Fachkraft, Junior-Experte, Experte, Senior-Experte sowie Mitglied/Berater der Geschäftsleitung formulieren. Inwieweit diese Titel teils nur Formcharakter erhalten, hängt im grossen Masse vom jeweiligen Unternehmen ab. Die direkte Führungsspanne vergrössert sich im Gegensatz zur Führungskarriere zumeist nur geringfügig, teilweise gar nicht.
Identifikation von Schlüsselpersonen
Die Identifikation von Kandidaten für eine Fachkarriere obliegt meist den direkten Vorgesetzten. Die Unternehmung kann über Anforderungsprofile für eine Fachkarriere eine Orientierung geben, nach welchen Mitarbeitern gesucht wird. Informationen zum Verlauf einer Fachkarriere sowie ein klares Prozedere für das Identifizierungs- bzw. Nominierungsverfahren sind ebenfalls hilfreich. Es gibt zudem unterstützende Instrumente für die Selbsteinschätzung interessierter Kandidaten (Self Assessment, strukturiertes Feedback, 360°-Feedback, Coaching, Beurteilung etc.). Weitere Instrumente sind Förder-Assessment-Center, Hearing, Peer Rating, Tests, Fragebogen, Interview-Leitfaden etc. Auch Foren und Gremien, in denen gemeinsam mit anderen Führungskräften die Vorschläge für Kandidaten gesichtet und besprochen werden, eignen sich zur Identifikation von potenziellen Kandidaten. Eine weitere Möglichkeit ist die Selbstnominierung von Kandidaten, die sich von ihren Führungskräften übergangen fühlen.
Projektkarriere als dritter Weg?
Steht bei der Fachkarriere das fundierte, ständig aktualisierte Fachwissen im Vordergrund, so sind es bei der Projektkarriere das Projektmanagement-Know-how sowie das Beherrschen von Projektmanagementtools, also all jener Tools, die es braucht, um ein Projekt zu planen, zu führen und wirtschaftlich umzusetzen.
Die Projektkarriere verfolgt somit einen dritten Ansatz in Verhältnis zur Führungs- und Fachkarriere. Verstärkt wird diese Karriereoption dadurch, dass die Unternehmen vielfach zunehmend das Middle Management ausdünnen und die Anzahl der Hierarchiestufen verringern. Der Wunsch nach Effektivitäts- und Effizienzsteigerung legt den Fokus auf wahrnehmbaren Kundennutzen und direkteren Bezug zum Kunden. Damit gewinnen Prozessoptimierungen an Bedeutung. Komplexe Organisationstypen – Matrix-, Tensororganisationen – werden zugunsten von Teamorganisationen und virtuellen Gebilden aufgegeben. Gesucht sind flexible Professionals, die sich agil bewegen können und wollen. Solche Mitarbeiter werden je nach Bedarf in Projekte eingebunden. Je nach Projekt und Komplexitätsgrad des Projekts erfahren sie eine höhere hierarchische Wertschätzung. Grafik 1 verdeutlicht, dass die Projektkarriere vielfach einem iterativen Prozess entspricht.
Der Mitarbeiter wird fortlaufend in neue Projekte eingebunden, in denen er sich beweisen kann. Teils nimmt die Person die Rolle der Projektleitung, teils die Rolle des Projektcoachs, teils die des Projektmitarbeiters ein. Ebenso variiert der Stellenwert der Projekte: Mal sind es operative Projekte, mal sind es strategische Projekte mit unternehmensweiter Ausstrahlung und Bedeutung. In gewissen Situationen sind diese Projekte in firmenübergreifenden Kontext eingebettet.
Patchwork-Karrieren verlangen nach vielfältigen Karrierewegen
Zunehmend weichen sich die beschriebenen tradierten Karrieremuster auf. Sie können durchaus aufeinander aufbauen, sich abwechseln oder gar gleichzeitig bestehen. Die strikte Trennung von Führungskarriere und Fachexpertentum löst sich auf. Projektkarrieren entstehen. Beruf und Privatleben verwachsen und verweben sich. Es lassen sich Karrieremuster nach Art eines vorwiegend nach – vermeintlichen – Zufälligkeiten entstandenen Flickenteppichs (Patchwork) erkennen. Es entstehen Patchwork-Karrieren, die wiederum neue Arbeits- und Führungsformen seitens der Unternehmen fordern. Die Zukunft der Karrierewege wird somit zunehmend vielfältiger.