Manager sind auch nur Menschen
Sechs Wahrnehmungsfallen – und wie man sie vermeidet.
Regelmässig ausserhalb der «Box» denken, schadet nicht. (Bild: 123rf)
Egal ob börsenkotiertes Grossunternehmen oder KMU – geraten Unternehmen in Seenot, ist das Urteil schnell gesprochen: Managementversagen. Aber Manager sind auch nur Menschen und nicht immer jene rationalen Entscheider, die sie vorgeben zu sein. Dazu agieren sie häufig viel emotionaler, als ihnen bewusst ist. Wahrnehmungsverzerrungen verleiten sie dazu – wie jeden anderen Menschen auch – irrational zu urteilen, zu entscheiden und zu handeln.
An der Unternehmensspitze jedoch können die Konsequenzen dramatisch sein. Um gefährliche Navigationsfehler zu vermeiden, sollten Top-Manager und ihre Teams besonders auf folgende sechs Wahrnehmungsfallen achten.
1. Die Selbstüberschätzungsfalle
«Wir haben noch nie ein Projekt in Bezug auf Zeit, Qualität und Budget perfekt umgesetzt, aber diesmal schaffen wir’s… – bestimmt!»
Zwischen Selbstbewusstsein und Selbstüberschätzung liegt ein schmaler Grat. Manager schätzen das eigene Wissen und die persönlichen Fähigkeiten zumeist besser ein, als sie tatsächlich sind. Diese optimistische Verzerrung kommt meist dort vor, wo Menschen unter hohen Risiken und Unsicherheiten entscheiden müssen – die Unternehmensspitze ist daher besonders empfänglich. Klassische Beispiele sind die Überschätzung des potenziellen Erfolgs eines neuen Produkts oder die Unterschätzung von Zeit und Investments bei komplexen Projekten. Auch in der strategischen Planung schlägt die Selbstüberschätzung zu.
2. Die Selbstdienlichkeitsfalle
«Das neue Produkt ist ein Misserfolg? Nicht das Produkt ist das Problem – unsere Kunden haben es einfach noch nicht verstanden.»
Die Selbstdienlichkeitsfalle ist tief im mentalen Modell erfolgreicher Führungskräfte verankert. Menschen überschätzen den Einfluss des Einzelnen und unterschätzen die Macht der Verhältnisse. Die innere Logik ist bestechend: Manager schreiben Erfolge der eigenen Kompetenz zu, Misserfolge aber sind das Resultat widriger Umstände. Hat das Unternehmen ein ausgezeichnetes Geschäftsjahr hinter sich, klopft der CEO sich und seiner Mannschaft auf die Schulter – Erfolg ist die direkte Folge weitsichtiger Entscheidungen und wirkungsvoller Führung. War das Jahr schlecht, haben Kunden das Produkt nicht verstanden, die Konjunktur hat sich abgekühlt oder Führungskräfte und Mitarbeiter haben nicht mitgezogen. Ein Management in der Selbstdienlichkeitsfalle legt den Grundstein zum Verfall.
3. Die Bestätigungsfalle
«Die Synergien sind so nicht realisierbar? Unmöglich – das Glas ist halb voll, nicht halb leer! Unsere Entscheidung war und ist richtig … wir ziehen das jetzt einfach noch konsequenter durch!»
Der psychische Automatismus der Bestätigungsfalle filtert und interpretiert Informationen unbewusst so, dass Menschen sich bestätigt sehen – in den eigenen Überzeugungen, vermeintlich erfolgreichem Verhalten oder den eigenen Entscheidungen. Das Top-Team findet nur Belege, die gemeinsame Entscheide bekräftigen: «Sichtbare Synergien» aus der Akquisition, «Early Wins» aus der neuen Strategie oder grüne Ampeln in wichtigen Zukunftsprojekten. Warnzeichen, die auf ein potenzielles Scheitern hinweisen könnten, passen nicht zu diesem positiven Gesamtbild. Sie werden unbewusst, aber systematisch als Sonderfälle oder als irrelevant für den Erfolg des Ganzen ausgeblendet.
4. Der Erzählungs-Trugschluss
«Ich war erfolgreich – ich bin erfolgreich – und ich werde auch in Zukunft erfolgreich sein.»
Unsere persönliche Vergangenheit ist nichts Objektives – sie ist etwas individuell Konstruiertes. Und so verfügt auch jeder Manager über konstruierte, scheinbar konsistente Geschichten über seinen erfolgreichen Werdegang. Er hat eine feste Auffassung darüber, welches Verhalten der Grund für den jeweiligen Erfolg war. Diese Geschichten schaffen trügerische Sicherheit, denn sie bergen ein Risiko: die Illusion einer Zwangsläufigkeit. Im Rückblick scheint der persönliche Erfolg einer zwingenden inneren Logik zu folgen, die auf einer Kombination eigener Weitsicht, Kompetenz und Führungsstärke basiert – nicht etwa auf günstigen Umständen. Die Gefahren sind Arroganz und falsche Vorhersagen. Der Trugschluss verleitet Manager, Fehler zu wiederholen und scheinbare Erfolgsmodelle aus der Vergangenheit unter völlig veränderten Bedingungen anzuwenden.
