Kommentar

Ohne flankierende Massnahmen: weniger Aufträge – weniger Ausbildung!

Das Rahmenabkommen mit der EU ist ein Dauerbrenner. Kann der Bundesrat noch etwas ändern? Wann stimmt das Schweizer Volk darüber ab? Bau und Gewerbe sind vor allem verunsichert, weil plötzlich die geltenden flankierenden Massnahmen auf dem Spiel stehen.

Der mit der EU ausgehandelte Vertragsentwurf zum Rahmenabkommen liegt seit letztem Dezember auf dem Tisch. Der Bundesrat indes konnte sich noch nicht zu einem Entscheid durchringen und schickte den Entwurf in eine innenpolitische Debatte. Die Landesregierung hatte sich eigentlich deutlich für die Beibehaltung des Schweizer Lohnschutzes auf dem gegenwärtigen Niveau ausgesprochen.

Das vorliegende Rahmenabkommen sieht allerdings ebenso deutliche Abstriche bei den flankierenden Massnahmen vor. Bereits im Vorfeld haben Gespräche mit Sozialpartnern und den Kantonen ergeben, dass die Positionen der EU und der Schweiz im Lohnschutz weit auseinanderliegen und kein Konsens in Sicht ist. Immerhin vertrat der Bundesrat weiterhin die Auffassung, dass die Erhaltung des Lohnniveaus in der Schweiz zentral ist.

Flankierende Massnahmen sind unerlässlich

Die Schweizer Baubranche und die Gewerbetreibenden halten die geltenden flankierenden Massnahmen (FlaM) für eminent wichtig. So kommt für sie eine Lockerung der – von der EU in Frage gestellten – Acht-Tage-Regelung zur Anmeldung von Auftragnehmern aus der EU nicht in Frage. Die Branche befürchtet zurecht, dass korrekt handelnde Schweizer Betriebe akut gefährdet sind, wenn sich nicht alle Unternehmen aus dem In- und Ausland an die geltenden Mindestarbeitsbedingungen halten müssten.

Für Andreas Furgler, Geschäftsführer des Schweizerischen Plattenverbandes (SPV) – eine typische Baubranchenorganisation – ist es daher unerlässlich, «dass die FlaM bestehen bleiben und dass der Lohnschutz unangetastet bleibt. Nur wenn wir dies sicherstellen, haben wir die Möglichkeit die Baustellen zu kontrollieren und für gleich lange Spiesse zu kämpfen. Dass dabei der Zeitfaktor entscheidend ist, versteht sich von selbst.» Die Anwendung der Acht-Tage-Regel stehe deshalb nicht zur Diskussion. «Sie darf höchstens dann geritzt werden, wenn im Gegenzug die Prozesse in der Kommunikation zwischen den involvierten Stellen um den gleichen Faktor beschleunigt werden. Gelingt das nicht, bedeutet das den schleichenden Tod für die berufliche Grund- und Weiterbildung im Ausbaugewerbe», ist Furgler überzeugt.

Branche kann weiterem Druck nicht standhalten

«Bereits der gegenwärtige Strukturwandel durch Internationalisierung und Digitalisierung, setzt die Baubranche und die entsprechenden gewerblichen Zulieferer zunehmend unter Druck», befürchtet auch Christoph Andenmatten, Direktor des Metallbauverbandes AM Suisse. «Damit steigt die Konkurrenz und sinken die Margen.»

Innerhalb der Personenfreizügigkeit gilt ein Schutz für inländische Arbeitnehmende. Sollte dieser Schutz gelockert werden, übt dies zusätzlichen Druck auf die Branche aus. Diesem kann sie nicht permanent standhalten. Für die Herausforderungen der 4. Industriellen Revolution sind Innovationen sowie leistungsfähige und konstruktive Massnahmen und auch neue Ausbildungskonzepte gefragt. Und die kosten Geld, welches ohne vernünftige Margen und Gewinne nicht zur Verfügung steht.

Neue qualifizierte Berufsbilder sind nötig

Diese Challenge besteht die Branche nur, wenn neue qualifizierte Berufsbilder und gut ausgebildete, junge Berufsleute auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Die Baubranche hat in den letzten Jahrzehnten laufend in die Ausbildung junger Schweizer Berufsleute investiert, um mit den rasanten Innovationen mitzuhalten und die entsprechenden Leute im Inland zu rekrutieren.

