Lernende Organisation

Learning Organization: Am Ende 
singen alle die gleiche Melodie

Aus Fehlern wird man klug, heisst es. Doch dazu muss eine Organisation auch in der Lage sein, 
aus diesen Fehlern zu lernen. Wie sich ein solcher Lernprozess über verschiedene Divisionen und 
Kontinente hinweg aufgleisen lässt, beschreibt das Firmenbeispiel der Swisslog.

Der Begriff der «lernenden Organisation», im Folgenden LO abgekürzt, wurde 1990 von Peter Senge in seinem Buch «The Fifth Discipline» geprägt. Es geht dabei um Organisa-tionen, die nicht nur lernfähig sind, sondern möglichst alle Gelegenheiten aktiv nutzen, um relevante Erfahrungen einzelner Teams anderen Mitgliedern der Organisation verfügbar zu machen und damit die Innovationskraft und letztlich die Ergebnisse nachhaltig zu verbessern.

Damit die gemeinsame Nutzung von Wissen möglich ist, braucht es zunächst einmal eine klare Vision über die Ausrichtung der Organisation und deren strategische Prioritäten. Weitere Voraussetzungen, damit sich auf dieser Basis eine lernende Organisation entwickeln kann, sind erstens eine Unternehmenskultur, die ein lernförderndes Umfeld bietet, zweitens konkrete Instrumente und Prozesse, die Lernen unterstützen, und drittens ein Management, das durch eigenes Beispiel Lernen fordert und fördert.

Entscheidend ist, dass sich die Führung einer Organisation von der einseitigen Fokussierung auf die quantitative Messung von Erfolg lösen und relevante Lernerfahrungen ebenfalls hoch gewichten muss. In der Geschäftsleitung einer lernenden Organisation dürfen deswegen nicht nur die Ergebnisse zum Beispiel einer strategischen Initiative diskutiert und gewürdigt werden, sondern auch die Lerneffekte, die von den Beteiligten dieser Initiative erzielt wurden. Damit diese Lerneffekte auch sonst im Unternehmen systematisch zum Tragen gebracht werden können, braucht eine lernende Organisation entsprechende geeignete Instrumente.

Der Business Case dahinter: 
warum Swisslog das Thema aufgriff

Swisslog wurde 2010 damit konfrontiert, dass die Kunden eines Geschäftsbereichs einer Division die bei ihnen installierten Systeme oder Lösungen nicht bezahlten, weil diese nicht so funktionierten wie im Pflichtenheft abgemacht. Die ergriffenen Massnahmen, um die Systeme im Nachhinein mühsam und teuer nachzubessern und mit den Kunden doch noch einvernehmliche Lösungen zu finden, haben dem Geschäftsbereich hohe Verluste beschert. Die Analyse aus HR-Sicht hat erkennen lassen, dass vieles von dem, was bereits zuvor falsch gelaufen war, unter dem Thema «fehlende lernende Organisation» zusammengefasst werden kann.

Lancierung und Behandlung des Themas

Diese Erkenntnis veranlasste den CEO, das Thema Learning Organization prominent auf die 2010er-Agenda des jährlich stattfindenden globalen Management-Meetings mit den 
obersten 70 Führungskräften zu nehmen. Die Autoren wurden beauftragt, ein Konzept zu entwerfen mit dem Ziel, am Management-Meeting den Spatenstich zu machen für eine Entwicklung, an deren Ende das Unternehmen eine exzellente LO sein sollte. Dabei sollte auf Bestehendem aufgebaut werden, war Swisslog doch bereits eine – wenn auch nur durchschnittlich gute – lernende Organisation.

Durchgeführt wurde ein eintägiger Event mit einem World Café im Zentrum. Die 70 Teilnehmer diskutierten die folgenden Themengebiete: 1) Beschreiben der zukünftigen Swisslog als LO; 2) Beschreiben der Vorteile für die Swisslog; 3) Definieren der nötigen Schritte und Massnahmen, damit Swisslog eine exzellente LO wird. Die Methode des World Café wurde gewählt, weil sie exemplarisch ist für eine LO: Sie ermöglicht das Sammeln, Austauschen und Diskutieren von unterschiedlichem Wissen in kurzer Zeit. Im Anschluss an das World Café wurden die auf Flipcharts festgehaltenen Diskussionsinhalte in einer «Gallery Tour» zur Besichtigung für alle Teilnehmer ausgestellt. Die Teilnehmer erhielten den Auftrag, ein bis zwei gute Ideen festzuhalten, die sie – zurück in ihren Organisationseinheiten – umsetzen würden. Die LO-Kerngruppe, die für den Anlass ins Leben gerufen wurde, machte sich im Anschluss an das globale Management-Meeting an die Auswertung des umfangreichen, auf über 200 Flipcharts festgehaltenen Materials.

Der anschliessend von der LO-Kerngruppe der Gruppenleitung vorgelegte und akzeptierte Vorschlag umfasste zweierlei: die Themen, die weiterbehandelt werden sollen, und das Vorgehen, um das Ziel, eine exzellente LO zu werden, zu erreichen.