5. Die Autoritätsfalle
«Unser CEO wird schon wissen, was er tut. Ich versteh es zwar nicht, aber ich werfe mich hier jetzt nicht vor den Zug.»
In komplexen Situationen wenden sich Menschen Autoritäten zu – Manager in Top-Teams bilden da keine Ausnahme. Gerade bei dominanten CEOs besteht die Gefahr, dass die Autoritätsfalle zuschnappt. Die Teammitglieder beugen sich offen oder verdeckt seiner Autorität und geben ihre Mitverantwortung ab. Der CEO erhält Gefolgschaft und Loyalität, die Teammitglieder im Gegenzug Sicherheit und Konfliktfreiheit. Ein praktischer Deal mit verheerenden Folgen für das Unternehmen: Dass ein CEO im Alleingang bessere Entscheidungen trifft als das gesamte Team, hat sich häufig als trügerische Hoffnung erwiesen.
6. Die Aktionsfalle
«Wir entscheiden das – und zwar JETZT! Wir werden schliesslich fürs Handeln bezahlt, nicht fürs Nicht-Handeln!»
«Im Zweifel Handeln» lautet das unausgesprochene Motto unter Führungskräften. Gerade in komplexen Situationen dominiert an der Unternehmensspitze der Impuls des Managers als Tatmensch – unabhängig davon, ob Handeln richtig ist oder Abwarten und Verstehen bessere Alternativen wären. Die Logik dahinter ist klar: Eigentümer und Aufsichtsgremien werten es kaum als Erfolg, wenn ein Manager durch Nicht-Handeln das Richtige tut. Gerade das Top-Management ist gedrängt, in jeder Situation sichtbar das Heft des Handelns in der Hand zu behalten und durch Entscheidungsstärke Entschlossenheit zu demonstrieren.
Menschlich: eine Psyche, zwei Systeme
Wahrnehmungsfehler sind keine Schwächen einzelner Manager und kein «Managerversagen», sondern einfach menschlich. Diese Verzerrungen haben ihre Ursache in unserem hoch leistungsfähigen, automatisch und unbewusst arbeitenden psychischen «Routine-System», das schnell und auf Basis unvollständiger Informationen urteilt. Genau das ist Alltag einer Führungskraft. Genau darauf hat sich ihr System im Laufe der Karriere perfekt optimiert.
Das Problem dieses intuitiven Systems? Es ist anfällig für Irrtümer und verführt Manager, nur in Routine zu handeln. Zweifel, Ungewissheit, Selbstkritik und Reflexion hingegen sind die Domänen eines zweiten, bewussten, willentlichen Systems. Manager, denen es gelingt, ihr top-trainiertes schnelles System gezielt auszubremsen und dem zweiten, trägeren System das Kommando zu übergeben, können diese Wahrnehmungsfallen klug umschiffen.
Gegengifte & Methoden
Es gibt pragmatische, einfache Methoden, um sich gegen Wahrnehmungsfehler zu wappnen: Manager sollten konsequent Widerspruch einfordern sowie sich selbst und andere gezielt zum Zweifel ermutigen. Debatten zu de-personalisieren und im Team systematisch Outside-the-Box-Denken zu praktizieren, hilft, den eigenen Fallen zu entkommen. Eine offene Fehlerkultur schafft die Basis, eigene Irrwege offen anzusprechen und sich selbst zu ermutigen, aus Fehlentscheidungen zu lernen.
Aber Vorsätze allein ändern das Verhalten nicht. Um nicht in intuitive Muster zu verfallen, kann das Top-Team ein Mitglied zu «des Teufels Advokat» ernennen – mit dem expliziten Auftrag, Entscheidungen grundlegend zu hinterfragen. Eine Pre-Mortem-Sitzung, in der sich das Team ein Scheitern hypothetisch vorwegnimmt und dessen Gründe analysiert, verhindert blinden Aktionismus. Auch die kritisch-kontroverse Debatte unterstützt im Management-Alltag: Das Team analysiert eine bevorstehende Entscheidung in zwei Gruppen – aus gegensätzlichen Perspektiven. Schliesslich kann das Team seine Aktivitäten anhand einer Wahrnehmungsfallen-Checkliste (wie beispielsweise oben aufgeführt) systematisch überprüfen. Welcher Wahrnehmungsfehler könnte unsere Entscheidung wie beeinflusst haben?
Mit diesem Rüstzeug und mit einem reflektierten Blick auf die eigene Wahrnehmung, wird es einem Top-Team gelingen, den Fallen zu entgehen und die Qualität seiner Entscheide deutlich zu verbessern. Nur so bringen Top-Teams jene Qualität von Zusammenarbeit an der Spitze hervor, die wirksame Führung möglich macht.