20 Sekunden mit Anne Rüffer
Ein Buch: «Das Jahr magischen Denkens»
Ein Film: «The Straight Story»
Ein Lieblingsessen: Wiener Schnitzel mit
Gurkensalat
Ein Talisman: Das Lächeln meiner besten Freunde
Fragen in die Welt hinaustragen und Menschen zu Antworten ermutigen: Das ist es, was Anne Rüffer antreibt. Durch ihre Fragen wurde aus der ehemaligen Krankenschwester eine Autorin, Verlegerin und Filmemacherin. Eine Frau des Wortes, die sich immer wieder mit Menschen in Grenzsituationen beschäftigt.
Anne Rüffer: «Über vieles wird geredet. Doch wo bleiben die Taten, um Dinge zu verändern?» (Foto: Sabine Schritt)
Das geschriebene Wort hat von jeher eine grosse Bedeutung in Anne Rüffers Leben. Doch es braucht einige Umwege, bis sie sich mit ihrem eigenen Verlag einen Traum erfüllt. Schon als Schülerin schreibt sie ihre Gedanken auf und noch heute packt sie Gedanken gerne in die Schriftform. Sie ist fasziniert, wenn jemand mit Sprache spielen kann und sich in ihrer ganzen Vielfältigkeit auszudrücken vermag. «Das ist ganz hohe Kunst», schwärmt sie. Spätestens bei diesen Sätzen wird klar: Für die grosse, kühne Blonde ist ihre Arbeit viel mehr als nur Arbeit. So zurückhaltend die Farben sind, in denen sie gekleidet ist, so unaufdringlich spricht sie auch über ihre Leidenschaft des Büchermachens.
Rüffer wächst im deutschen Langerwehe auf, ein Ort irgendwo zwischen Köln und Aachen. In dem «kleinen Kaff» besucht sie das Gymnasium und verdient sich ihr erstes Geld, indem sie Zeitungen austrägt und Altmetall sammelt. Für ein Kilo Altpapier gibt es 50 Pfennige. «Mein Vater hat mir das Taschengeld gestrichen, weil er mich beim Rauchen erwischt hat, so musste ich mir etwas einfallen lassen», erinnert sie sich schmunzelnd.
Als Tochter eines Tierarztes mit drei Geschwistern, die alle ein Medizinstudium absolvieren, scheint ihr beruflicher Weg vorgezeichnet. Rüffer macht eine Ausbildung zur Krankenschwester. «Mir fiel nichts Besseres ein.» Auf der Suche nach einer festen Anstellung erhält sie aus Zürich das beste Angebot. Keine Frage, sie zieht in die Schweiz. Das ist am 1. September 1978. Noch heute sieht sie es vor sich, als sei es gestern gewesen. In einem gelben Ford Fiesta mit allem drin, was sie besitzt, kommt sie in Zürich an. «Bis heute habe ich keine grossen Besitztümer angehäuft.» Mit Kommerz hat Rüffer wenig am Hut. Sonst könnte sie wahrscheinlich nicht mit dieser Passion ihrer Arbeit nachgehen, wie sie es tagtäglich tue, sagt sie.
«Da stecken Sie in ein Buchprojekt anderthalb Jahre Zeit und Manpower hinein mit der Idee, dass irgendjemand einmal 40 Franken für ein fertiges Buch zahlt. Jeder Banker schüttelt da den Kopf.» Diese seien es auch, die sie auf Veranstaltungen mit Bemerkungen bombardierten wie: «Sie haben sich aber ein schweres Business ausgesucht.» Dann sagt sie immer: «Ich habe gar kein Business, ich mache Charity auf höchstem geistigem Niveau.» Die Anschlussfrage ist meistens: «Aber rentiert denn das?» Und das wiederum, ist Rüffer überzeugt, komme auf die Massstäbe an. «Nach den klassischen Massstäben wohl nicht, aber wenn ich einen sozialen Massstab zugrunde lege, rentiert es sehr wohl.»
Der Weg der Krankenschwester führt an diverse Klinikstationen. Unter anderem absolviert sie eine Weiterbildung in der Anästhesie. Immer wieder wird sie mit dem logischen nächsten Schritt konfrontiert: dem Medizinstudium. Aber Rüffer selbst sieht sich dort gar nicht. Zu viele Fragen treiben sie um, die sie beantwortet haben will. «Gerne wäre ich in den Journalismus gewechselt», erzählt sie. Während einer Nachtschicht im Spital, zu einer Zeit, wo man todmüde ist und trotzdem hellwach, überlegt sie gemeinsam mit einem Kollegen, wie es weiter gehen könne. «Werbung» könnte die Alternative heissen, weil Rüffer als Ausländerin Schwierigkeiten hat, an den Journalismus-Schulen der Schweiz angenommen zu werden.