«Um auf dem Markt zu bestehen, brauchen wir die FlaM. Auch weil wir sonst gegenüber unseren Mitgliedern unglaubwürdig werden», sagt SPV-Präsident Konrad Imbach. «Mit dem Landesgesamtarbeitsvertrag – der nota bene neben den einheimischen Firmen auch qualifizierte ausländische Unternehmen schützt – wurden Zugeständnisse gemacht. Dies um dem Schweizer Markt gerecht zu werden, gleich lange Spiesse für das Schweizer Handwerk zu schaffen und um attraktiv für einheimische Mitarbeitende zu sein. Für ein qualitativ gutes Produkt braucht es auch gut ausgebildete, qualifizierte Mitarbeiter – nicht nur heute, sondern auch in Zukunft», erklärt Imbach.

Grössere Bedeutung der beruflichen Kompetenz nötig

Bedauerlich ist allerdings, dass Investitionen in die Ausbildung und entsprechende Anstrengungen selbst im öffentlichen Vergabewesen keine Bedeutung haben. «Die meisten Investoren aus der Privatwirtschaft oder das Gemeinwesen sind letztlich nur darauf bedacht, der Offerte mit dem besten Preis zu folgen. Kriterien wie Engagement in der Berufsbildung, qualifizierter Mitarbeiterstamm, etc. finden keine Berücksichtigung», kritisiert SPV-Geschäftsführer Andreas Furgler.

Nur in Bereichen, in welchen allenfalls die Sicherheit oder die Gesundheit von Menschen betroffen sein könnten, spiele Kompetenz und Erfahrung eine Rolle. Sprich: Bis auf wenige Ausnahmen hat im Bauhaupt- und Nebengewerbe der Nachweis der beruflichen Fähigkeit kaum einen Einfluss.

Wie weiter?

In den sechs Jahren, in denen ich nicht mehr als HR-Verantwortlicher in der ICT-Branche (Informations- und Kommunikationstechnik) arbeite, ist der rasante Wandel von Berufsbildern und neuen Arbeitswelten offensichtlich. Dabei zeigt es sich auch, dass Regulierungen im In- und Ausland mit dieser rapiden Entwicklung nicht oder nur unvollständig mithalten können. Der heutigen – praktisch unbegrenzten – globalen Mobilität, stehen verstärkt nationale Abwehr-, Schutz- und Abgrenzungsmechanismen wie z.B. die flankierenden Massnahmen entgegen.

Die EU ihrerseits will sicherstellen, dass die Regeln ihres Binnenmarktes homogen ausgelegt und von den EU-Mitgliedstaaten einheitlich angewandt werden. Dies wird auch von Drittstaaten mit privilegiertem Marktzugang wie der Schweiz verlangt. Brüssel drängt seit Jahren auf das nun ausgehandelte Rahmenabkommen zur Klärung institutioneller Fragen. Nach einer kurzen aber wohl intensiven innenpolitischen Diskussion will der Bundesrat nochmals das Gespräch mit der EU suchen. Allerdings hat die EU-Kommission Nachverhandlungen ausgeschlossen und will auch keine Anpassungen der bestehenden bilateralen Abkommen mehr zulassen.

Deshalb ist zu hoffen, dass sich im innenpolitischen Prozess eine Lösung abzeichnet. Ein Rahmenabkommen mit entsprechenden Lohnschutzmassnahmen würde von der Baubranche und dem Gewerbe unterstützt. Denn damit liesse sich auch – mit Investitionen in die Berufsbildung – der hohe Schweizer Standard und die Konkurrenzfähigkeit aufrechterhalten.

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Andreas Schneider arbeitete beim ICT-Dienstleister Axept AG in Glattbrugg als CEO-Assistant und ab 2009 führte er das Personalwesen und die interne Kommunikation. Im Oktober 2012 folgte die Rückkehr zur Kommunikationsagentur F+W Communications. Dort ist er seit Juli 2013 Geschäftsführer und seit Januar 2016 Inhaber.

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