«Manager sein ist kein Statussymbol, sondern ein Beruf»
Gute Manager können zuhören, sorgen für transparente und faire Arbeitsprozesse und kümmern sich in erster Linie um ihre Mitarbeitenden, nicht um sich selbst. Gemäss Les Hayman, SAP Ambassador und ehemaliger Head of SAP Global HR, werden gute Manager primär im eigenen Unternehmen entwickelt und kommen nicht als externe Söldner ins Haus.

Les Hayman: «Anstatt ihren Mitarbeitern gut zuzuhören und mit Ratschlägen zur Seite zu stehen, lösen viele Führungskräfte die Probleme lieber gleich selber – ein ziemlich demotivierendes Signal.» (Bild: zVg)
Wie gelingt es Firmen, nicht nur die besten, sondern vor allem auch die motiviertesten Mitarbeiter für sich zu gewinnen?
Les Hayman: Dazu braucht es in erster Linie gute Manager. Denn Mitarbeiter kommen zwar zu einer Firma, weil deren Image oder Marke sie anspricht, doch über 70 Prozent verlassen das Unternehmen wieder, weil sie mit ihrem direkten Vorgesetzten nicht klarkommen.
Was ist denn ein guter Manager?
Das Wichtigste zuerst: Gute Manager fallen nicht vom Himmel, und Manager sein ist kein Statussymbol, sondern einfach ein Beruf, den man – vorausgesetzt, man verfügt über gewisse Grundvoraussetzungen – erlernen kann. Ein guter Manager ist vergleichbar mit einem guten Gärtner: Er pflegt seinen Garten – sprich sein Team – so gut, dass alles aufblüht, wächst und Früchte trägt.
Und welche Fähigkeiten braucht ein guter Manager dazu?
Er muss sich im Klaren darüber sein, dass er einen Job macht und nicht einen Titel trägt! Seine Aufgabe ist es, sich um seine Mitarbeiter zu kümmern und sich für diese zu interessieren. Er muss seinen Mitarbeitern Aufgaben und Herausforderungen bieten, die auf sie zugeschnitten sind und ihnen Freude machen.
Seine Leute müssen ihre Rolle verstehen, Spass an ihrem Job haben und nicht nur fürs Geld arbeiten. Denn Geld ist kein guter Motivator und vor allem auch kein Mittel, Mitarbeiter langfristig ans Unternehmen zu binden. Viel wichtiger sind Fairness, eine gelebte Feedbackkultur, ein offenes Ohr, Integrität, Vertrauen und ein gutes Arbeitsklima. Es ist Aufgabe des Managers, sein Team so zu gestalten, dass sich jeder Mitarbeiter getragen fühlt. Und ganz wichtig: Er muss die Leute ermutigen, keine Angst vor Fehlern zu haben.
Das tönt alles schön und gut. In der Realität präsentiert sich die Situation aber vielfach anders. Mitarbeiter werden eher wie Ware behandelt und nicht wie menschliche Wesen. Es scheint, als ob viele Führungskräfte Angst vor Menschen hätten…
Ich glaube nicht, dass es Angst ist, die zu dieser Situation führt. Vielmehr ist es die Tatsache, dass es unzählige Manager gibt, die ihre Leute nicht verstehen wollen. Ein Beispiel: Anstatt dass sie ihren Mitarbeitern bei Problemen gut zuhören und ihnen mit Ratschlägen bei der Lösung zur Seite stehen, lösen viele Führungskräfte die Probleme lieber gleich selber. Dies, um den Mitarbeitern und der restlichen Welt zu beweisen, dass sie die besten, schnellsten und effizientesten sind. Ein ziemlich demotivierendes Signal für Mitarbeiter.
Zur Grundaufgabe eines Managers gehört es meines Erachtens, das Daily Business zu delegieren, damit er genügend Zeit hat, sein Team entlang der Firmenstrategie zu entwickeln. Nur so kreiert er einen nachhaltigen Mehrwert für sein Unternehmen. Wer sich dafür entscheidet, Manager zu werden, muss nicht mehr der beste Programmierer, Forscher oder Verkäufer sein, sondern der beste People Manager. Und ganz wichtig: Es ist die Pflicht einer Führungskraft, dafür zu sorgen, alle Hürden, die die Mitarbeiter bei ihrer Arbeit behindern könnten, aus dem Weg zu räumen. Dazu zähle ich vor allem die «innenpolitischen Hürden».