«Mit null Schimmer von Werbung», wie sie sagt, geht sie schnurstracks auf die Agenturen zu. Manche wundern sich, andere belächeln sie. Doch eine Agentur engagiert Rüffer als Junior-Text-Praktikantin. In einem Büro, das einer Abstellkammer gleicht, textet die junge Frau fortan Zweizeiler wie am Fliessband. Mit einigen unvergesslichen Erinnerungen. «Zum Beispiel die Neueinführung diverser Quick-Lunch-Suppen», lacht sie. «Hört sich zwar blöd an, ist aber sehr anspruchsvoll.» Später steigt sie von der Praktikantin zur Texterin auf. 1985 gründet sie mit ihrem damaligen Lebenspartner eine Werbeagentur. 1994 trennt sie sich von Partner und Agentur und beginnt freie Reportagen zu schreiben, unter anderem für die Weltwoche.
1999 arbeitet sie für den Scherz Verlag an einem Buch über das Leben einer Frau mit Schizophrenie und merkt: So viele Themen haben sich angesammelt, das kann sie unmöglich alles selbst schreiben. Diese Überlegung bringt sie dazu, dem Zürcher Haffmans Verlag eine Sachbuchabteilung vorzuschlagen. Mit Margit Sprecher, die sie aus ihrer Arbeit bei der Weltwoche kennt, und die sie noch heute als Vorbild für herausragenden Journalismus nennt, realisiert sie das Buch «Leben und Sterben im Todestrakt.» Auch das Buch «Mittendrin und nicht dabei» über Menschen mit Depressionen erscheint dort unter ihrer Führung. In ihrer Zeit bei Haffmans lernt Rüffer die freie Lektorin und ehemalige Tagesschau-Moderatorin Dominique Rub kennen. Mit ihr verbinden sie die gleichen Werte. Eine Beziehung, die Zukunft haben sollte.
Als die Haffmans-Ära zu Ende geht, denkt sie sich: Nun bin ich 43, jetzt springe ich mal. Mit Dominique Rub gründet sie im Jahr 2000 den Sachbuchverlag Rüffer und Rub. Während Rub sich in den letzten Jahren ins Privatleben zurückzieht, ist Rüffer das öffentliche Gesicht des Verlages. Damit nicht genug. Sie ist ehrenamtlich Präsidentin des Zürcher Ausländerbeirats. Dabei fühlt sie sich selbst schon als ganze Schweizerin. So wird ihre Arbeit im Beirat durch zwei Perspektiven beflügelt. In dem Gremium entstand auch die Initiative «Migration gleich Chance», im Rahmen derer ausländische Unternehmer fit gemacht werden, Jugendliche mit Migrationshintergrund auszubilden. Ausserdem ist Rüffer Stiftungsrätin in der Right Livelihood Foundation Switzerland, besser bekannt als Alternativer Nobelpreis, wo sie zudem als Mitglied der international besetzten 11köpfigen Jury tätig ist.
Das Buch über ihr eigenes Leben könnte heissen: Solange es Fragen gibt. Man hat das Gefühl, am liebsten würde sie die ganze Welt retten. Doch damit, erzählt sie, sei sie schon manches Mal gegen die Wand gelaufen. Viele Illusionen hat dies gekostet, ihren Idealismus hat sie aber nicht verloren. Am liebsten sähe sie eine Amtsstelle für gesellschaftliche Verantwortung, die die Menschen dazu bringt, wieder richtig hinzuhören und richtig hinzuschauen und vor allem zu handeln. «Über vieles wird geredet. Doch wo bleiben die Taten, um Dinge zu verändern?»
Während sie ihren Verlag aufbaut, entdeckt Rüffer ihre Lust am Filmemachen. Sie ist da relativ unerschrocken. Wenn sie von etwas überzeugt ist, geht sie drauf los. Dabei ist sie trotzdem sehr besonnen, überrollt ihr Gegenüber nicht und ist stets argumentativ stark gerüstet. «Ich habe auch nie den Drang, dass etwas unbedingt sein muss», sagt sie. Damit bleibt sie unabhängig, sieht es so: «Ich mache ein Angebot. Take it or leave it». Das Schweizer Fernsehen nahm ihr Angebot an. Zwischen 1998 und 2008 realisiert sie zehn Dok-Filme und findet damit eine weitere Form für das, was sie immer schon tun wollte: Fragen in die Welt hinaustragen und Menschen zu Antworten ermutigen.
