Facilitating in Wandelprozessen: Fokus auf das innere Bild der Zukunft
Facilitatoren haben das Ziel, Visionen und unbewusstes Wissen sichtbar, hörbar und fühlbar machen. Durch strukturelle Grenzen oder mangelndes Selbstvertrauen bleiben diese nämlich oft verschüttet und blockieren Veränderungsprozesse. Eines der wichtigsten Werkzeuge, um den verborgenen Potenzialen auf die Spur zu kommen, ist Intuition.

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Seit Mitte der neunziger Jahre zerfallen oder fusionieren Unternehmen vermehrt oder sie werden in entfernte Länder verlegt. Ganze Abteilungen werden abgebaut, outgesourct, abgewickelt. Neue Berufsbilder tauchen wie aus dem Nichts auf, alte sterben aus. Im Mittelpunkt sämtlicher Umstrukturierungen und Rationalisierungsmassnahmen stehen dabei keine Spielfiguren, sondern Menschen: Männer und Frauen, deren bisherige Vorstellungen von Berufs- und Lebensweg ins Wanken gekommen ist. Sie fühlen sich zum Teil verschoben und ausgebootet, ihr Selbstbild ist oft sehr verletzt. Die geforderten Veränderungen, beruflich und privat, verlangen von ihnen innerhalb kurzer Zeit enorme Anpassungsleistungen, die sich oft am besten mit professioneller Begleitung bewältigen lassen.
Bei jedem dieser Veränderungsprozesse geht es darum, unzweckmässige, bisweilen sogar schädliche und überkommene Denk- und Handlungsmuster zu erkennen, diese loszulassen und sich auf neue Themen zu fokussieren. Der Lernprozess, dem die Klienten unterworfen werden, kann durchaus anstrengend sein. Manchmal müssen Täler der Trauer und des Verlusts durchschritten werden, ehe man an einem Punkt ankommt, an dem man wieder Gestalter des eigenen Lebens ist. Wichtig ist, dass man seine innere Stimme findet und ihr Gehör schenkt.
Lebenserfahrung ist eine wesentliche Voraussetzung
Facilitating ist eine Prozessbegleitung, die Unternehmen, Institutionen und Einzelpersonen auf eine besondere Weise bei Veränderungsprozessen leitet. Der Unterschied zu einem Coaching liegt darin, dass sich Facilitating auf einen Punkt konzentriert, den wir das innere Bild der Zukunft nennen. Dabei handelt es sich um ein unbewusstes, kollektives Wissen. Wir sind überzeugt davon, dass jedes Unternehmen und jeder einzelne Mensch diese inneren Bilder in sich trägt und nutzen kann. Meist sind es aber strukturelle Grenzen der Organisation oder menschliche Schwächen, wie mangelndes Selbstvertrauen, die verhindern, dass dieses Wissen ernst genommen wird und zum Tragen kommt. Facilitatoren führen sowohl einzelne Personen als auch Organisationen über verschiedene Stufen zu der Erkenntnis, welcher Weg in Zukunft der stimmige für sie sein wird.
Die Rolle des Facilitators (auf Deutsch etwa: Begleiter, Gestalter) liegt darin, Potenziale aus der Zukunft in einen Veränderungsprozess einzubringen. Facilitatoren verfügen über Techniken, Visionen und eigenes Wissen sichtbar, hörbar, fühlbar werden zu lassen. Intuition ist dabei eines ihrer wichtigsten Werkzeuge. Sie erspüren die Lebensthemen und Probleme ihrer Klienten. Eine wesentliche Voraussetzung dafür ist ein hohes Mass an beruflicher und privater Lebenserfahrung. Wir sprechen häufig davon, dass man durch sein Lebens-U gegangen sein muss, um erfolgreich als Facilitator arbeiten zu können. An verschiedenen biografischen Punkten tauchen immer wieder Krisensituationen auf, die bewusst durchlebt und bewältigt werden müssen. Der Verlauf entspricht dabei einer U-Form. Nach Phasen der tiefen Verunsicherung ergeben sich Phasen der Neugestaltung des eigenen Lebens- und Wertesystems.
Der Begriff des Lebens-U stammt aus der «Theorie U» des deutschen Wirtschaftswissenschaftlers C. Otto Scharmer, Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Ein zentraler Gedanke dieser Theorie ist, dass modernes Management viel stärker als bisher den Erfordernissen von Nachhaltigkeit und globaler Verantwortung gerecht werden muss. «Von der Zukunft her führen» nennt Scharmer seinen Ansatz. Diesen Prozess beschreibt Scharmer mit dem Wort «Presencing», das sich aus den englischen Begriffen «presence» (Gegenwart) und «sensing» (erspüren) zusammensetzt. Presencing-Fertigkeiten können sich, nach Scharmers Idee, einzelne Mitarbeiter, aber auch Organisationen zunutze machen.
