Porträt

«Geld diszipliniert unsere Schüler 
mehr als alles andere»

Vermeintliche oder echte Führungseliten geben oft Anlass zu Polemik. Für Otto Gademann, in der dritten Generation Chef eines St. Galler Nobelinternats, hat die Debatte nur sophistischen Charakter. Er führt Lehrer und Schüler mit straffer Konsequenz und motiviert über das, was seine Zöglinge von Kindesbeinen an im Überfluss geniessen.

«Can I help you, Lady? Who are you looking for?» Zuvorkommend tritt die zierliche Asiatin im Alltagssari vom Schreibtisch an das grosse Schiebefenster und deutet auf die Jugendstilvilla nebenan. «Mr Gademann should be in his office next to this building. Just enter the first floor. Have a nice day.» Fenster zu. Offenbar ist sie beruhigt. Unholde, die den Internatszöglingen zu Leibe rücken wollten, gingen sicherlich perfider vor.

Den kurzen Weg zum Inhaber und Präsidenten des Verwaltungsrats des Nobelinternats «Institut auf dem Rosenberg» kreuzen zwölfjährige Jungs in Anzug und Krawatte, kichernde Teenies in Minirock und High-Heels und ein kräftiger Mann mit Walkie-Talkie am Ohr. Möglicherweise ein Handwerker, vielleicht auch jemand von der Security. 320 Kinder und Jugendliche aus wahrscheinlich gutem, mit Sicherheit aber wohlhabendem Hause brauchen Schutz. Selbst an dieser friedlichen Stätte des Lernens in der beschaulichen Ostschweiz, was Eltern aus dem unsicheren Ausland ohne Zweifel für einen wertvollen Standortvorteil halten.

Die Kundschaft schätzt Diskretion

«Das ist es, ganz klar», bestätigt Otto Albert Ekkehard Gademann wenig später in seinem Büro, ohne weiter ins Detail zu gehen. Überhaupt verliert der Inhaber des Instituts kaum ein Wort über seine Klientel. Er und die ihm Anvertrauten leben von der Diskretion. Die Leiter anderer Eliteinternate schmücken ihre Büros mit den Porträts prominenter Eltern und prominent gewordener Schüler. Nichts davon im Büro des VR-Präsidenten. Gegenüber dem weissen Schleiflack-Schreibtisch von Gademann II. hängt Gademann I. in Öl. Begründer und Bewahrer einer Dynastie, Grossvater und Enkel sind einander zum Verwechseln ähnlich. Die benachbarten Wände zeigen Miniaturen und historische Schlachtszenen. Im Gegensatz zum Chef des Hauses wirkt der Raum unaufgeräumt. Auf einem kleinen Tischchen schmiegt sich das künftige Verpflegungskonzept des Hauses an eine Dose Motorenöl. Man sieht: Hier wird nicht nur präsidiert, sondern gearbeitet.

Institut auf dem Rosenberg

1889 gründete Ulrich Schmidt das ‹Institut Dr. Schmidt›. Um die Jahrhundertwende herum erlebte die Schule eine erste Glanzzeit. Der Erste Weltkrieg und der Tod des Gründers im Jahre 1924 brachten das Institut in eine schwierige Lage, die unter anderem durch die Umwandlung in eine Stiftung aufgefangen werden konnte. Seit der Übernahme des Instituts durch Otto Gademann I. im Jahre 1930 firmiert die Schule als Institut auf dem Rosenberg. An ihrer Spitze stand bis 1954 der Grossvater des heutigen Leiters, Otto Gademann I., auf ihn folgte sein Sohn Karl und danach der Enkel Otto Gademann II. Der Rosenberg-Campus liegt in einem Villenviertel auf den Höhenzügen von St. Gallen und umfasst ein Areal von mehr als 100000 m2. Gegliedert in fünf Abteilungen, können hier alle Matura-Formen nach schweizerischem, deutschem, italienischem, britischem und amerikanischem Recht abgelegt werden. Rund 70 haupt- und 35 nebenberuflich tätige Lehrer und Erzieher sowie 70 Pädagogen für die Sommerkurse betreuen 320 Internatszöglinge sowie einige Dutzend externe Schüler. Das Schuljahr auf dem Rosenberg kostet 66000 Schweizer Franken. Über den wirtschaftlichen Erfolg schweigt Otto Gademann fein stille. Nur so viel lässt er sich entlocken: «Seit der Öffnung des Eisernen Vorhangs geht es uns ganz vorzüglich.»