Es wurden vier LO-Initiativen als weltweite LO-Agenda 2011 definiert:

1. Festlegen von global verbindlichen, LO-unterstützenden Verhaltensweisen. Auf der Basis der vielen am World Café diskutierten Verhaltensaspekte wurden sieben Verhaltensweisen definiert, die diesen Prozess unterstützen, die so genannten «LO supporting behaviors». Dazu wurde ein auf diesen Verhaltensweisen basierendes 360-Grad-Feedback-Tool entwickelt, das sogleich auf Gruppenleitungs- und Divisionsebene eingesetzt wurde.
Die sieben Learning Behaviors:

  • 
Gemeinsame Nutzung von Know-how fördern
  • 
Kritisches Nachdenken (Reflexion) integrieren
  • 
Schuldzuweisungen vermeiden
  • 
Offenheit zeigen
  • 
Arroganz des Allwissenden vermeiden
  • 
Silodenken vermeiden
  • 
Kalkulierte Risiken eingehen

2. Integrieren des LO Themas in den bestehenden globalen Performance-Management-Prozess. In den kommenden Jahren müssen alle Linienvorgesetzten ein LO-Ziel für ihre Einheit definieren und alle Mitarbeiter ein persönliches LO-Verhaltensziel. Die sieben Verhaltensweisen wurden formal in den Performance-Management-Prozess integriert.

3. Integrieren des LO Themas in das laufende Informationstechnologie-Projekt «Unified Communication and Collaboration». Ziel dieses Projekts ist es, die sich bei Swisslog im Einsatz befindenden Versionen von MS Office zu harmonisieren und mit Sharepoint 2.0 eine Intranetlösung zu implementieren, welche die Informationspublika
tion sowie die Kollaboration erleichtert und fördert.

4. Bereitstellen einer Ideen-Box. Um LO greifbar zu machen, wurden eine Reihe von konkreten Massnahmen zur direkten Anwendung empfohlen, darunter regelmässiges Durchführen von Debriefings nach Sitzungen, LO als Agenda-Punkt von Management-Meetings, institutionalisierter Info-Austausch zwischen Mitarbeitern «benachbarter» Abteilungen (z. B. Software-Ingenieure der Entwicklung, der Projektrealisierung und des Customer Supports), Aufarbeitung/Kommunikation von Erfolgen respektive Misserfolgen.

Die Wichtigkeit, eine exzellente LO zu werden, sowie die Botschaft der vier Initiativen wurden vom CEO in einem so genannten CEO-Letter weltweit an die Mitarbeiter kommuniziert (und später wiederholt) und von den Divisionsleitern in ihren Management-Meetings regelmässig thematisiert. Trotz diesen zentral gesteuerten Initiativen war von Anfang an klar, dass die Organisationseinheiten grosse Freiheiten haben sollten, um das Thema auf ihre Weise umzusetzen. Um das zu erreichen, wurden weltweit in allen Einheiten sogenannte LO-Aktivisten-Teams gebildet und ausgebildet.

Ziel, Rolle und Aufgaben der 
LO-Aktivisten

In jeder Swisslog-Einheit wurde ein LO-Aktivisten-Team ins Leben gerufen. Dieses besteht aus dem HR Manager, dem Quality Manager und mindestens zwei Linien-Vorgesetzten. Die so gebildeten rund 15 Teams mit rund 75 Swisslog-Mitarbeitern wurden von der LO-Kerngruppe, dem die beiden Autoren angehören, in vier Webinars intensiv geschult. Die LO-Aktivisten lernten so, die «Tasten des LO-Klaviers» zu spielen. Den LO Aktivisten wurde als Ziel mitgegeben, eine für ihre Einheit passende «LO-Melodie» zu komponieren, welche natürlich mit ihrem Management abgestimmt sein würde, dann die «LO-Melodie» in ihrer Einheit zu spielen – und zwar so oft, bis die Mitarbeiter die «LO-Melodie» ebenfalls mitzusingen begännen. Auf diese Weise soll die Belegschaft motiviert und überzeugt werden. Die Aufgaben der LO-Aktivisten sind in der Grafik 1 auf Seite 49 sichtbar.

Die Rolle der LO-Aktivisten besteht also darin, sich ergänzend zum Management im Sinne von Multiplikatoren so zu verhalten, dass die Entwicklung der Einheit in eine lernende Organisation sukzessive stattfindet. Im Vordergrund stehen das kontinuierliche Aufklären, das Impulsesetzen, das eigene «Vorleben» sowie An-die-Kandare-nehmen des lokalen Führungsteams. Das LO-Kernteam steht den LO-Aktivisten beratend zur Seite und fördert den Austausch unter den LO-Aktivisten-Teams.

Halbzeit: was bisher gemacht 
und erreicht wurde

Die vier LO-Initiativen, welche die weltweite LO-Agenda 2011 definierten, sind unterschiedlich weit gediehen.

