Die Eltern der Zöglinge, die Kunden also, von denen viele selbst hier aufgewachsen sind, finden das vom Institut verlangte Mass an Disziplin für ihre eigenen Kinder angemessen. «Ohne konsequent eingeforderte Verhaltensregeln», betont Otto Gademann mit Nachdruck, «ist kein Zusammenleben möglich.» Er hält viel von Strategie und von den Regeln des Militärs, wie sie der 1780 geborene Graf von Clausewitz (bekanntestes Werk: «Vom Kriege») formulierte. «Eines meiner Steckenpferde», schiebt er jovial hinterher. Der Mann hat klare Vorstellungen von dem, was die Welt braucht und wie man es ihr geben könne. Immerhin ein paar Tausend Menschen hat er im Geiste dieser Botschaft erzogen – weitaus mehr, als viele Konzernlenker von sich sagen können.
Im Vergleich zu anderen Internaten hohe Fluktuation beim Lehrkörper
Auf die vorbehaltlose Einhaltung und Einforderung von Disziplin besteht Gademann auch bei seinen mehr als 200 Mitarbeitenden – Pädagogen, Sportlehrer, Haus-, Küchen- und Verwaltungspersonal mit der nur äusserlich fragil wirkenden «Madame La Directrice» Monika A. Schmid an der Spitze. Das scheint der Lehrkörper nicht immer zu goutieren, die Fluktuation ist hoch verglichen mit anderen Internaten. «Ein Drittel der Lehrer bleibt ein Leben lang bei uns», rechnet Gademann vor, «ein Drittel ist nur für einige Zeit hier, und ein weiteres Drittel wird jährlich ausgetauscht.» Man müsse eben schon ein ganz besonderer Pädagoge sein, um Gefallen am Internatsleben zu finden. «Denn gleichzeitig Lehrer und Erzieher sollen sie sein», schreibt er seinen Pestalozzi fort, «vor allem muss ihnen die Arbeit mit jungen Menschen eine grosse Freude machen.»
Von seiner eigenen Tätigkeit erzählt Otto Gademann mit innerer Überzeugung. Die täglichen Begegnungen mit den Schülern im Speisesaal sind dem Chef des Hauses ebenso wichtig wie die Teilnahme an den sportlichen Ereignissen, neben dem alljährlichen «Rosenball» die absoluten Höhepunkte im Internatsleben. Dafür hat er seine Juristenkarriere Mitte der 70er Jahre gern an den Nagel gehängt. «Ich hatte keine ausgeprägte Spezialisierung», lacht er und gibt sich volksnah: «Damals musste man als Jurist alles machen. Ich fand gerade das sehr schön.»
Die meisten Schüler kommen aus Deutschland und Russland
1930 hatte Otto Gademann I. das Institut übernommen, ihm folgte sein Sohn Karl und auf diesen der heute auch schon 63 Jahre alte Enkel. In den Startlöchern für die Nachfolge steht der 29-jährige Sohn Bernhard, Tochter Stephanie ist als Vollblutbankerin unabkömmlich. Wann sich Otto Gademann ins Privatleben zurückzuziehen gedenkt, sagt er nicht. Er schmunzelt nur. Ganz offensichtlich macht ihm seine Arbeit immer noch einen Riesenspass.
Über das Institut ist in den Medien höchst selten berichtet worden, und wenn, dann mit hechelnder Zunge über leicht verkäufliche Schlüssellochsujets. Dass hier das Geld zur Schule gehe. Dass die Sprösslinge reicher Oligarchen, Ölscheichs, Topmanager und der Herrscher über altes und vor allem neues Kapital hierher abgeschoben würden, weil deren Eltern anderes zu tun hätten, als sich um den Nachwuchs zu kümmern. Stimmt das? Jetzt strahlt der Senior auf dem Rosenberg, von den Schülern knapp «O.G.» tituliert, übers ganze Gesicht. Mit dieser Frage hat er gerechnet, er hält sich aber bei der Antwort bedeckt. «Mehr als die Hälfte unserer Schüler kommt aus Deutschland», lässt er sich entlocken, «viele aus Italien, die zweitstärkste Gruppe kommt aus Russland und den Gebieten der GUS, viele aus Asien und Lateinamerika.» Insider sagen etwas anderes. Auf dem Rosenberg gäben mittlerweile die russischstämmigen Kids den Ton an.
Gademann, einer der letzten überzeugten Zigarettenraucher in Mitteleuropa, hat sein juristisches Handwerkszeug nicht vergessen. Er weicht aus: «Der Aufenthalt in einem Internat ist für die Kinder sehr viel besser, als in zu behütenden, bedrohten oder zerrütteten Elternhäusern aufzuwachsen.» Auch die Diskussion um die «Eliten» bremst er freundlich, aber beinhart aus. «Elite ist, wer etwas aus seinem Leben macht. Wir wollen dafür eine solide und vernünftige Grundlage legen.»
Nach zwei Stunden beugt sich Otto Gademann II. folgsam und mit einer Engelsgeduld den Regieanweisungen des Fotografen. Nur eine einzige Bedingung stellt er: Im Hintergrund soll das Porträt seines Grossvaters zu sehen sein. Demut, Dankbarkeit, Stolz auf die Tradition? Otto Gademann lächelt nur. Vielleicht freut es ihn auch diebisch, dass auf diesen Aufnahmen zwei Gesichter zu erkennen sein werden. Ein konsequenter Stratege mit sicherem Marktgespür für das, was seine besorgte Klientel von ihm erwartet. Und ein sympathischer, humorvoller älterer Herr ohne Dünkel und Allüren.
Otto Gademann II.
Geboren am 4. März 1945, trat Otto Gademann mit 30 Jahren als Internatsleiter in die Fussstapfen seines Grossvaters und seines Vaters. Zwischen 1951 und 1964 war er selbst Schüler des Internats und studierte anschliessend Rechtswissenschaften an der Universität Bern. Von 1969 bis 1971 war der Jurist am Bezirksgericht Winterthur tätig, danach wechselte er in die Wirtschaft und arbeitete bis 1974 als Prokurist bei einer Immobilienholding. Seit 1983 ist Otto Gademann Präsident des Verwaltungsrats des Internats und der Sprachkurse Ariana AG mit Sommercamps in Arosa, Lenk, Seefeld und St. Gallen.