Ein beruflicher Positionswechsel – sei es eine Beförderung oder der Eintritt in ein neues Unternehmen – erfordert immer auch eine Erweiterung des eigenen Horizonts. Plötzlich tauchen neue Themen auf: Wie wirke ich auf andere? Kann ich in meiner neuen Position meinen alten Kollegen gegenüber loyal bleiben? Die Wahrnehmung für andere Menschen soll geschärft, eigene Potenziale müssen erkannt und neu genutzt werden. Sinnvoll ist in dieser Phase nicht nur eine Begleitung durch Facilitatoren, sondern auch ein Feedback durch unbeteiligte Dritte.
Viele Veränderungsprozesse gelten als wenig erfolgreich oder scheitern
Das Loslassen von überholten Denk- und Sichtweisen ist bei einem Facilitating stets ein wichtiger Punkt. Einen Klienten, der sich dem Prozess unterzieht, kann man mit einem Trapezkünstler vergleichen. Um die nächste Trapezstange zu erreichen, muss der Artist sich von dem ersten Trapez lösen. Dazu braucht er Kraft, Geschicklichkeit und Erfahrung – vor allem aber braucht er Mut und die innere Stärke, im richtigen Moment loszulassen. Für die Klienten geht es ebenfalls darum, Mut aufzubringen und Dinge oder Ideen hinter sich zu lassen. Menschen, deren bisheriges Tätigkeitsfeld durch Rationalisierungen oder Umstrukturierungen wegfällt, müssen beispielsweise lernen, ihre Vorstellungen von dem einen, einzig glücklich machenden Job oder Karriereweg zu begraben. Nur wer bereit ist, sich von alten Vorstellungen zu verabschieden, ist frei und bereit, Neues zu wagen. Das Gleiche gilt für Unternehmen und Institutionen, die ebenfalls lernen müssen, sich stets weiterzuentwickeln und überkommene Strukturen zu hinterfragen. Der zentrale Punkt bei sämtlichen Veränderungsprozessen ist eine Erweiterung der Wahrnehmung. Festgefahrene und oftmals liebgewonnene Sichtweisen und Denkschemata müssen überwunden werden. Stets geht es darum, zu erfahren, dass man für das Bezugssystem, das man sich setzt, selbst verantwortlich ist.
Professionelles Veränderungsmanagement, wie es derzeit von zahlreichen Unternehmensberatungen angeboten wird, hat sich dabei bislang nicht gerade als durchschlagender Erfolg erwiesen. Im Jahr 2007 stellten die TU München und die C4 Consulting Düsseldorf GmbH die erste repräsentative deutsche Studie über Erfolg und Misserfolg von Veränderungsmanagement vor. Bei nur knapp 21 Prozent der Unternehmen, die sich einem professionell geführten Veränderungsprozess unterzogen hatten, wurde die Aktion als durchweg erfolgreich bewertet – dagegen galten mehr als ein Drittel der Veränderungsprozesse deutscher Unternehmen als wenig erfolgreich oder gescheitert. Die Gründe dafür wurden mit unzureichendem Engagement der oberen Führungsebenen (58 Prozent) angegeben, gefolgt von unklaren Zielbildern und Visionen (57 Prozent). Eine weitere Schwachstelle war die fehlende Erfahrung der Führungskräfte im Umgang mit verunsicherten Mitarbeitern (55 Prozent).
Betrachtet man diese Zahlen, dann wird schnell klar, woran Veränderungsprozesse normalerweise kranken: Führungskräfte und Mitarbeiter werden nicht in einem ausreichenden Mass auf die Aufgaben, die vor ihnen liegen, vorbereitet. Ausserdem haben die Visionen, die den Veränderungsprozess beflügeln sollen, zu wenig Strahlkraft und Energie, um die Beteiligten dauerhaft in ihren Bann zu ziehen. Der Grund dafür liegt für uns auf der Hand: Visionen, die von aussen oktroyiert werden oder aus rein logischen Gesichtspunkten entwickelt wurden, haben keinerlei Überzeugungskraft. Die Zukunft muss zunächst vor dem inneren Auge entstehen und später Einzug in das Bewusstsein und Handeln halten. Nur so lassen sich Visionen für einen nachhaltigen Veränderungsprozess nutzen.
Ein Facilitator
(auf Deutsch etwa: Begleiter, Gestalter) hilft kenntnisreich bei Veränderungsprozessen in Unternehmen und Organisationen. Der Facilitator schafft die Voraussetzungen für nachhaltige Veränderungen in Teams oder Gruppen und deckt vorhandene Abhängigkeiten und Dynamiken auf. Er ermöglicht damit den Menschen in einer Organisation, ihre Leistungsfähigkeit und ihre Entfaltungsmöglichkeiten zu steigern. Stets bleibt er auf der Meta-Ebene und behält die gesamte Struktur der Organisation im Blick. Der Facilitator nutzt während des Veränderungsprozesses seine Fähigkeiten als Coach und übernimmt Rollen, die im Prozess nicht besetzt sind.