Arbeitsfähigkeit

Führungsverantwortung: Viele 
Vorgesetzte sind nicht ausgebildet

Neunzig Prozent der Schweizer Angestellten haben als direkten Vorgesetzten einen Chef aus dem mittleren und 
unteren Kader. Diese Führungsleute brauchen eine solide Ausbildung, damit sie in schwierigen Situationen, aber 
auch im Alltag richtig reagieren. Doch leider hat sich diese Erkenntnis noch nicht überall durchgesetzt, wie eine 
Studie der Schweizerischen Vereinigung für Führungsausbildung zeigt.

Für viele Angestellte ist es schwierig, wenn sie sich plötzlich in der Rolle des Chefs wiederfinden. Neue Aufgaben, wie Sitzungen führen, die Arbeit des Teams organisieren und Konflikte schlichten, sind zu bewältigen. Das kann zu Spannungen führen. Der neue Chef fühlt sich am Anfang oft zu wenig ernst genommen. Wenn er sich dann bei gewissen Entscheidungen durchzusetzen versucht, gehen seine ehemaligen Kollegen auf Distanz. Wichtig ist es darum, sich richtig auf eine solche Aufgabe vorzubereiten.

Beim Thema Führung ist meist von den Topshots in den Teppichetagen die Rede. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus. Nicht ein Daniel Vasella oder Peter Brabeck prägen den Führungsalltag in den Unternehmen. Es sind die rund 600000 Arbeitnehmenden, die gemäss dem Bundesamt für Statistik in einer Vorgesetztenfunktion, aber nicht in einer Geschäftsleitung arbeiten. Jeder Angestellte weiss: Ein Chef, der seiner Aufgabe nicht gewachsen ist, kann das Klima in einer ganzen Abteilung vergiften.

Umso wichtiger ist es deshalb, dass sich Leute mit einer Führungsfunktion in einer Ausbildung auch theoretisch mit ihrer Rolle auseinandersetzen. Mitarbeiterzufriedenheit hängt nämlich auf allen Hierarchiestufen stark von der fachlichen und sozialen Führungskompetenz der direkten Vorgesetzten ab. Die Weiterbildung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollte daher für jede Organisation Pflicht sein.

Im Führungsalltag mangelt es in vielen Unternehmen an Vorbildern

Eine Studie der Schweizerischen Vereinigung für Führungsausbildung SVF-ASFC bei ihren Absolventen hat jedoch ergeben, dass es gerade in diesem Bereich grossen Handlungsbedarf gibt. Nur gerade die Hälfte erhielt von ihren Unternehmen genügend Unterstützung. Durchgeführt wurde die Studie von Prof. Dr. Jörg Felfe von der Universität Siegen, der mit empirischen Untersuchungen im Bereich Führung und Bildung grosse Erfahrung hat. 92 Prozent der von der Universität Siegen befragten Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Führungsausbildung der SVF-ASFC sind überzeugt, dass sich diese positiv auf ihren Berufserfolg auswirkt. Sie würden die Ausbildung wieder machen (83 Prozent Zustimmung) und empfehlen sie gerne weiter (86 Prozent Zustimmung). Das wirkt sich auch positiv auf die Einstellung zu ihrer Karriere aus. 87,9 Prozent geben an, sie seien stolz auf ihre berufliche Entwicklung, und zwei Drittel der Befragten geben an, künftig ihre Führungsposition weiter ausbauen zu wollen.

Bei der Umsetzung des Gelernten in die Praxis ist die Unterstützung des Arbeitgebers sehr wichtig. Doch in diesem Punkt äussern sich die Befragten kritisch. Der Beistand vonseiten des Unternehmens wird als mässig eingeschätzt. Es fehlt ihnen an Vorbildern im Unternehmen, an denen sie sich orientieren können, sowie an Möglichkeiten zur praktischen Anwendung des Gelernten. Gut die Hälfte der Teilnehmer (52,5 Prozent) gibt an, dass sie von ihrem Unternehmen bei dieser Weiterbildung nicht unterstützt wurden, und lediglich rund einem Drittel (31,4 Prozent) wurde ein Teil der Ausbildung als Arbeitszeit angerechnet. 43,5 Prozent sind ausserdem der Meinung, dass die organisatorischen Voraussetzungen an ihrem Arbeitsort verbessert werden müssten.

