Neue Technologie sinnvoll einsetzen
Wird E-Learning dank Web 2.0 zum Free-Learning? Eine Flut von technischen Möglichkeiten verlangt nach wohlüberlegten Konzepten.

«Wie hätten Sie Ihren Lerninhalt denn gerne? Übers Handy, auf den Laptop, auf den heimischen Bildschirm oder doch lieber in einer Grossgruppenveranstaltung?» Klingt das seltsam? Vielleicht nicht mehr lange. Wer Studenten an Hochschulen über die Schulter blickt, bekommt einen Vorgeschmack davon, wie Lernen demnächst für alle aussehen könnte: Da trifft man sich zu Seminaren in virtuellen Klassenzimmern, zu Besprechungen im Second Life, schaut sich im Zug Vorlesungen auf dem iPod an, checkt seine Lernfortschritte im E-Assessment ab, bevor man das neue Lernmodul herunterlädt. «Learning on Demand» ist keine Zukunftsvision enthusiastischer Technikfreaks, sondern Wirklichkeit. Web-2.0-Applikationen ermöglichen fast unbeschränkten Zugriff auf Wissens- und Datenbanken – gerade das macht sie auch so attraktiv für die Lernwelt –, während sie gleichzeitig die Vernetzung der Lernenden untereinander fördern. Über zeitliche und geografische Grenzen hinweg bauen User – dazu gehören Studierende, Teammitglieder, Fachkräfte und auch Tutoren – Arbeitsumgebungen auf, tauschen sich aus, lernen mit- und voneinander.
Web 2.0 in den Unternehmen
Eine im Januar 2007 von McKinsey durchgeführte Umfrage unter 2847 Führungskräften weltweit tätiger Unternehmen zeigt, dass das Interesse an Web-2.0-Anwendungen weltweit zwar stark steigt, gleichzeitig aber auch von Vorsicht geprägt ist. Dabei sind für die Unternehmen offenbar nicht die populären Web-2.0-Anwendungen wie beispielsweise Blogs oder soziale Netzwerkseiten spannend, sondern Technologien, die Automation und Vernetzung erlauben. Die Befragten gaben an, Web-2.0-Technologien zu nutzen, um mit Kunden und Geschäftspartnern zu kommunizieren und die Zusammenarbeit unter den Mitarbeitenden zu fördern. Interessant: Für das interne Wissensmanagement allerdings nutzten mehr als die Hälfte von ihnen eine oder mehrere Web-2.0-Technologien.
Enthusiasmus und Skepsis
Keine Frage, die neuen aktiven Lernformen vermögen Begeisterung auszulösen. Das Blog aus der Chefetage, Mitarbeiterforen im Intranet, Weiterbildungspodcasts, abteilungsübergreifende Wikis – all dies ist heute schnell und auch kostengünstig produziert. Ob sie die betriebliche Weiterbildung revolutionieren werden? Urs Gröhbiel, Professor für Informationsmanagement an der Fachhochschule Nordwestschweiz und Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Edunovum, zeigt sich skeptisch: «Web 2.0 mag für Unternehmen eine wichtige Ergänzung sein – von einem Trend würde ich aber nicht sprechen.» Die neuen Applikationen bringen auch neue Probleme mit sich: Die laufende Generierung von Inhalten in Blogs und Wikis ist aufwendig, die Gewährleistung einer hohen Qualität der Beiträge ist nur bedingt möglich. Für Gröhbiel lautet deshalb die Gretchenfrage: «Können Unternehmen Web-2.0-Technologien in einen sinnvollen didaktischen Rahmen einbetten und damit den Lernprozess bei den Mitarbeitenden wirklich verbessern?»
Lernen per Mausclick – für alle?
Die für die Weiterbildung im Unternehmen verantwortlichen HR Manager müssen sich heute – noch stärker als in der Vergangenheit – sehr viel genauer mit den vorhandenen und zukünftig verlangten Kompetenzen auseinandersetzen und die Ziele und Bedürfnisse ihres Unternehmens ermitteln. «Die Anforderungen an die laufende Erweiterung der Kompetenzen der Mitarbeitenden sind hoch», bestätigt Gröhbiel und fügt hinzu, dass der Lernerfolg in einem Unternehmen untrennbar abhängig sei von dessen Lernphilosophie. Gilt Bildung als strategischer oder als (konjunkturabhängiger) Kostenfaktor? Wird «Lifelong Learning» im Arbeitsalltag gefördert, beispielsweise, indem Lernzeit als Arbeitszeit anerkannt wird? Erhält, wer lernt, Anerkennung – etwa in Form einer Vertretung? Kommen die Bildungsinvestitionen primär den (meist ICT-kompetenten) Hochqualifizierten oder auch den bildungsfernen Arbeitnehmergruppen zugute? Die modernen Lern- und Lehrmethoden sind prädestiniert dafür, «Lifelong Learning» zu einem eigentlichen Volkssport zu machen: So benutzerfreundlich und praxisnah waren Lerntechnologien noch nie zuvor. Jetzt gilt es, die Chancen klug zu nutzen.
- Quelle: «How businesses are using Web 2.0», McKinsey Global Service, March 2007.