Bei guter Leistung und Wohlverhalten lockt eine Ausfahrt im Bentley

Seit fast schon 120 Jahren sind die Bürger von St. Gallen mit dem Anblick der Rosenberg-Schüler im Stadtbild vertraut. Man erkennt sie sofort: viele an ihrer offensichtlich unterschiedlichen Herkunft, alle an der gepflegten Kleidung – die Jungen stets in Anzug und Krawatte, die Mädchen sommers und sonntags stets in Röcken –, der Vorliebe für Kreditkarten und am mehrheitlich guten Benehmen. Das wird auf dem Rosenberg mit geldwerten Vorteilen sanktioniert. Für gute schulische Leistungen und Wohlverhalten öffnet sich der institutseigene Fuhrpark, Ausfahrten mit dem Bentley oder der Stretchlimousine stehen bei den Schülern in hoher Gunst.

Entsprechend wird, wer sich daneben benimmt, weder zu Küchendienst noch zu sozialer Arbeit verdonnert, sondern ermahnt, gerügt, ultimativ verwarnt oder vom Internat ausgeschlossen, in just dieser Eskalationskette. Oder, so warnt die 21 Seiten starke Hausordnung vor, zur Kasse gebeten. Kleinere Bussen werden vom Taschengeld abgezogen, grössere den Eltern in Rechnung gestellt. Mit 50 Franken vergleichsweise preiswert ist ein Verstoss gegen das Rauchverbot, ernsthaftere Delikte werden mit saftigeren Strafzetteln geahndet. Eine Geldpädagogik? «Nun ja», sagt Otto Gademann fein lächelnd, «wie sonst soll man diese Kinder und Jugendliche auf die Welt vorbereiten, in die sie eines Tages eintreten werden? Sie sind das doch von klein auf so gewohnt. Was meinen Sie, welchen Ärger die Schüler mit ihren Eltern bekommen, wenn die später die Strafen auf der Abrechnung entdecken? Geld diszipliniert diese Kinder viel mehr als alles andere.»

Pestalozzi hat gesagt: Leben zu lernen, ist der Endzweck aller Erziehung. Dieser Satz findet sich auch im Prospekt und auf der Internetseite des Instituts auf dem Rosenberg. Wenn Pestalozzi Recht hat, hat Gademann auch Recht. Aber wie lange hält der pädagogische Einfluss nach vollbrachter Reifeprüfung bei den Jugendlichen an? Kopfschütteln: «Etwa fifty-fifty. Die einen behaltens ihr Leben lang, die anderen nicht.» Gewiss: Mancher mehrt das Familienvermögen, mancher behält es nicht. Wessen Erzeuger einen gepflegten Konkurs hinlegt, der verabschiedet sich still und unauffällig vom Rosenberg. Die Hausordnung untersagt die «Zurschaustellung persönlicher Gefühle».

Die Eltern der Zöglinge, die Kunden also, von denen viele selbst hier aufgewachsen sind, finden das vom Institut verlangte Mass an Disziplin für ihre eigenen Kinder angemessen. «Ohne konsequent eingeforderte Verhaltensregeln», betont Otto Gademann mit Nachdruck, «ist kein Zusammenleben möglich.» Er hält viel von Strategie und von den Regeln des Militärs, wie sie der 1780 geborene Graf von Clausewitz (bekanntestes Werk: «Vom Kriege») formulierte. «Eines meiner Steckenpferde», schiebt er jovial hinterher. Der Mann hat klare Vorstellungen von dem, was die Welt braucht und wie man es ihr geben könne. Immerhin ein paar Tausend Menschen hat er im Geiste dieser Botschaft erzogen – weitaus mehr, als viele Konzernlenker von sich sagen können.

Im Vergleich zu anderen Internaten  hohe Fluktuation beim Lehrkörper

Auf die vorbehaltlose Einhaltung und Einforderung von Disziplin besteht Gademann auch bei seinen mehr als 200 Mitarbeitenden – Pädagogen, Sportlehrer, Haus-, Küchen- und Verwaltungspersonal mit der nur äusserlich fragil wirkenden «Madame La Directrice» Monika A. Schmid an der Spitze. Das scheint der Lehrkörper nicht immer zu goutieren, die Fluktuation ist hoch verglichen mit anderen Internaten. «Ein Drittel der Lehrer bleibt ein Leben lang bei uns», rechnet Gademann vor, «ein Drittel ist nur für einige Zeit hier, und ein weiteres Drittel wird jährlich ausgetauscht.» Man müsse eben schon ein ganz besonderer Pädagoge sein, um Gefallen am Internatsleben zu finden. «Denn gleichzeitig Lehrer und Erzieher sollen sie sein», schreibt er seinen Pestalozzi fort, «vor allem muss ihnen die Arbeit mit jungen Menschen eine grosse Freude machen.»

