«Hybride Teams führen ist wie ein Sack Flöhe hüten»
Seit dem Wegfall der corona-bedingten Homeoffice-Pflicht sieht sich so manche Führungskraft mit den unterschiedlichsten Mitarbeiterwünschen konfrontiert, wo sie wann arbeiten möchten. Allen gerecht werden kann man nicht, angemessen reagieren schon. Ein Gespräch mit Barbara Liebermeister, Leiterin des Instituts für Führungskultur im digitalen Zeitalter.
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Was halten Sie von der Maxime: Jeder Mitarbeitende soll selbst entscheiden, wo er wann arbeiten möchte – zumindest sofern er nicht in einem Bereich arbeitet, in dem eine Präsenz unabdingbar ist.
Barbara Liebermeister: Theoretisch ist diese Maxime ganz ok. Doch heute wird die Unternehmensleistung oft in bereichsübergreifender Teamarbeit erbracht. Daraus ergeben sich auch Notwendigkeiten für die Zusammenarbeit, die nicht selten Präsenz erfordern. Also gilt es die Präsenzzeiten zu koordinieren.
Was vermutlich aufgrund der unterschiedlichen Wünsche schwierig ist.
Ja. In den zurückliegenden Wochen klagten mir etliche Führungskräfte ihr «Leid»: Die eine fühlte sich wie die Pflegedienstleiterin eines Krankenhauses, die darum betteln muss, dass die Mitarbeitenden in den Betrieb kommen. Ein anderer sagte zu mir: «Hybride Teams führen ist wie ein Sack Flöhe hüten.» Deshalb plädiere ich für Richtlinien in den Unternehmen, die einen Rahmen vorgeben.
Können Sie das etwas ausführen?
Ich habe den Eindruck, dass viele Führungskräfte – speziell in international tätigen Grossunternehmen – unterschätzen, wieviel Konfliktpotenzial das Arbeiten in hybriden Teams in sich birgt und welche Risiken damit verbunden sind. Ihre Meetings mit den Kollegen im In- und Ausland fanden schon vor Corona weitgehend virtuell statt, und das mehrheitlich erfolgreich. Also gehen sie unbewusst davon aus, dass dies auch auf anderen Ebenen funktioniert und übersehen dabei, dass dort die Arbeitsinhalte und Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit ganz andere sind.
Inwiefern?
Wenn sich das Top-Team eines Unternehmens virtuell trifft und dabei ein Teilnehmer in Zürich, eine anderere in London und ein weiterer in New York oder Shanghai sitzt, dann geht es in der Regel darum, sich über die strategische Marschrichtung zu verständigen und gewisse Grundsatzentscheide zu treffen. Das Top-Team hat also primär eine Steuerungs- und Koordinierungsfunktion, es ist aber kaum in den eigentlichen Leistungserbringungsprozess involviert – im Gegensatz zu den nachgeordneten Ebenen.
Sie haben von Konfliktpotenzial gesprochen. Haben Sie Beispiele dafür?
Einerseits gibt es Mitarbeitende, die sich selbst führen und organisieren können, andererseits auch solche, die das Eingebunden-sein in ein Team für ihre Motivation und Selbstorganisation brauchen. Erfahrene Führungskräfte wissen das, weshalb sie ihre Mitarbeitenden in der Vergangenheit schon abhängig von ihrer fachlichen und persönlichen Reife unterschiedlich geführt haben – was im Homeoffice schwieriger ist. Hinzu kommt die Frage, wem ich überhaupt und im welchem Umfang Homeoffice gestatte. Je nach Entscheid sind Konflikte vorprogrammiert.
Zumindest so lange, wie Führungskräfte keine betrieblichen Regelungen haben...
Genau. Hinzu kommt: Wenn ein grosser Teil der Mitarbeitenden weitgehend im Homeoffice arbeitet, müssen die Führungskräfte auch ihr Führungs- und Kommunikationsverhalten überdenken und neu justieren. Sie müssen viele Führungsroutinen – beispielsweise beim Delegieren von Aufgaben oder Feedback geben – sozusagen über Bord werfen und neue entwickeln. Das erfordert seine Zeit – auch, weil in vielen Betrieben noch keine solide hybride Arbeitskultur existiert.
Das klingt so, als hätten Sie Vorbehalte gegenüber hybridem Teamwork?
Im Gegenteil. In meinem Institut (Anm. d. Red.: IFIDZ, siehe Box) arbeiten wir seit dessen Gründung 2014 fast ausschliesslich virtuell zusammen. Ich plädiere jedoch dafür, dass den Führungskräften in der Übergangsphase in das «Neue Normal» die nötige Unterstützung seitens des Unternehmens gewährt wird. Zudem plädiere ich dafür, dass die Unternehmen beim Versuch, eine Kultur der hybriden Zusammenarbeit zu etablieren, auch die möglichen Folgewirkungen bedenken.
Was meinen Sie damit?
Zum Beispiel, wie sich das hybride Arbeiten auf die Identifikation mit dem Unternehmen auswirkt. Ich höre oft von Führungskräften, dass sie den Eindruck haben, dass der Teamspirit sinkt und die Wechselbereitschaft steigt. Mal angenommen ein Unternehmen stellt sich, weil seine Belegschaft zu 50 Prozent zuhause arbeiten, die logische Frage, ob dann noch jeder Mitarbeitende seinen eigenen Schreibtisch im Betrieb braucht. Rein rational betrachtet lautet die Antwort gewiss «nein». Damit verbunden ist jedoch die Frage, ob die Lust der Mitarbeitenden ins Büro zu kommen nicht eher sinkt, wenn sie keinen eigenen Platz mehr haben – und damit deren Identifikation mit dem Unternehmen. Schliesslich ist nicht jeder gern ein «digitaler Nomade».
Wie lautet Ihre Antwort?
Offen gesagt, haben wir noch keine abschliessende Antwort gefunden – ebenso wie auf viele andere Fragen, die mit dem hybriden Arbeiten verbunden sind. Dies unter anderem, weil ausser den Mitarbeitenden auch die Geschäftsmodelle der Unternehmen und somit ihre Bedürfnisse sehr verschieden sind. Deshalb müssen vermutlich auch die Lösungen individuell sein.
Barbara Liebermeister