«Menschen tun gerne Gutes»
Sybille Sachs, Professorin an der HWZ, kritisiert das heutige Wirtschaftsverständnis: Die Gesellschaft sei für die Wirtschaft da statt umgekehrt. Sie fordert eine Veränderung der Wertvorstellungen. Es gebe durchaus Anreize für Unternehmen, umzudenken und ihre soziale Verantwortung wahrzunehmen.
Sybille Sachs: «Unternehmen müssen lernen, nicht nur Nutzen für sich selbst, sondern auch für andere zu generieren.» (Foto: 123RF)
Frau Sachs, folgendes Zitat stammt von Ihnen: «Corporate Social Responsibility gibt dem Menschen und der Natur wieder die ursprüngliche Bedeutung in der Wirtschaft zurück. Mit anderen Worten: Die Wirtschaft sollte für die Gesellschaft da sein und nicht umgekehrt.» Was meinen Sie damit?
Sybille Sachs: Wir müssen uns klarmachen, was Wirtschaft ursprünglich bedeutete: nämlich die knappen Ressourcen so nutzen, dass man die menschlichen Bedürfnisse gut befriedigen kann. Wirtschaft ist eigentlich eine nutzen-orientierte Disziplin, bei der es um den Menschen per se geht. Adam Smith, der Begründer der klassischen Nationalökonomie, war auch ein Moralphilosoph und zielte mit seiner Theorie auf das Gesamtinteresse. Im 20. Jahrhundert stand dagegen immer mehr der Effizienzgedanke im Vordergrund. Ziel war primär die Nutzenoptimierung. Die Grundausrichtung – die Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse – ging dabei oft vergessen. Heute ist die Gesellschaft für die Wirtschaft da und nicht mehr die Wirtschaft für die Gesellschaft.
Wie kann man das wieder umkehren?
Wir müssen uns überlegen, auf welchen Annahmen die ganze Wirtschaft basiert, ob es richtig ist, das Selbstinteresse in den Mittelpunkt zu stellen. Wir müssen unsere Grundhaltung überdenken, dafür braucht es eine Veränderung der Wertvorstellungen. Genau das ist jedoch schwierig, da die jetzigen Führungskräfte anders sozialisiert wurden. Es kann zwar sein, dass Unternehmen sich graduell anpassen, denn das Bewusstsein für ihre gesellschaftliche und ökologische Verantwortung ist extrem gewachsen. Das alleine genügt jedoch nicht.
Warum nicht?
Dieses Verantwortungsbewusstsein ist noch nicht so in die Unternehmensphilosophie integriert, dass damit das gesamte Wertschöpfungspotenzial aktiviert wird. Unternehmen müssten mehr Wert schaffen für ihre Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten. Und zwar nicht nur finanziellen Wert, sondern auch Lebenswert, Nachhaltigkeit etc.
Wie können Firmen diesen Mehrwert schaffen?
Es muss ein Umdenken stattfinden. Unternehmen müssen lernen, mit anderen Gruppierungen und Institutionen zusammenzuarbeiten und nicht nur Nutzen für sich selbst, sondern auch für andere zu generieren. Sie müssen Wissen und Erfahrung austauschen und dadurch neue, innovative Produkte und Dienstleistungen entwickeln. Im Gesundheitswesen etwa war ich in ein Projekt involviert, bei dem sich die unterschiedlichen Beteiligten an einen Tisch setzten und neue Produkte schufen, die zu mehr Lebensqualität der Patienten führten.
Zur Person
Prof. Dr. Sybille Sachs ist Leiterin des «Instituts für Strategisches Management: Stake-holder View» und Schulleitungsmitglied an der HWZ Hochschule für Wirtschaft Zürich.
Warum sollen Unternehmen überhaupt umdenken? Welche Anreize gibt es dafür?
Ein Anreiz sind so genannte Wake-up Calls, etwa in Form von Naturkatastrophen, Fehlern, Unternehmenskrisen. Auch Veränderungen in der Branche oder in Werthaltungen können Unternehmen dazu bringen, umzudenken. Ein grosser Wake-up Call war die Finanzkrise 2008.
Welche weiteren Anreizformen gibt es?