Von seiner eigenen Tätigkeit erzählt Otto Gademann mit innerer Überzeugung. Die täglichen Begegnungen mit den Schülern im Speisesaal sind dem Chef des Hauses ebenso wichtig wie die Teilnahme an den sportlichen Ereignissen, neben dem alljährlichen «Rosenball» die absoluten Höhepunkte im Internatsleben. Dafür hat er seine Juristenkarriere Mitte der 70er Jahre gern an den Nagel gehängt. «Ich hatte keine ausgeprägte Spezialisierung», lacht er und gibt sich volksnah: «Damals musste man als Jurist alles machen. Ich fand gerade das sehr schön.»

Die meisten Schüler kommen aus Deutschland und Russland

1930 hatte Otto Gademann I. das Institut übernommen, ihm folgte sein Sohn Karl und auf diesen der heute auch schon 63 Jahre alte Enkel. In den Startlöchern für die Nachfolge steht der 29-jährige Sohn Bernhard, Tochter Stephanie ist als Vollblutbankerin unabkömmlich. Wann sich Otto Gademann ins Privatleben zurückzuziehen gedenkt, sagt er nicht. Er schmunzelt nur. Ganz offensichtlich macht ihm seine Arbeit immer noch einen Riesenspass.

Über das Institut ist in den Medien höchst selten berichtet worden, und wenn, dann mit hechelnder Zunge über leicht verkäufliche Schlüssellochsujets. Dass hier das Geld zur Schule gehe. Dass die Sprösslinge reicher Oligarchen, Ölscheichs, Topmanager und der Herrscher über altes und vor allem neues Kapital hierher abgeschoben würden, weil deren Eltern anderes zu tun hätten, als sich um den Nachwuchs zu kümmern. Stimmt das? Jetzt strahlt der Senior auf dem Rosenberg, von den Schülern knapp «O.G.» tituliert, übers ganze Gesicht. Mit dieser Frage hat er gerechnet, er hält sich aber bei der Antwort bedeckt. «Mehr als die Hälfte unserer Schüler kommt aus Deutschland», lässt er sich entlocken, «viele aus Italien, die zweitstärkste Gruppe kommt aus Russland und den Gebieten der GUS, viele aus Asien und Lateinamerika.» Insider sagen etwas anderes. Auf dem Rosenberg gäben mittlerweile die russischstämmigen Kids den Ton an.

Gademann, einer der letzten überzeugten Zigarettenraucher in Mitteleuropa, hat sein juristisches Handwerkszeug nicht vergessen. Er weicht aus: «Der Aufenthalt in einem Internat ist für die Kinder sehr viel besser, als in zu behütenden, bedrohten oder zerrütteten Elternhäusern aufzuwachsen.» Auch die Diskussion um die «Eliten» bremst er freundlich, aber beinhart aus. «Elite ist, wer etwas aus seinem Leben macht. Wir wollen dafür eine solide und vernünftige Grundlage legen.»

Nach zwei Stunden beugt sich Otto Gademann II. folgsam und mit einer Engelsgeduld den Regieanweisungen des Fotografen. Nur eine einzige Bedingung stellt er: Im Hintergrund soll das Porträt seines Grossvaters zu sehen sein. Demut, Dankbarkeit, Stolz auf die Tradition? Otto Gademann lächelt nur. Vielleicht freut es ihn auch diebisch, dass auf diesen Aufnahmen zwei Gesichter zu erkennen sein werden. Ein konsequenter Stratege mit sicherem Marktgespür für das, was seine besorgte Klientel von ihm erwartet. Und ein sympathischer, humorvoller älterer Herr ohne Dünkel und Allüren.

Otto Gademann II.

Geboren am 4. März 1945, trat Otto Gademann mit 30 Jahren als Internatsleiter in die Fussstapfen seines Grossvaters und seines Vaters. Zwischen 1951 und 1964 war er selbst Schüler des Internats und studierte anschliessend Rechtswissenschaften an der Universität Bern. Von 1969 bis 1971 war der Jurist am Bezirksgericht Winterthur tätig, danach wechselte er in die Wirtschaft und arbeitete bis 1974 als Prokurist bei einer Immobilienholding. Seit 1983 ist Otto Gademann Präsident des Verwaltungsrats des Internats und der Sprachkurse Ariana AG mit Sommercamps in Arosa, Lenk, Seefeld und St. Gallen.

 

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