Dass sie sich in ihrem Verlagsprogramm und mit ihren eigenen Arbeiten stark medizinischen Themen widmet, ist bei ihrem Hintergrund nicht verwunderlich. Einer ihrer Brüder ist Onkologe. Über einen seiner Krebspatienten gibt sie das Buch heraus: «Das Jahr, in dem ich nur spazieren ging.» Immer wieder beschäftigt sie sich für ihre Arbeit mit Menschen in Grenzsituationen. Unheilbare Krankheiten, Wachkoma, Schizophrenie oder Magersucht sind Themen ihrer Sozialreportagen, die sie auch in Beiträgen für die Dok-Reihe des Schweizer Fernsehens verarbeitet. Komplexe Themen, die nicht ohne Nachwirkung bleiben. Rüffer wird jetzt ganz nachdenklich. Nein, traurig mache sie ihre Arbeit nicht. «Aber man wird beim genauen Hinschauen damit konfrontiert, wie man von einem auf den anderen Moment aus seinem privilegierten Dasein hinaus katapultiert werden kann.»
Ist sie ein Glückskind? «Ja, aber es stecken auch sehr viel Arbeit und viel Verzicht dahinter.» Dabei kommt es ihr zugute, dass sie nicht an Besitz interessiert ist. Die Räumlichkeiten des Verlages befinden sich in ihrer ehemaligen Wohnung am Zürcher Römerhof. «Dort war mal mein Schlafzimmer», deutet sie auf ein mit Büchern vollgestopftes Zimmer. Als der Verlag wächst, hat sie Glück und kann ihre Privaträume in der Wohnung darüber einrichten. Ein kurzer Arbeitsweg und die direkte Nähe zum Verlag lassen erahnen, dass es eine wirkliche Trennung nicht gibt. Sie steuert ihren Verlag mit bescheidenen Mitteln und ist froh, wenn die nächsten drei Monate gesichert sind. «Buchgeschäft ist Dauerkrise.»
Um den Verlag auf wirtschaftlich stabilere Füsse zu stellen, gründet sie mit zwei Partnerinnen die «Manuskript Oase». Diese bietet Coaching an für Menschen, die ein Buch schreiben möchten. Erstaunt ist sie über das hohe Niveau der Ideen und Manuskripte, mit denen die Menschen kommen. Den Roman «Bad Banker» von Markus Will hat sie anderthalb Jahre begleitet und schliesslich an einen auf Krimis spezialisierten Verlag vermittelt. «Ich bin aber keine Agentin, die mit dem Manuskript herumrennt», betont sie. Ein weiteres Standbein gründet sie 2008 mit der Anwältin Gitti Hug, den Römerhof Verlag. Dieser ist ausschliesslich auf Biografien spezialisiert und schliesst eine Lücke im Verlagsangebot.
Verlegerin ist Rüffer immer und überall. Ständig fährt sie ihre Antennen aus nach künftigen Helden ihrer Bücher. Die Leser können also gespannt sein – und froh, dass die emsige Verlegerin nicht doch noch Medizin studiert hat.
ist Buchautorin, Filmemacherin und Verlegerin. Nachdem sie einige Jahre im Kommunikationsbereich tätig gewesen war, realisierte sie als freie Journalistin und Autorin mehrere Bücher und Dokumentarfilme über gesellschaftliche Themen. Anschliessend wechselte sie ins Verlagsgeschäft. Im Jahr 2000 gründete sie mit Dominique Rub den Sachbuchverlag Rüffer und Rub, der mittlerweile sieben Angestellte beschäftigt. Das Verlagsprogramm umfasst derzeit rund 60 vorrangig sozialkritische Werke. Darunter «Monika Hauser – Nicht aufhören anzufangen. Eine Ärztin im Einsatz für kriegstraumatisierte Frauen» von Chantal Louis und «Schleudertrauma. Das unterschätzte Risiko» von Renata Huonker. Gerade erschienen ist «Victory und Vekselberg. Der Poker um die Schweizer Industrie» von Alice Chalupny über die Geschichte von vier Investoren, die die Schweizer Wirtschaft drei Jahre lang in Atem hielten.
Anne Rüffer, Buchautorin, Verlegerin und Filmemacherin. (Foto: Sabine Schritt)
20 Sekunden mit Anne Rüffer
Ein Buch: «Das Jahr magischen Denkens»
Ein Film: «The Straight Story»
Ein Lieblingsessen: Wiener Schnitzel mit
Gurkensalat
Ein Talisman: Das Lächeln meiner besten Freunde