Gesamtarbeitsvertrag Personalverleih: Modernisierung der Temporärarbeit
Der Gesamtarbeitsvertrag (GAV) Personalverleih steht kurz vor der Inkraftsetzung. In ausführlichen Verhandlungen zwischen dem Branchenverband swissstaffing und mehreren Gewerkschaften (Unia, Syna, Angestellte Schweiz und KV Schweiz) ist es gelungen, ein Vertragswerk zu schaffen, das den Personalverleih umfassend regelt und modernisiert. Der GAV Personalverleih schafft für alle Beteiligten – temporäre Mitarbeitende, Personaldienstleister und Einsatzbetriebe – Vorteile, sei es in der beruflichen Weiterbildung, der Altersvorsorge und dem Krankheitsschutz oder der Administration.
Beweggründe: Selbstbestimmung statt Fremdbestimmung
Der Personalverleih ist ein sensibles Geschäft. Denn es geht dabei um Menschen und ihr Grundbedürfnis nach Arbeit bzw. Einkommen. Deshalb wird der Personalverleih vom Gesetzgeber gesondert behandelt. Bereits 1933 sah sich die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) veranlasst, die Vermittlung bzw. den Verleih von Stellensuchenden in einer Konvention zu thematisieren. Das Schweizer Parlament wurde 1989 aktiv und hat das Arbeitsvermittlungsgesetz (AVG) geschaffen. Von den Gewerkschaften erhält der Personalverleih seit Jahrzehnten besondere – um nicht zu sagen argwöhnische – Beachtung. Unter dem Druck der Kritiker des Personalverleihs wurde das AVG 2006 verschärft.
swissstaffing teilt die Auffassung, dass rechtliche Leitplanken es den Personaldienstleistern vereinfachen, dem anspruchsvollen Stellenvermittlungsauftrag gerecht zu werden. Die Frage ist, welche Gestalt diese Leitplanken haben.
In praktisch allen etablierten Marktwirtschaften ist der Personalverleih gesetzlich und in vielen westeuropäischen Staaten zusätzlich durch einen Gesamtarbeitsvertrag geregelt. Die Schweiz verfügt im internationalen Vergleich über ein liberales Arbeitsvermittlungsgesetz. Das AVG kennt keine Beschränkung der Temporärarbeit bezüglich der Dauer oder der Einsatzgebiete. Das Schweizer AVG ist allerdings insofern einschränkend, als es die Koalitionsfreiheit der Personalverleiher massiv verletzt. In einzigartiger Manier schreibt es nämlich vor, dass Personalverleiher die GAV der Einsatzbetriebe einhalten müssen (sofern vorhanden und allgemeinverbindlich). Das führt zu markanten Ineffizienzen und entzieht den Personaldienstleistern die Freiheit, selbstbestimmend über die Anstellungsbedingungen ihrer temporären Mitarbeitenden zu verfügen.
Das Schweizer Arbeitsrecht ist an sich subsidiär strukturiert. Das heisst, dass die Sozialpartner Vorrang haben vor dem Parlament bzw. Gesetz. Nur haben Gewerkschaften und Arbeitgeber in der Personalverleih-Branche bislang nicht zusammengefunden. Deshalb hat swissstaffing – mit der Zustimmung von 96 Prozent seiner Generalversammlung – beschlossen, den sozialpartnerschaftlichen Weg einzuschlagen. Das Ziel bestand darin, weitere, wahrscheinliche Verschärfungen des AVG zu verhindern und stattdessen das Zepter in die eigene Hand zu nehmen. Für die Personaldienstleister sollte ein einheitliches und zweckmässiges Regelsystem resultieren. Dies ist nun gelungen.