Auch bei der Unterstützung durch die Vorgesetzten zeigen sich viele der Befragten unzufrieden. Nur 32,8 Prozent arbeiten mit einem Chef zusammen, der ihnen die Umsetzung des Gelernten ermöglicht.
Auch in den offenen Antworten werden Schwierigkeiten in Bezug auf die Unterstützung durch Unternehmen und Vorgesetze deutlich: «Seit Beginn meiner Ausbildung habe ich viele Konflikte mit Vorgesetzten, weil wir eine alte straffe Befehlshierarchie haben», schreibt ein Absolvent. Ein anderer stellt fest: «Seine eigenen führungsmässigen Unzulänglichkeiten werden ihm bewusst.»

Diese Antworten kann der Berner Professor Norbert Thom nachvollziehen. «Durch eine Weiterbildung im Führungsbereich werden alte Gewohnheiten und Werte in Frage gestellt. Dies kann in einem Team zu Spannungen führen.» Die Ergebnisse der Studie, wonach die Unterstützung im Bereich 
Führungsausbildung oft mangelhaft ist, überrascht ihn nicht. «In mittelständischen Betrieben gibt es relativ wenig Kaderleute. Diese fehlen umso mehr, wenn sie einige Tage weg sind. Deshalb tun sich manche dieser Firmen schwer mit dem Thema Weiterbildung», erklärt der Direktor des Instituts für Organisation und Personal der Uni Bern. Doch es gebe auch Beispiele von kleineren Unternehmen, die sich vorbildlich um die Entwicklung  ihrer Mitarbeitenden kümmern. Dies sei nämlich nicht eine Frage des Geldes, sondern der Planung, sagt Thom weiter.

Was die SVF-ASFC tut

Die Schweizerische Vereinigung für Führungsausbildung SVF-ASFC ermöglicht Interessenten, Zertifikate und eidgenössisch 
anerkannte Abschlüsse im Führungsbereich zu erlangen. Die Vereinigung wurde vor acht Jahren auf Initiative des damaligen Nationalrats Samuel Schmid gegründet. Zu den rund 120 Mitgliedern des Verbands gehören 69 Schulen, die in allen Landesteilen und Sprachen tätig sind. In den vergangenen drei Jahren haben rund 450 Führungskräfte die eidgenössische Berufsprüfung absolviert. Die SVF-ASFC entwickelte sich innerhalb weniger Jahre zur führenden Ausbildung für Kaderleute, insbesondere im mittleren und unteren Segment. Die SVF-ASFC versteht Führung in einem umfassenden Sinn als Kombination von Leadership (Aspekte zwischenmenschlicher Beziehungen) und Management (institutionelle, prozedurale und instrumentelle Aspekte). Die Ausbildung richtet sich an Berufsleute aus allen Führungsstufen, die in Betrieben von unterschiedlicher Grösse und Branchenzugehörigkeit arbeiten. Das Ausbildungskonzept ist konsequent auf die Bedürfnisse der Arbeitswelt ausgerichtet. Die Ausbildung ist eidgenössisch anerkannt, das heisst der erfolgreiche Abschluss führt zu einem geschützten Titel. Zudem öffnet sie die Tür zu weiteren ebenfalls eidgenössisch anerkannten Aus- und Weiterbildungen im Bereich der höheren Berufsbildung und auf Hochschulstufe. Für das Jahr 2010 plant 
die SVF-ASFC die Lancierung einer Ausbildung für mittlere und höhere Kaderleute. Sie soll über eine höhere Fachprüfung ebenfalls zu einem eidgenössisch geschützten Titel führen.