Es ist aber eine Tatsache, dass gerade Mitglieder des mittleren und oberen Kaders sehr viel Zeit mit innenpolitischen Ränkespielen verbringen…
Bei nachhaltig erfolgreichen Firmen stimmt diese Aussage nicht. So ist es der obersten Geschäftsleitung von IBM, SAP oder General Electrics gelungen, Fairness, Integrität und Ehrlichkeit vorzuleben. Auch die Schweizer Raiffeisen Gruppe ist ein gutes Beispiel dafür. Versteckten Agenden und fiesen Machtspielen wird durch diese Vorbildwirkung Einhalt geboten. Mit dieser Haltung gelingt es auch, Mitarbeitende langfristig im Unternehmen zu behalten und Talente wirksam zu fördern. Manager müssen sich eines bewusst sein: Sie sind Vorbilder und setzen die Standards im Unternehmen. Und ganz wichtig: Sie werden von jedem Mitarbeiter sehr genau beobachtet. Was sie vorleben, wird auch von den Mitarbeitern gelebt.
Die CEOs globaler Konzerne bleiben durchschnittlich zwei bis drei Jahre am Ruder. Wie soll es da gelingen, Mitarbeiter langfristig zu binden?
Die kurze Verweildauer von CEOs ist in der Tat ein riesengrosses Problem, das primär in Unternehmen auftaucht, die ihre Führungskräfte hauptsächlich von aussen rekrutieren, anstatt sie in der eigenen Unternehmung zu fördern. Gegen einzelne Manager, die als Blutauffrischung von aussen hereingenommen werden, ist nichts einzuwenden. Allerdings plädiere ich dafür, dass nicht mehr als 10 Prozent der Führungskräfte extern rekrutiert werden. Denn Externe haben in der Regel Mühe mit der Firmenkultur und mit dem Firmengeist. Nach einigen unpassenden Hauruck-Aktionen verschwinden sie wieder, bevor sie zur Verantwortung gezogen werden können.
Zudem haben sie keine Ahnung über die Kompetenzen und Fähigkeiten ihrer Mitarbeitenden. Wie wollen sie da eine erfolgreiche Strategie entwickeln und leben?
Das heisst, intern aufgestiegene Manager kennen nicht nur das Unternehmen besser, sondern auch die Mitarbeiter?
Ja, aber nur wenn im Unternehmen eine Kultur gelebt wird, die von Menschen getrieben ist. Denn es sind die Menschen, die den Erfolg eines Unternehmens ausmachen, und nicht die Prozesse. Die Menschen tätigen die Innovationen und verkaufen Produkte und Dienstleistungen. Letzten Endes werden die meisten Aufgaben, Fragen und Probleme in den Unternehmen vom Faktor Mensch dominiert.
Sie plädieren also für eine menschliche Unternehmenskultur. Wie kann eine solche erreicht werden?
Durch Vorbilder, Vorbilder und nochmals Vorbilder. Und durch eine langfristig angelegte Personalpolitik. Dazu müssen auch die Anreizsysteme mehr auf den Faktor Mensch ausgerichtet sein. Manager sollten weniger an Finanzzahlen als an der Frage gemessen werden, wie viele Talente sie weiterentwickelt haben. Denn Mitarbeiter zu fordern und zu fördern, das schafft wahren Mehrwert für die Firma. Dadurch hätten Führungskräfte auch einen Incentive, sich wirklich für ihre Mitarbeiter zu interessieren.
Gerade Grossunternehmen investieren Unmengen von Geld in Weiterbildungsprogramme, Trainings, Talentpools usw. Sind diese also gar nicht nötig?
