HR Today Nr. 12/2019: Debatte

Sabbaticals für alle

In Lehrerkreisen längst etabliert, gehören Sabbaticals in Zeiten von Work-Life-Balance inzwischen zum guten Ton. Doch sind diese längeren Auszeiten für jeden Mitarbeitenden geeignet? Beziehungsweise wann sollte ein Sabbatical eingelegt und wann darauf verzichtet werden? Zwei Sichtweisen.

Anneta Karavia: «‹Sabbatics› kehren meist reflektierter, bestimmter und dank­barer in den Alltag zurück.»

Das Wort Sabbatical habe ich vor zehn Jahren das erste Mal in einem Lebenslauf gelesen. Damals war ich Praktikantin in einer Executive Search Boutique in Melbourne und musste den Begriff erst einmal im Internet suchen, um zu verstehen, was genau damit gemeint ist. Denn was ich bislang nicht kannte, war in Australien bereits gang und gäbe: Man legte ein Sabbatical während des Studiums in Form eines Feriensemesters ein, um mehr Zeit mit der Familie zu verbringen, oder man verwirklichte sich einen Traum.

Die Zeitspannen der Sabbaticals variierten dabei zwischen drei und neun Monaten, manche dauerten gar ein ganzes Jahr. Stets wurde die «freie» Zeit als wertvoll und lehrreich beschrieben. Auch unterstützten Arbeitgebende Mitarbeitende mit Sabbaticals als «unbezahlten Urlaub». Und nicht selten sind Arbeitnehmende nach der Rückkehr in ihren Betrieb befördert worden. Natürlich gab es auch immer wieder Menschen, die ihrer bisherigen Karriere den Rücken kehrten, um etwas Neues zu beginnen. So oder so: Sabbaticals wurden in Australien immer als Chance wahrgenommen, die nur Vorteile mit sich bringt.

Zurück in der Schweiz konnte ich in Lebensläufen meist nur noch bei Kandidaten aus dem angelsächsischen Raum einen Sabbatical-Trend ausmachen. Bei Schweizer Kandidaten hingegen bekam das Wort Sabbatical rasch einen negativen Beigeschmack. Es wurde teils gar mit einem Burnout gleichgesetzt. Statt die positiven Faktoren einer solchen Auszeit zu sehen, wird hierzulande über Risiken und Nebenwirkungen gesprochen; angefangen bei finanziellen Einbussen bis zum Aufwand den man hat, um ein Sabbatical vorzubereiten.

Schnell wird das Sabbatical so zum Stressfaktor und die ursprünglich wohlverdiente Pause mehr und mehr als Schwäche abgetan. Klar gibt es nicht nur positive Motivationsfaktoren, die zu einem Sabbatical führen. Viele der «Sabbatics», wie ich sie nenne, haben private Krisen hinter sich. Andere wiederum waren mit ihrer bisherigen Karriere oder auch ihrem Leben nicht zufrieden.

Doch sind bei einem Sabbatical wirklich die Motivationsfaktoren entscheidend? Oder geht es nicht vielmehr um das Resultat einer solchen Auszeit? Denn bei allen Menschen, die ein Sabbatical eingelegt haben, konnte ich eine Gemeinsamkeit feststellen: «Sabbatics» kehren meist reflektierter, bestimmter und dankbarer in den Alltag zurück. Schauen Sie sich um, auch Sie kennen mindestens eine Person, die ein Sabbatical hinter sich hat. Das sind meist Personen, die als inspirierend, positiv und zufrieden gelten. Menschen, die Bewunderung verdienen. Nicht, weil sie etwas Besseres sind, sondern weil sie ihr Leben zur Priorität gemacht haben.

Philippe Guldin: «Sabbaticalnehmende sollten darauf gefasst sein, dass sie auf den Radar ihres Chefs geraten könnten.»

Sabbaticals sind im Trend. Was spricht also dagegen? Beispielsweise, dass sie etwas kosten. Denn nicht nur die Auszeit muss finanziert werden. Ein Sabbaticalnehmender erhält in dieser Zeit kein Erwerbseinkommen und die BVG- beziehungsweise Sozialversicherungsbeiträge sind aus der eigenen Tasche zu bezahlen, dito bei längerer Abwesenheit die Kosten für die Unfallversicherung.

Auch das Argument, dass es sich auf jeden Fall lohnt, eine Auszeit zu nehmen, da sie der persönlichen Entwicklung dient, trifft nicht auf alle zu. Es gibt durchaus Menschen, denen die Rückkehr in den Alltag schwerfällt. Besonders wenn sie ihren Job extra für das Sabbatical gekündigt haben und sie sich nun um eine neue Stelle bewerben müssen. Nur im Idealfall findet der Sabbaticalnehmende im Anschluss eine neue, spannende und herausfordernde Stelle. Im schlechteren Fall warten auf ihn Arbeitslosigkeit, ein Zurückstufen im Job oder eine schlechtere Karrierewahl.

Entscheidend bei einem Sabbatical ist deshalb, wie man die Zeit verbringt, beziehungsweise was die persönliche Zielsetzung ist. Wenn die Zielsetzung Erholung ist und der Sabbaticalnehmende ausgeruht zurückkommt – fair enough! Kritik könnte da ansetzen, wo ein Sabbatical eher eine Flucht oder ein Ausweichen darstellt. In diesen Fällen ist eher ein Coaching als ein Sabbatical angesagt.

Nimmt man die Perspektive des Arbeitgebenden ein, so spricht einiges gegen Sabbaticals. Falls der Arbeitnehmende nicht kündigt, sondern einen unbezahlten Urlaub nimmt, stellt das den Arbeitgebenden vor zahlreiche Herausforderungen – organisatorische, arbeitsrechtliche und planerische.

Zu deren Lösung wird er Zeit und Ressourcen aufwenden, was einer Investition in den Arbeitnehmenden gleichkommt. Denn das operative Tagesgeschäft läuft ja während dessen Abwesenheit weiter. Der Arbeitgebende möchte deshalb wissen, ob der Mitarbeitende nach der Auszeit tatsächlich motivierter und inspirierter zurückkehrt und einen konkreten Mehrwert für das Unternehmen bietet. Sabbaticalnehmende sollten deshalb darauf gefasst sein, dass sie auf den Radar ihres Chefs geraten könnten, vor allem, wenn sie die Auszeit nicht ausreichend begründen können oder wollen.

Es lohnt sich also, sich vor einem Sabbatical eingehend Gedanken über die Gründe und Ziele zu machen. Falls ein Sabbaticalnehmender ins Unternehmen zurückkehren will, sollte er transparent über die eigenen Absichten informieren. Falls er indes kündigt, dann wiederum nur mit dem Taschenrechner in der Hand und einer realistischen Einschätzung der eigenen Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

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Anneta Karavia ist Senior Talent Acqui­sition Consultant bei der Level Consulting AG im Bereich der Rekrutierung für nationale und internationale Unternehmen. Als Social Media Coach unterstützt sie Kandidatinnen und Kandidaten zudem im Out- oder New- ­Placement-Prozess.

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Philippe Guldin ist Inhaber der Guldin Executive Search AG und hat sich auf die Selektion von Fach- und Führungskräften spezialisiert. Als zertifizierter Assessor MPA bietet er Assessments und Coachings an. Ursprünglich ist Guldin promovierter Politologe.

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