Kleine und mittlere Unternehmen 
setzen Prioritäten anders

Insgesamt ist in der Schweiz das Bedürfnis nach Weiterbildung gross. Gemäss dem 
Bundesamt für Statistik standen im Jahr 2007 Kaderkurse bei der berufsorientierten Weiterbildung zusammen mit Kursen in Gesundheit und Medizin an oberster Stelle. Im vergangenen Jahr haben rund zwei Millionen Schweizerinnen und Schweizer an solchen Weiterbildungskursen teilgenommen und damit rund 4 bis 5 Milliarden Franken Umsatz für die Veranstalter und Schulen generiert.
In Grosskonzernen wie Nestlé, Novartis oder ABB beginnt die Führungsausbildung bereits auf den untersten Stufen. Es gibt 
interne und externe Weiterbildungen und spezielle Nachwuchsförderprogramme für 
talentierte Mitarbeiter. Spezielle Führungskurse gehören zum Pflichtenheft der Personalabteilungen solcher Konzerne. Doch die Schweizer Wirtschaft ist geprägt von mittelständischen Unternehmen. Rund 300000 KMU beschäftigen drei Viertel aller Arbeitnehmer. 90 Prozent von ihnen haben weniger als zehn Mitarbeitende.

KMU haben volkswirtschaftlich eine grosse Bedeutung – und dementsprechend sollte auch die Führungsausbildung für ihre Mitarbeiter gefördert werden. Die Prioritäten werden dort aber meist anders gesetzt. 
Zuoberst in der Rangliste der Kurse für das mittlere und untere Kader stehen Angebote im Bereich Marketing und Verkauf, wie eine Studie der Fachhochschule St. Gallen ergeben hat. Die so genannten weichen Themen wie Leadership seien aber stark im Aufwind, 
erklärt die Studienleiterin Thanh Tran.

Grosse Lernerfolge in puncto Selbstkenntnis und Kommunikation

Diese Tendenz kommt auch in der Befragung der Teilnehmer der Führungsausbildung des SVF-ASFC deutlich zum Ausdruck. Die Hälfte der Studienteilnehmer ist überzeugt, sie hätten im Bereich Leadership am meisten profitiert. Dies äussert sich auch in der Antwort auf die Frage, bei welchen Modulen die Teilnehmer am meisten gelernt hätten. An erster Stelle liegen Selbstkenntnis, Kommunikation und Konfliktbewältigung. Die Module aus dem Bereich Management wie Personalwesen, Recht oder Rechnungswesen folgen erst weiter hinten. Insgesamt haben die Befragten einen bedeutsamen Lernerfolg festgestellt. Die Kompetenzen in Bezug auf die einzelnen Module werden nach der Ausbildung deutlich höher eingeschätzt als für den Zeitpunkt vor der Ausbildung. Diese Ergebnisse zeigen, dass die Weiterbildung für Kaderleute eine wichtige Aufgabe ist. Die Mitarbeiterzufriedenheit auf allen Hierarchiestufen hängt nämlich stark von der fachlichen und sozialen Führungskompetenz der direkten Vorgesetzten ab.

Auch bezüglich des Praxistransfers sind die Einschätzungen sehr positiv. Nach Angaben der Befragten konnten sie nach der Ausbildung deutlich häufiger effektives Führungsverhalten zeigen als vor der Ausbildung. Insbesondere gehen sie Konflikte und Probleme öfter direkt an (91,1 Prozent), geben regelmässig Feedback (82,9 Prozent), betreiben systematisches Zeitmanagement (69,4 Prozent) und nutzen öfter Planungs- und Entscheidungstechniken (33,9 Prozent).