Die erste Initiative, die sieben Learning Behaviors, ist mittlerweile sehr gut im Unternehmen umgesetzt. Führungskräfte und Mitarbeiter referenzieren immer wieder auf die einzelnen Postulate. Diejenigen, die selber bereits ein 360-Grad-Feedback gemacht haben, sind sich ihrer Stärken und Schwächen bewusst und arbeiten an Verbesserungen. Änderungen im Verhalten sind allerdings schwierig umzusetzen; es wäre vermessen zu erwarten, das in den Learning Behaviors kritisierte Verhalten sei vollständig und flächendeckend verschwunden. Es ist jedoch deutlich seltener geworden, und wenn es vorkommt, wird es klarer wahrgenommen und angesprochen.

Die zweite Initiative, die Nutzung des Performance-Management-Prozesses als LO-Verstärker, wurde formal gut umgesetzt: Die 
meisten Swisslog-Mitarbeiter vereinbarten ein LO-Ziel. Die Qualität dieser LO-Ziele ist allerdings sehr unterschiedlich; sehr viele Ziele beziehen sich – weniger kreativ – auf die eigene Weiterbildung und damit auf ein enges Bild von LO. Ein vom LO-Kernteam zur Verfügung gestellter Katalog mit beispielhaften Zielsetzungen, welche das ganze LO-Spektrum abdecken, wird für den nächsten Durchgang des Performance-Managements eingesetzt.

Die dritte Initiative, die Integration von LO in das weitreichende laufende IT-Projekt, ist planmässig weiter gediehen, aber noch nicht vollständig umgesetzt.

Die vierte Initiative, die Bereitstellung/Implementierung sicht- und greifbarer LO-unterstützender Aktionen, wurde mit viel Kreativität und Herzblut auf ganz unterschiedliche Weise in den Einheiten umgesetzt. In Grafik 2 ist eine Auswahl dieser dezentralen LO Aktivitäten dargestellt.

Alles in allem ist die Gruppenleitung durchaus zufrieden mit dem, was im ersten Jahr erreicht wurde. Das Thema ist bei grossen Teilen der Mitarbeiter angekommen; Auseinandersetzungen und Diskussionen finden statt. Die Offenheit, (selbst-)kritisch über Erfolge und Misserfolge zu sprechen, hat zugenommen. Die «Zange» aus Management und LO-Aktivisten hat funktioniert.

Herausforderungen auf dem weiteren Weg zu einer lernenden Organisation

Jede Offenheit hat aber natürliche Grenzen. Insofern besteht eine der Herausforderungen auf dem Weg zu einer lernenden Organisation darin, eine Art «kontrollierte Offenheit» zu entwickeln, welche den respektvollen Umgang miteinander sicherstellt und auch kulturelle Unterschiede einbezieht. Das setzt ein hohes Mass an Vertrauen innerhalb des Unternehmens voraus. Ausserdem: Es gilt das Risiko, nicht dazuzulernen, abzuwägen gegen das Risiko, unter Umständen wettbewerbsrelevante Informationen nicht mehr bis ins letzte Detail kontrollieren zu können.

Der Weg ist das Ziel – das gilt für lernende Organisationen in besonderer Weise. Die Initiative zur Etablierung einer lernenden Organisation muss sich – wie bei Swisslog – so schnell wie möglich ganz selbstverständlich auflösen und in den betrieblichen Alltag integrieren, denn Lernen ist keine Sonderaufgabe, sondern kann nur wirken, wenn es zu einer Grundeinstellung, zu einem Bestandteil der Unternehmenskultur geworden ist. Die LO-Initiative wurde daher bewusst auch nie als Projekt bezeichnet.

Wirklich lernende Organisationen erkennt man an der Haltung ihrer Führung zum Lernen. Und wo kann man Aktionismus von Haltung besser unterscheiden als in Krisensituationen? In guten Zeiten zu lernen, ist relativ einfach, aber wenn zum Beispiel die Umsätze zurückgehen oder die Kosten ausser Kontrolle zu geraten drohen, dann braucht es eben diese Grundhaltung einer lernenden Organisation. Dann stellt man nämlich fest, ob Lernen ein «Extra» ist, das man «einsparen» kann, oder ob es integrierter Teil der Denkhaltung in der gesamten Organisation geworden ist.

Personalpolitisch ist es die Herausforderung, LO in den Business- und Support-Prozessen, in den Denk- und Handelsweisen sowie der Kollaboration und Kommunikation aller Mitarbeiter auf ungezwungene Weise allgegenwärtig werden zu lassen. Swisslog ist auf gutem Weg, dies zu erreichen.

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Matthias Mölleney ist Inhaber der HR-Strategieberatung peopleXpert GmbH, Leiter der Centers für HRM & Leadership an der Hochschule für Wirtschaft Zürich und Präsident der Zürcher Gesellschaft für Personal-Management. Zudem ist er Autor zahlreicher Fachartikel sowie des Buches «Die Zukunft möglich machen».

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Dr. Philipp Uschatz ist Executive Vice President Human Resources bei Swisslog. Der Maschineningenieur ETH arbeitete davor als Head Corporate HR bei der Geberit und in verschiedenen HR-Funktionen bei der Siemens Schweiz.

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