Training nur um des Trainings willen bringt rein gar nichts. Ebenso wenig wie starre Weiterbildungsprozesse, die aus jedem jungen, begabten Hochschulabsolventen einen Manager machen wollen. Nicht jeder kann und muss Manager werden. Gerade für Ingenieure oder andere Mitarbeiter mit technischem oder naturwissenschaftlichem Background muss es auch möglich sein, sich via Fachkarriere weiterzuentwickeln. Es ist Aufgabe eines jeden Vorgesetzten, sich genügend Zeit zu nehmen, um immer wieder mit seinen Mitarbeitern über deren Bedürfnisse, deren Stärken und deren Schwächen zu sprechen. Nur so erkennt er, welches Potenzial der Mitarbeiter hat und welche Weiterbildungsbedürfnisse da sind.
Leider gibt es noch immer zu wenig Manager mit General-Management-Qualitäten. Bei SAP begegnen wir diesem Problem zum Beispiel dadurch, dass wir nur noch Mitarbeiter in höhere Managementfunktionen befördern, die in mindestens drei verschiedenen Unternehmensbereichen gearbeitet haben. Training on the job hat dabei absolute Priorität. Kurse und Workshops sollten lediglich 10 Prozent der Weiterbildung ausmachen. Am meisten lernt man nämlich mit neuen Projekten und bei der täglichen Arbeit. Ich kann nur betonen: Weiterbildung ist eine andauernde Reise und kein Ausflug zu einem Ziel.
Welche Funktion kommt denn dabei der Personalabteilung noch zu? Geht den HR-Leuten schon bald die Arbeit aus?
Nein, bestimmt nicht! Die Personalabteilung hat zum Beispiel den Auftrag, die Linie bei der Weiterentwicklung von Mitarbeitern mit Informationen zu Kursen zu unterstützen. Allerdings gilt hier dasselbe Prinzip, wie ich es im Zusammenhang mit den Vorgesetzten und den Mitarbeitern bereits erwähnt habe: Die HR-Abteilung ist nicht dazu da, die Probleme der Linienmanager zu lösen, sondern sie soll diese coachen und anleiten.
Die Kernaufgabe einer wertsteigernden Personalabteilung muss es sein, im Unternehmen eine Innovationskultur aufzubauen. Und eine solche kann nur aufgebaut werden, indem die Menschen ins Zentrum der Strategie gerückt werden.
Getreu dem Motto in den zahlreichen Hochglanzbroschüren zu den Missions and Values «Unsere Mitarbeiter sind unser höchstes Gut»…
Papier ist geduldig – nirgends wird mehr gelogen als in solchen Broschüren. Egal ob Kunden, Mitarbeiter oder Innovationen, alles wird mit Superlativen bedacht und verbal ins Zentrum gerückt. Doch gelebt werden diese Sätze in den wenigsten Unternehmen. Ich wiederhole es gerne noch einmal: Die Firmen brauchen in erster Linie gute Manager und nicht gute Broschüren.
Und damit gute Manager entwickelt werden können, muss der oberste HR-Verantwortliche genauso in der Geschäftsleitung angesiedelt sein wie der Finanzchef. Dadurch kann er mithelfen, eine Unternehmensstrategie zu kreieren, die sich am menschlichen Potenzial im Unternehmen orientiert. Ebenso wichtig ist es, dass die verantwortlichen HR-Leute aus der Linie herauskommen. Nur diese Leute verstehen, was an der Front wirklich abgeht und welche Leute es an welchen Positionen braucht, um die Kunden nachhaltig zufriedenzustellen und damit dem Unternehmen zum Erfolg zu verhelfen.
Der Gesprächspartner
Seit seiner Pensionierung 2005 ist Les Hayman als SAP Ambassador unterwegs. Dabei vertritt er die Interessen von SAP sowie von dessen Kunden und Partnern in verschiedenen politischen Gremien, Wirtschaftsverbänden, Think-Tanks und Foren. Zuvor hatte der pointierte Redner bei SAP seit 1994 verschiedene Funktionen inne. So war er unter anderem Präsident und CEO von SAP Asia/Pacific sowie Chairman von SAP EMEA. Von 2003 bis 2005 war Hayman Head of SAP Global HR.