«Mit New Work dem weiblichen Fachkräftemangel in der MINT-Branche begegnen»
Der Frauenmangel in der MINT-Branche führt dazu, dass diesem Sektor wichtige Fähigkeiten, Kreativität und Potenzial verloren gehen. Das Institut für Gender und Diversity (IGD) der OST – Ostschweizer Fachhochschule untersucht in einem Forschungsprojekt, was es braucht, damit Frauen in der MINT-Branche arbeiten und bleiben wollen. Am 18. Juni 2024 präsentierte das IGD erste Ergebnisse und diskutierte die Zukunft von Frauen in MINT mit Fachpersonen der Bühler AG, IT-
An einer Veranstaltung bei der Bühler AG präsentierte das Institut für Gender und Diversity (IGD) ihr Projekt, wie Frauen für die MINT-Branche begeistert werden können. (Bild: zVg)
«Frauen können das nicht» und «Du hattest bestimmt Hilfe von deinem Vorgesetzten» – das sind Beispiele von Aussagen, die Frauen in MINT-Berufen schon gehört haben. Sie erzählten davon in einer Fokusgruppe des Forschungsprojekts «Mit New Work dem weiblichen Fachkräftemangel in der MINT-Branche begegnen» des Instituts für Gender und Diversity (IGD) der OST. In diesem Projekt entwickelt und implementiert das IGD mit den MINT-Unternehmen Bühler AG, INFICON AG, Linde Kryotechnik AG, Liip AG und RUAG Massnahmen, um mehr Frauen für MINT-Berufe zu gewinnen und langfristig zu binden. An einer Veranstaltung am 18. Juni 2024 bei der Bühler AG in Uzwil präsentierte das IGD erste Projektergebnisse und diskutierte diese mit Fachpersonen sowie interessierten Teilnehmenden.
Mädchen wollen flexible Arbeitszeiten, Jungs hohe Löhne
In einem ersten Schritt hat das IGD eine schweizweite Online-Umfrage zu den Bedürfnissen zukünftiger MINT-Fachkräfte durchgeführt. 475 Schülerinnen und Schüler, Lernende, Studierende und Quereinsteigende haben daran teilgenommen. «Auffallend war, dass traditionelle Rollenbilder scheinbar in den jüngsten Generationen weiterhin verankert sind», erklärt Prof. Dr. Alexandra Cloots, Leiterin des IGD. Die Umfrage hat ergeben, dass im zukünftigen Job für Frauen flexible Arbeitsmodelle und für Männer das Gehalt am wichtigsten sind. Die Teilnehmerinnen der Umfrage erwarten ein wertschätzendes und diskriminierungsfreies Arbeitsumfeld, in dem eine gute Feedback- und Fehlerkultur sowie Vertrauen gelebt werden. «Zukünftige Arbeitgebende sollten den Fokus auf die Mitarbeitendenorientierung, Fairness, Respekt und Chancengerechtigkeit legen», zeigt Sara Juen, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am IGD, auf.
Weitere wichtige Erkenntnisse lieferten die Fokusgruppeninterviews, die das IGD mit 26 erfahrenen weiblichen MINT-Fachkräften aus den fünf Partnerunternehmen durchführte. «Die Frauen berichten, dass sich im Laufe der Jahre vieles verbessert hat, aber auch noch viel getan werden muss», fasst Alexandra Cloots zusammen. Das Arbeitsklima sei gewöhnungsbedürftig und die Frauen fühlten sich oft nicht ernst genommen. Ausserdem fehlen passende Infrastrukturen wie Umkleidekabinen oder neutrale Anlaufstellen, an die sie sich zum Beispiel bei sexueller Belästigung wenden können.
Weg von der Sonderrolle hin zur Selbstverständlichkeit
Die Frauen wissen aber auch, dass sie gefragt sind: «Wir sind in der Branche heiss begehrt», erzählt eine Teilnehmerin der Fokusgruppe. Eine Sonderrolle wollen sie aber weder in der Schule noch im Beruf haben – geschlechtsunabhängige Förderung wird gewünscht. Darauf achtet zum Beispiel die RUAG: «Wir sensibilisieren vor allem die Führungspersonen, bei der Identifizierung und Entwicklung von Potenzial unabhängig vom Geschlecht vorzugehen», zeigt Debora Saracino, Employer Branding und Hochschulmarketing der RUAG, in der Podiumsdiskussion auf. Die Podiumsteilnehmenden sind sich jedoch einig, dass die Frauen in MINT-Berufen heute keine Selbstverständlichkeit sind und dass man dem Frauenmangel in MINT-Berufen nur entgegenwirken kann, wenn man früh ansetzt. Eva De Salvatore, Geschäftsführerin von
Gemeinsam Massnahmen ergreifen
Zukunftstage, Elternabende, Mentorinnen und weibliche Vorbilder – das sind laut Joanita Bonnier, Scrum Master und Agile Coach bei der Liip AG, wichtige Massnahmen, die Unternehmen ergreifen müssen, um Mädchen für MINT zu begeistern. «Ich hatte nie ein Vorbild und musste es immer selbst sein», sagt sie. Zudem müssten sich Frauen gegenseitig unterstützen und die Führungskultur müsse sich ändern. «Gerade ältere Führungskräfte brauchen Weiterbildungen, um die Bedürfnisse und Erwartungen von Frauen an die MINT-Branche zu verstehen», betont Joanita Bonnier. Sebastian Kubik, Head of Engagement, Diversity & Inclusion bei der Bühler AG, wünscht sich mehr Austausch zwischen den Unternehmen, Branchenverbänden und Hochschulen: «Wir müssen gemeinsam an diesen Themen arbeiten, nur so kommen wir zum Erfolg und können effektiv gegen den weiblichen Fachkräftemangel ankämpfen».
Im nächsten Schritt des Forschungsprojekts wird das IGD die Ergebnisse mit dem Status quo der beteiligten Unternehmen verglichen. Anschliessend werden unternehmensspezifische Massnahmen entwickelt und umgesetzt, um diese nachhaltig in den Unternehmen zu verankern.
Das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann unterstützt das Forschungsprojekt mit Finanzhilfen.
Das Forschungsprojekt
Das Forschungsprojekt «Mit New Work dem weiblichen Fachkräftemangel in der MINT-Branche begegnen» des IGD untersucht, welche (Arbeits-)Bedingungen notwendig sind, damit mehr Frauen in den MINT-Branchen arbeiten und bleiben wollen.