«In manchen Projekten wächst man über sich selbst hinaus. Das tut gut»
Ildiko Kreisz spricht von ihrem Arbeitgeber Accenture GmbH wie von einer grossen Liebe. Kein Wunder, die beiden haben bereits 20 Jahre miteinander verbracht – mit lediglich einer einjährigen Trennungsphase. Heute ist die Deutsche Geschäftsführerin, und in dieser Funktion verantwortlich fürs Personal in Deutschland, der Schweiz und Österreich.
Ildiko Kreisz: «In Indien haben wir jeden Monat rund 1000 neue Kollegen eingestellt.» (Foto: Sabine Schritt)
Der Accenture-Campus im deutschen Kronberg, nördlich von Frankfurt, liegt in schwülheissem Frühsommerdunst. Es verspricht ein heisser Tag zu werden und Ildiko Kreisz hat ein straffes Tagesprogramm vor sich. Wie immer eigentlich. Als Geschäftsführerin ist sie für alle Personalbereiche in Deutschland, Österreich und der Schweiz verantwortlich. Kurz vor einer Mitarbeiterversammlung nimmt sie sich Zeit für ein Treffen mit HR Today. Ihre blonden Haare fallen locker bis auf die Schulter.
Kreisz trägt ein lila-farbenes Kleid im klassischen Schnitt. Sie wirkt locker, beschwingt und fröhlich. Die Personaldirektorin hat Freude an ihrem Job und der Verantwortung für über 5000 Mitarbeiter des internationalen Managementberatungs-, Technologie- und Outsourcing-Dienstleisters. Mit Freude an der Arbeit ist der Erfolg nicht weit, weiss sie, «damit kann man ganze ‹IT-Berge› versetzen.» Die äusseren Umstände machen dies jedoch nicht immer leicht. Vom Fachkräftemangel kann auch Kreisz ein Lied singen. IT-Spezialisten sind rar, wohl dem, der sie auf dem hart umkämpften Bewerbermarkt findet.
Kreisz hat selbst keinen technischen Hintergrund. Immer schon fasziniert von wirtschaftlichen Zusammenhängen, studiert sie Betriebswirtschaft in Frankfurt und Washington DC in den USA. Nach dem Studium beginnt sie 1991 als Beraterin bei Accenture in Deutschland. Der Dienstleister arbeitet mit Unternehmen aus allen Branchen zusammen und bietet so ein breites Betätigungsfeld. Das ist es auch, was Kreisz gereizt hat. «Nicht nur in ein Unternehmen, sondern in ganz viele hineinschnuppern zu können, ist sehr spannend gewesen.» Hinzu kommen die ganz unterschiedlichen Probleme, die im Auftrag des Kunden zu lösen waren. «Das ist es, was Accenture besonders macht. Wir schreiben nicht nur Strategiepapiere, sondern liefern auch gleich die passende IT-Lösung mit oder bieten das entsprechende Outsourcing an, begleiten also Transformationsprozesse von A bis Z», beschreibt Kreisz ihre damalige Aufgabe. Sie bleibt fünf Jahre.
Sie übernimmt die Personalleitung in Indien, obwohl sie nie zuvor dort war
«Aber wie das so ist. Im ersten Job denkt man oft, man verpasse etwas oder woanders sei es besser», erinnert sie sich. Sie verlässt ihren ersten Arbeitgeber, kehrt aber bereits nach einem Jahr zurück. «Es ist eben nicht alles Gold, was glänzt. Egal welche Stellenanzeige man liest, es klingt immer toll», erzählt sie. Teamwork, offene Türen, Miteinander, Eigenverantwortung, Entwicklung. Dies sind alles Stichworte, die Kreisz sehr ernst nimmt: «Offene Türen sind gut und schön, aber was, wenn man doch nicht über die Schwelle kommt?»
Was viele Unternehmen in ihren Stellenanzeigen versprechen, will sie bei Accenture wirklich halten. Dass sie heute dementsprechend im Unternehmen Einfluss nehmen kann, verdankt sie einem Zufall. Im Rahmen eines Projektes zur Flexibilisierung der Arbeitszeiten entdeckt sie ihre Begeisterung für die Personalarbeit und wird wenig später Personalleiterin für den deutschsprachigen Raum. Anfang 2006 sucht das Unternehmen eine neue Personalleitung in Indien und sie wird gefragt, ob sie das machen würde. Spontan denkt sie: Ich war noch nicht einmal als Touristin in Indien, aber warum eigentlich nicht? Was für eine einzigartige Herausforderung! Eine Verbindung gibt es immerhin: Kreisz hat eine Ausbildung zur Yoga-Lehrerin. «Doch die alltägliche Hektik entspricht ganz und gar nicht der Balance, die man aus der Yoga-Welt kennt», sagt sie.
20 Sekunden mit Ildiko Kreisz
Ein Buch: «Im Fegefeuer der Eitelkeiten»
Ein Film: «Der Club der toten Dichter»
Ein Lieblingsessen: Zürcher Geschnetzeltes mit Rösti
Das schönste Geschenk: eine Live-Band zum
Geburtstag
Die kleinen Dinge des täglichen Lebens gehen unter die Haut
Drei Jahre lebt und arbeitet Kreisz in der Nähe von Bangalore und ist zunächst völlig überrumpelt von den Dimensionen. Ist sie aus Deutschland eine Personalabteilung mit 150 Mitarbeitern gewohnt, trifft sie dort auf 350 Menschen alleine im Personalbereich. «Jeden Monat haben wir rund 1000 neue Kollegen eingestellt. Das kann man sich nicht vorstellen.» Kreisz hat in ihrer Zeit in Indien die Zahl der Beschäftigten von 14 000 auf 45 000 erhöht. Heute arbeiten bei Accenture in Indien rund 70 000 Menschen.
