Personalentwicklung 2.0

«Positive Emotionen sind die 
Grundlage des Lernens»

Viele ältere Menschen, die lange nicht mehr gelernt haben, brauchen die Erfahrung, dass sie immer 
noch lernen können. Machen sie diese Erfahrung, so lernen sie gerne. Dabei, so weiss Ben Godde, 
Professor für Neurowissenschaft, kann computerbasiertes Lernen unterstützend wirken.

Herr Godde, wie lernen ältere Menschen im Vergleich zu jüngeren?

Ben Godde: Leider geht man in der Regel davon aus, dass ältere Menschen schlechter lernen können als jüngere. Natürlich zeigen sich mit dem Altern oft Einbussen in körperlichen und geistigen Funktionen. Andererseits gibt es einen Zugewinn an Wissen und Erfahrung. Dies kann dazu führen, dass Ältere tatsächlich anders lernen beziehungsweise andere Lernumgebungen benötigen. Im Prinzip gilt dabei aber: Was für Ältere gut ist, ist für Jüngere erst recht gut. Die Vorurteile, dass Ältere zum Beispiel schlechter mit neuen Technologien umgehen können oder das Lernen nicht mehr gewohnt sind, stimmen jedoch nur sehr bedingt.

Nur bedingt ...

ltere sind aus Sicht der Hirnforschung genauso lernfähig wie jüngere. Natürlich gibt es altersbedingte Abbauprozesse: Die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses nimmt ab, das Gehirn wird langsamer, die Neurotransmitterproduktion wird geringer. Das Lernen dauert dadurch im Schnitt länger und benötigt mehr Aufwand.

Die Vorurteile stimmen also doch?

Das ist ja nur ein Mittelwert. Menschen altern extrem individuell und die Unterschiede im Lernvermögen älterer Menschen sind riesig. Viel grösser als bei der jungen Generation. Das kalendarische Alter sagt über die Leistungs- und Lernfähigkeit nur sehr wenig aus. Viel wichtiger sind die Schul- und Ausbildung, der Lebensstil, die Ernährung oder auch die kognitive Anforderung im Alltag und während der Arbeit. Die Stereotype werden dem Einzelnen fast nie gerecht.

Lassen Sie uns beim Durchschnitt bleiben. Wie kann man den Abbauprozessen begegnen?

Denen kann man gut entgegenwirken, indem mehr Wiederholungen erfolgen und kleinere Lernabschnitte verabreicht werden. Und gerade da kann Technologie helfen, denn computerbasiertes Lernen bietet ja gerade die Möglichkeit, individueller zu lernen. Wichtig ist im Kontext mit älteren Mitarbeitern, auf solche Technologien zu setzen, mit denen die Lernenden vertraut sind. Muss zusätzlich zu den Lerninhalten auch noch der Umgang mit dem Medium erst gelernt werden, wird es schwierig.

Welche Gedanken machen sich Unternehmen zum Thema Ältere und Lernen?

Die meisten Unternehmen berücksichtigen die Generation 50plus nicht mehr bei ihren Weiterbildungen, weil sie den Sinn nicht sehen. Aber auch die Älteren fragen sich, ob sie noch weiteres Wissen brauchen, und haben vielleicht lange keine Lernerfahrungen mehr gemacht. Lernen kann man nämlich verlernen. Es gibt wohl Vorbehalte auf beiden Seiten. Dazu kommt, dass die meisten Weiterbildungsangebote und die Art der Vermittlung auf jüngere Mitarbeiter zugeschnitten sind. Dies wird sich aber ändern, je wichtiger mit dem demografischen Wandel auch ältere Mitarbeiter für die Unternehmen werden.

Welche Erkenntnisse hat die Hirnforschung dazu?

Untersuchungen zeigen beispielsweise, dass Ältere negatives Feedback schlechter verarbeiten. Junge lernen aus beiden Arten von Feedback – positiven und negativen Das ist ein wichtiger Punkt. Ältere haben zudem eher sensorische Defizite – können also schlechter hören oder sehen. Sie können auch schlechter Hintergrundgeräusche ausblenden. Gerade im Bereich der Sprachfrequenzen wird das Verstehen schwerer, Sprache muss also deutlich und die Schrift gross sein. Das Nachlassen fängt übrigens schon mit 30 an. Ein anderes sehr wichtiges Thema sind positive Emotionen und Motivation.

Inwiefern?

Positive Emotionen sind die Grundlage des Lernens – das gilt über alle Altersstufen. Aber bei Älteren braucht es noch mehr Aufwand, um das Belohnungssystem im Gehirn zu aktivieren, da weniger Neurotransmitter wie das Dopamin zur Verfügung stehen. Darum spielt die Motivation eine viel grössere Rolle. Ältere müssen viel stärker involviert sein und ihr Interesse direkt angesprochen werden. Sie müssen die direkte Relevanz des Lernstoffes sehen.

Aber das gilt doch für Jüngere genauso ...