Voraussetzung einer erfolgreichen Ausbildung ist, dass die Inhalte auch lern- und umsetzbar sind. Deshalb wurden die Teilnehmer gebeten, zu der provokanten Aussage «Führung kann man nicht lernen» Stellung zu nehmen. Über die Hälfte (54,4 Prozent) der Befragten widerspricht dieser Aussage und betont, dass Führung lernbar ist. Weitere 27 Prozent betonen, dass es gewisser Voraus
setzungen in der Persönlichkeit bedarf, auf deren Basis die Führungskompetenz weiterentwickelt werden kann.

Führungsleute auf den verschiedenen 
Hierarchiestufen bilden also das Rückgrat eines Unternehmens. Für jeden einzelnen Mitarbeiter wird die Führung nicht vom CEO geprägt, sondern von seinem unmittelbaren Vorgesetzten. Daher ist es wichtig, dass diese Leute gut ausgebildet sind. Wenn sie ihre Führungsaufgabe mit der notwendigen Sicherheit und Kompetenz ausüben, tragen sie massgeblich zu einem guten Klima bei. In vielen Schweizer Unternehmen wird dieser Aspekt der Aus- und Weiterbildung jedoch noch zu wenig gefördert. Das äussert sich unter 
anderem darin, dass ihre Mitarbeiter solche Ausbildungen selber finanzieren und in ihrer Freizeit absolvieren müssen. Damit sparen die Unternehmen zwar kurzfristig Geld, langfristig vertun sie aber die Chance, ambitionierte Mitarbeiter dauerhaft an sich zu 
binden.

Informationen zur Studie

Der Fragebogen wurde im vergangenen Winter an insgesamt 379 Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Führungsausbildung der Jahrgänge 2005, 2006 und 2007 versandt. Dieser konnte anonym ausgefüllt und in einem beiliegenden Briefumschlag  zurückgeschickt werden. 126 Teilnehmer haben an der Befragung teilgenommen. Das entspricht einem Rücklauf von insgesamt 33,2%. Rücklaufquoten von über 30% weisen auf eine hohe Akzeptanz hin. Durchgeführt wurde die Studie von Prof. Dr. Jörg Felfe von der Universität Siegen, der mit empirischen Untersuchungen im Bereich Führung und Bildung grosse Erfahrung hat. Er schätzt die Befragung insgesamt als repräsentativ und die Ergebnisse als verlässlich und belastbar ein. Das Durchschnittsalter der Teilnehmer liegt bei 38 Jahren. Fast die Hälfte der Befragten ist bis 40 Jahre alt; die bis 50-Jährigen bilden ein gutes Drittel, die bis 30-Jährigen machen 14% der Stichprobe aus. Der grösste Anteil der Teilnehmer kommt mit 18% aus der Finanzbranche, gefolgt von den Branchen Post (14%), Gesundheitswesen (10%) und Industrie (9%). Die Bereiche Transport, Bildung und Verwaltung sind mit jeweils 7% vertreten.

Nicht nur die Branchen sind weit gestreut, sondern auch die vertretenen Unternehmensgrössen. Diese reicht von zwei Mitarbeitern bis zu 80000 Mitarbeitern (Mittelwert = 9383 Mitarbeiter). Der Bereich «bis 100000 Mitarbeiter», der 21% ausmacht, wird dabei fast ausschliesslich von den Branchen Post und Transport abgedeckt. Nach der Dauer der Unternehmenszugehörigkeit befragt, äussert fast ein Viertel, bis zu zehn Jahre im Unternehmen angestellt zu sein, zu jeweils etwa 20% sind die Befragten bis zu zwei Jahre, bis zu fünf Jahre und über 20 Jahre bei ihrem Arbeitgeber beschäftigt. 40% der Befragten sind zurzeit in der Position eines Teamleiters. Zu jeweils etwa einem Viertel besteht die Stichprobe aus Abteilungsleitenden und Geschäftsführenden.

Kommentieren 0 Kommentare HR Cosmos
Weitere Artikel von Christian Santschi