Die fremde Mentalität bedeutet eine grosse Umstellung für Kreisz. Sie ist neugierig und lebt bewusst mit vielen Einheimischen in einem «normalen Wohnviertel» und nicht in einer «Expat-Gegend». Sie will alles richtig machen und sich den Menschen nähern. «Mal ehrlich, am Anfang sind Sie ja von sich selber berauscht.» Die rastlose Umtriebigkeit der Menschen, die indischen Filme aus Bollywood, die schillernden Farben und speziellen Gerüche, das exotische Essen – und sie ist mittendrin. «Doch irgendwann holt Sie die Realität ein und Sie sehnen sich nach einem Stück Schwarzbrot und einem guten ‹Tatort›.» Sie lacht wieder. «Es sind die kleinen Dinge des täglichen Lebens, die wirklich unter die Haut gehen.»
Für Kreisz sind die Jahre in Indien eine Zeit des persönlichen Wachstums. Sie merkt, sie kann nicht alles richtig machen. Das beginnt schon damit, dass Inder über andere Dinge lachen. «Eine ganz schwierige Phase», sagt sie rückblickend, «die ich nur mit Unterstützung von Kollegen, viele davon inzwischen Freunde, gut gemeistert habe. Man muss das System dieses einzigartigen Netzwerks in Indien verstehen. Sich allein die Namen zu merken, war am Anfang schwer.» Erst als sie nicht mehr ständig einen Vergleich mit Zuhause anstellt, «wir sind so, die sind so», merkt sie, sie ist wirklich in Indien angekommen. Und dann kehrt Ruhe ein. «Das Schöne ist, dass man dann einen neuen Blick auf seine Heimat bekommt», sagt sie. «Was einem einst so eng und spiessig vorkam, ist jetzt Luxus. Das war eine ziemliche Überraschung für mich.»
Gereift und um wertvolle Erfahrungen reicher, kehrt sie zurück in ihre vertraute Rolle in Deutschland. Weltweit hat das Unternehmen 246 000 Mitarbeiter. «Von diesem Gesamtkunstwerk habe ich nun schon einige Facetten gesehen, einiges fehlt noch. Das macht es auch immer wieder spannend.» Kreisz spricht von ihrem Arbeitgeber wie von einer grossen Liebe. «Es ist das Beste, was mir beruflich passieren konnte», sagt sie und ihr frohes Lachen lässt daran keinen Zweifel.
Bei der Accenture übernimmt das HR auch die Personaleinsatzplanung
Die Personalarbeit, so glaubt sie, werde in Unternehmen immer noch ganz unterschiedlich gelebt. Bei Accenture umfasst die Personalarbeit das Personalmarketing und das Recruiting, die Integration, Weiterbildung sowie Führungskräfte- und Gehaltsentwicklung bis hin zur Trennung und zu Alumniprogrammen. Im Unterschied zu anderen Unternehmen übernimmt das HR bei Accenture auch die Personaleinsatzplanung und entscheidet, welcher Mitarbeiter in welchem Projekt bei welchem Kunden eingesetzt wird. Hilfreich dabei ist das Instrument «Talent Supply Chain»: Die Mitarbeiter geben ihre Fähigkeiten, Erfahrungen und besondere Eignungsmerkmale in ein System ein. «Damit ist sichergestellt, dass Informationen gebündelt werden, die sonst verloren gingen, da jeder einzelne Mitarbeiter übers Jahr mit vielen unterschiedlichen Kollegen und Kunden zusammenarbeitet. Unser wichtigstes Gut sind das Wissen jedes einzelnen Mitarbeiters und die Fähigkeit, gemeinsam Synergien beim Kunden zu schaffen.»
Etwas anderes hat sie ebenfalls in Indien gelernt: den Menschen immer in den Vordergrund zu stellen. «In Zukunft wird sich Berufliches mit Privatem immer mehr vermischen. Das zwingt die Unternehmensführung, den einzelnen Mitarbeiter, den Menschen viel bewusster wahrzunehmen.» In der Grössenordnung von Accenture mit weltweit 5000 Mitarbeitern alleine im Personalbereich ist das einfacher gesagt als getan. «Da kommt man leider um gewisse Standards nicht herum.» Ein weiterer Faktor, dem Rechnung getragen werden muss, sind die jeweils lokalen kulturellen und rechtlichen Unterschiede.
Ihre Erfahrungen in Indien prägen auch Kreisz’ Umgang mit den Mitarbeitern. «In manchen Projekten wächst man über sich selbst hinaus. Und das tut gut.» Deshalb fördert sie ihre Mitarbeiter nicht nur, sondern fordert sie auch. «Das ist nur möglich, weil unser Wissensnetzwerk weltweit funktioniert und die Unterstützung unter den Kollegen grenzübergreifend sehr gross ist. Das ist unser Teamgedanke: Niemand möchte, dass der andere scheitert.»
Ildiko Kreisz
Frankfurt und Washington DC. 1991 begann sie bei der Accenture GmbH als Beraterin für die Unternehmen der Finanz- und Verwaltungsbranche. 2001 wechselte sie in die Linienfunktion und übernahm die Verantwortung für den Personalbereich im deutschsprachigen Raum. Anfang 2006 bis Ende 2008 war sie für Accenture als Personalleiterin in Indien tätig. Seit 2010 ist Kreisz Geschäftsführerin der Accenture GmbH und für den Personalbereich in Deutschland, Österreich und der Schweiz verantwortlich.