Die Eckwerte des GAV Personalverleih
Der Personalverleih erfolgt branchenübergreifend. Der GAV Personalverleih definiert deshalb im Bereich der Mindestlöhne und Arbeitszeitbestimmungen Schnittstellenregeln, um bestehende Branchenpraktiken nicht zu durchkreuzen: Die Mindestlöhne und Arbeitszeitbestimmungen der rund 80 allgemeinverbindlichen GAV sowie von 36 im Anhang 1 zum GAV Personalverleih gelistete (nicht allgemeinverbindliche) GAV haben sozusagen Vorrang bzw. wurden unverändert in den GAV Personalverleih integriert. In ausgewählten, sechs anderen Branchen (chemisch-pharmazeutische Industrie, Maschinenindustrie, grafische Industrie, Uhrenindustrie, Nahrungs- und Genussmittelindustrie, öffentlicher Verkehr) kommen dagegen keine Mindestlöhne zur Anwendung. Für alle übrigen Einsatzgebiete gelten die vom GAV Personalverleih selbst definierten Minimallöhne und Arbeitszeitregeln.
Für sämtliche temporäre Mitarbeitende und unabhängig von der Einsatzbranche einheitlich geregelt sind die berufliche Vorsorge, die Lohnausfallentschädigung bei Krankheit sowie der Weiterbildungs- und Vollzugsbeitrag. Temporäre Mitarbeitende in einem unbefristeten Einsatz oder einem befristeten Einsatz von länger als 13 Wochen sind der 2. Säule unterstellt. Dasselbe gilt für temporäre Mitarbeitende mit Kindern, unabhängig von der Dauer ihres Einsatzes. Somit besteht für Letztere ab der ersten Einsatzstunde auch eine zweisäulige Invaliditätsversicherung. Massgebend für die Einsatzdauer ist die Summe aller innerhalb von zwölf Monaten bei einem Personalverleiher geleisteten Einsatzwochen. Diese können sich auch auf mehrere Einsätze verteilen.
Rund zwei Drittel der temporären Mitarbeitenden fallen gemäss diesen Regeln unter das 2.-Säule-Obligatorium. Damit haben sie gemäss GAV Personalverleih im Krankheitsfall Anspruch auf 720 Krankentaggelder. Deasandere Drittel der in Kurzeinsätzen beschäftigten temporären Mitarbeitenden ist während 60 Tagen versichert.
Der Weiterbildungs- und Vollzugsbeitrag wurde über alle Einsatzbranchen harmonisiert und gilt neu für sämtliche Temporäreinsätze. Er beträgt 1 Lohnprozent und setzt sich aus 0,7 Prozent Arbeitnehmer- und 0,3 Prozent Arbeitgeberbeitrag zusammen. Der mit diesem Beitrag geäufnete Fonds unterstützt zu 40 Prozent die Weiterbildung von temporären Mitarbeitenden und ermöglicht zu weiteren 40 Prozent kostengünstige Arbeitnehmer- sowie Arbeitgeberprämien für die (oben genannte) Krankentaggeldversicherung. 20 Prozent der Fondsmittel werden für den Vollzug des GAV Personalverleih – in erster Linie Kontrollen – eingesetzt (siehe Grafik).
Ein modernes Regelwerk mit mannigfaltigen Vorteilen
Mit dem AVG war bislang nur rund ein Drittel der Temporäreinsätze von einem GAV erfasst. Das heisst, es herrschte von Gesetzes wegen eine Ungleichbehandlung der temporären Mitarbeitenden. Die beachtlichen GAV verfügen zudem über sehr unterschiedliche Bestimmungen, was für die Personalverleiher administrativ nicht einfach zu handhaben war. Bezüglich des Mindestlohnes macht eine Differenzierung zwar Sinn, weil das Lohnniveau von Branche zu Branche zum Teil stark variiert. Auf anderen Dimensionen – insbesondere dem Weiterbildungs- und Vollzugsbeitrag oder der Prämie für die Krankentaggeldversicherung – führte die Vielfalt hingegen nur zu unnötigem Administrationsaufwand. Hinzu kommt, dass die beitragsleistenden temporären Mitarbeitenden und Personalverleiher (anders als die Mitglieder der entsprechenden Branche) kaum eine Gegenleistung für die entrichteten Gelder erhielten.