Äussere Anreize können ebenfalls zu einem Umdenken führen, etwa wenn Kunden Druck machen und zum Beispiel nach der Produktsicherheit oder nach dem Nutzen für die Gesundheit fragen. Anreiz kann auch sein, wenn Unternehmen merken, dass sie sich durch ein Umdenken einen Vorteil verschaffen können. Denn Unternehmen, die ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen, gelten als attraktivere Arbeitgeber. Immaterielle Anreize sind für Jobbewerber der Generation Y gemäss Studien wichtiger als finanzielle Anreize.
Ist Corporate Social Responsibility (CSR) bei manchen Firmen nicht einfach ein reines Marketinginstrument?
Das ist tatsächlich ein grosses Problem. In den letzten zehn Jahren realisierten viele Unternehmen, dass sie etwas machen müssen, und gründeten CSR-Abteilungen, Public-Affairs- und Nachhaltigkeitsabteilungen. Wenn CSR keine Grundhaltung ist, macht dies jedoch wenig Sinn. CSR muss ins Businessmodell eines Unternehmens integriert werden, sonst ist sie unglaubwürdig. Manche Firmen übernehmen jedoch bereits seit langem und sehr glaubwürdig ihre soziale Verantwortung.
Kleine und mittlere Unternehmen können sich oft keine CSR-Abteilung leisten. Ist es für sie deshalb schwieriger, ihre soziale Verantwortung zu übernehmen?
Grundsätzlich gibt es keine Unterschiede zwischen Grossunternehmen und KMU. Häufig ist es aber für KMU sogar einfacher, CSR umzusetzen. Denn oft ist der Eigentümer der Manager, hat somit ein nachhaltiges Interesse an seinem Unternehmen und legt deshalb auch Wert auf Nachhaltigkeit. Problematisch ist es, wenn Firmen Menschen gehören, die kein Bewusstsein für Werthaltungen haben. Das gilt für kleine wie grosse Unternehmen.
Was braucht es, damit Unternehmen CSR umsetzen?
Das Wissen und das Bewusstsein für die soziale Verantwortung des Unternehmens müssen vorhanden sein. Diese Verantwortung muss von Führungskräften bewusst gelebt und gefördert werden. Zudem müssen Anreizstrukturen geschaffen werden in Bezug auf CSR: Das Management muss daran gemessen werden. Unternehmen müssen CSR also auch als Chance und Möglichkeit sehen, um bessere Produkte hervorzubringen, die das Unternehmen zum Erfolg führen.
Gibt es Beispiele von Unternehmen, denen das gelungen ist?
Ja, zum Beispiel Pharmaunternehmen. Sie haben sich nicht mehr nur gefragt, wie sie Kranke gesund machen können, sondern auch, wie die Gesundheit von Patienten gefördert werden kann. Deshalb begannen diese Unternehmen, die Gesundheitskompetenz der Menschen zu erhöhen. In der Energiebranche gibt es Unternehmen, die schon früh in erneuerbare Energien investierten und jetzt Erfolg haben.
Müsste CSR Ihrer Meinung nach gesetzlich verankert werden?
Ich bin kein Freund von ständig zusätzlichen Regulierungen, die häufig doch wieder umgangen werden. CSR muss eine Grundhaltung werden. Wie kann man das gesetzlich festlegen? Zudem ist nicht alles für alle Unternehmen gleich sinnvoll. Wichtig ist, dass ein Bewusstsein und Anreize für CSR geschaffen werden. Eine ganz wichtige Funktion kommt auch den Bildungsinstitutionen zu, die CSR als Grundhaltung an die Studierenden weitergeben. Hilfreich sind auch Vorbilder, die den Leuten aufzeigen, dass jeder etwas Positives zur Gesellschaft beitragen kann. Gutes tun ist etwas, das die Menschen gerne tun. Man muss ihnen nur zeigen, wie sie das machen können.
Corporate Social Responsibility
Corporate Social Responsibility (CSR) ist der freiwillige Beitrag der Wirtschaft an eine nachhaltige Entwicklung, der über die gesetzlichen Forderungen hinausgeht. CSR steht für verantwortliches unternehmerisches Handeln in den drei Dimensionen Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft. Für die Umsetzung von CSR gibt es kein einheitliches Vorgehen. Verschiedene Organisationen haben aber Standards und Initiativen entwickelt, die wünschenswertes Verhalten aufzeigen, und unterstützen Unternehmen bei der Umsetzung.