Ja, aber die können das besser kompensieren und auch unter Druck und Stress noch ganz gut lernen. Grundsätzlich braucht Lernen entweder Schmerz oder Interesse. Es wird also entweder das Fluchtsystem oder das Belohnungssystem aktiviert. Ersteres soll Wissen über potenzielle Gefahren abspeichern und mit schnellen Reaktionen koppeln. Aber das so Gelernte wird kaum abstrahiert oder mit vorhandenem Wissen in Beziehung gesetzt. Vokabeln zum Beispiel: Unter negativem Druck gepaukte Vokabeln kann ich später schwer in meinen Wortschatz einbauen oder in der Alltagssituation abrufen. Wenn uns hingegen etwas interessiert, wird beim Lernen Dopamin ausgeschüttet und das Belohnungssystem aktiviert. Wir belohnen uns quasi immer wieder selbst durch unsere Lernfortschritte. Das Dopamin führt zu einer weitreichenden Aktivierung des Gehirns und damit zu einer stärkeren Vernetzung der Lerninhalte.

Wir erleben mit Microlearning oder Mobile Learning gerade einen Trend zum Lernen in Häppchen. Nimmt das Gehirn Kleinteiliges tatsächlich leichter auf?

Jein. Wichtig ist ja, was letztlich langfristig gespeichert wird. Dafür ist Wiederholung wichtig, sonst wird ein Häppchen schnell mit dem nächsten überschrieben. 

Kann Technologie dem Gehirn beim Lernen helfen oder die Hürde fürs Lernen herabsetzen?

Technik kann die Notwendigkeit, Fakten zu lernen, reduzieren und dadurch Ressourcen freisetzen, zum Beispiel für die Bewertung dieser Fakten, für die Verknüpfung mit bestehendem Wissen und auch für das Lernen von Strategien zum Finden dieser Fakten. Die Hürde fürs Lernen liegt bei Älteren aber woanders: Sie brauchen nach langer Lernentwöhnung oft die Erfahrung, dass sie immer noch lernen können. Wenn sie die machen, lernen sie auch gern.

Können jüngere Mitarbeitende mit lauten, bunten oder lustigen E-Learning-Anwendungen besser fürs Lernen begeistert werden?

Das macht denen sicher mehr Spass und kann damit die Schwelle herabsetzen, sich mit dem Lernstoff zu beschäftigen. Aber ob sie dadurch auch besser lernen?

Soll Lernen denn keinen Spass machen?

Doch, aber zu viel Spass kann auch vom eigentlichen Lernstoff ablenken und die Aufmerksamkeit für diesen herabsetzen. Da gibt es sicher einen Trade-off.

Müssen sich Lehrende künftig umstellen?

Sowieso. Dadurch, dass Lernen wirklich sehr individuell ist, müssen sich Lehrende auf jeden einzelnen Schüler einstellen – gerade wenn sie älter sind.

In einem Unternehmen ist es schwierig, jeden einzeln zu berücksichtigen ...

In guten Schulen gehen Lehrer auch auf jeden Schüler einzeln ein. Das stellt sicher Herausforderungen an die Didaktik, ist aber möglich und notwendig. Ausserdem ist es nie sinnvoll, dass alle das Gleiche lernen, es hat ja jeder ein anderes Vorwissen und andere Erfahrungen. Wir arbeiten daran, die Unternehmen davon zu überzeugen.

Können Ältere auch etwas besser?

Ja klar. Sie können besser an vorhandenes Wissen anknüpfen und Unwichtiges viel besser ausblenden. Durch ihre Erfahrung können sie relevante Informationen besser erkennen. Zudem ist ihre Selbstmotivation oft höher, wenn sie vom Sinn überzeugt sind und hinter dem Lernen stehen.

Werden die Erkenntnisse der Hirnforschung heute bei der Konzipierung von E-Learning berücksichtigt?

Die Hirnforschung ist noch relativ weit von der realen Welt weg. Wir können zwar häufig im Einzelfall beschreiben, warum gerade eine bestimmte Person schlechter lernt als andere. Wir verstehen auch immer besser, was im Gehirn geschieht, wenn wir etwas lernen. Es ist aber immer noch schwierig, daraus Rückschlüsse für das reale Lernen abzuleiten. So fehlen zum Beispiel noch angewandte Studien, die tatsächlich belegen können, dass hirngerechte Programme im Alltag vorteilhaft sind. Gerade bei kognitiven Lernprogrammen stellt sich die Frage der Übertragbarkeit  auf nichttrainierte Bereiche: Können Lernende also das, was sie am Computer üben, auch in den Alltag übertragen? Wenn ich  zum Beispiel im Lernprogramm lange Zahlenketten memorisieren soll, heisst das noch lange nicht, dass ich mir auch lange Buchstabenketten merken kann. Dennoch macht es Sinn, Hirnforscher an der Konzeption von Lernprogrammen zu beteiligen – zusammen mit Didaktikern und Psychologen.

Ben Godde

ist Professor für Neurowissenschaft am Jacobs Center on Lifelong Learning and Institutional Development der Jacobs University Bremen. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Veränderbarkeit des erwachsenen und alternden Gehirns und mit der Frage, wie diese Veränderbarkeit durch geeignete Interventionen unterstützt und damit die Potenziale ausgeschöpft werden können.

 

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