Mit dem GAV Personalverleih wurde nun erstmals ein einheitliches und umfassendes Regelwerk geschaffen. Er gilt für sämtliche Temporäreinsätze, unabhängig von der Branche oder dem Vorhandensein eines anderen GAV. Wo möglich und sinnvoll, wurde eine Harmonisierung erzielt, um die Administration auf Seiten des Personalverleihers zu entlasten. Auch das Abrechnungsverfahren für die Weiterbildungs- und Vollzugsbeiträge wurde durch die Schaffung einer zentralen Stelle vereinfacht. Ferner wird die paritätische Kommission des GAV Personalverleih dafür sorgen, dass die Lohnbuchkontrollen in Zukunft koordiniert erfolgen. Der GAV Personalverleih bringt den Personaldienstleistern somit in verschiedener Hinsicht administrative Erleichterung.
Die Flexibilität, die Einsatzbetriebe durch die Temporärarbeit erhalten, bleibt vom GAV Personalverleih unangetastet. So wurde namentlich nichts an den Kündigungsfristen geändert. Die Sozialleistungen wurden vernünftig abgestuft, sodass weder ein Giesskannensystem noch Versicherungslücken entstehen. Die Grenze zwischen Kurz- und längeren Einsätzen liegt in Analogie zum Gesetz über die berufliche Vorsorge (BVG) bei 13 Wochen. Bis zu dieser Grenze erfolgt keine Unterstellung unter die 2. Säule und beträgt der Lohnausfallschutz bei Krankheit 60 Tage. Mitarbeitende, die nur kurz – etwa während der Ferien – temporär arbeiten, sind oft froh, einen möglichst grossen Teil des Lohnes ausbezahlt zu erhalten.
Bei längeren Temporäreinsätzen, die einer Festanstellung wesentlich näher kommen, gilt dagegen neu der volle Versicherungsschutz wie bei Festangestellten – und dies sowohl im Bereich Altersvorsorge als auch beim Krankentaggeld. Weil viele temporär Arbeitende mehrere Einsätze leisten, wurde ausserdem die Regel eingeführt, diese Einsätze zusammenzuzählen. Damit werden temporäre Mitarbeitende mit vielen Kurzeinsätzen gleich behandelt wie temporäre Mitarbeitende in einem langen Einsatz.
Ein Novum: Die Einführung des Weiterbildungsfonds
Viele temporäre Mitarbeitende profitieren mit dem GAV Personalverleih somit von einer besseren Altersvorsorge und einem längeren Lohnausfallschutz im Falle einer Erkrankung. Ihre Löhne sind branchenspezifisch geschützt. Das Novum schafft der GAV Personalverleih allerdings mit der Einführung des Weiterbildungsfonds für temporär Arbeitende, der über den GAV-Beitrag finanziert wird. Temporäre Mitarbeitende bzw. deren Personalverleiher erhalten auf Gesuch hin finanzielle Unterstützung für einen Weiterbildungskurs ihrer Wahl. Der Weiterbildungsfonds leistet darüber hinaus einen Beitrag an den Lohnausfall während des Weiterbildungskurses und allfällige Spesen für Verpflegung und Unterkunft.
Jede temporäre Arbeitskraft, die innert zwölf Monaten mindestens 22 Einsatztage geleistet (und in dieser Zeit GAV-Beiträge entrichtet) hat, ist bezugsberechtigt. Der Vielfalt der temporär Arbeitenden entsprechend werden Kurse aus verschiedensten Branchen unterstützt. Einziges Kriterium ist, dass die Weiterbildung auf die berufliche Entwicklung abzielt. Sie muss aber nicht im erlernten oder zuletzt ausgeübten Beruf erfolgen.
Der Trend am Arbeitsmarkt geht eindeutig in Richtung qualifizierter Profile. Die Anforderungen der Unternehmen steigen stetig. Die Förderung der Weiterbildung erfolgt deshalb aus der Überzeugung, dass Stellensuchende damit rascher und besser platziert werden können und darüber hinaus auch längerfristig ihre Arbeitsmarktfähigkeit stärken. Temporäre Mitarbeitende sowie Personalverleiher erhalten mit der Weiterbildungsförderung eine wertvolle Gegenleistung für den abgeführten GAV-Beitrag. Die Einsatzbetriebe erhalten einen zusätzlichen Kanal für ihre Suche nach gut ausgebildeten Fachkräften.