Prüfen und binden

Schummeln, Schönfärben und Schwindeln – Normalfall auf dem 
Arbeitsmarkt?

Schönfärberei ist en vogue. Allerdings nicht nur auf Bewerberseite, auch Firmen versprechen in ihren Stelleninseraten oft das Blaue vom Himmel herunter. Grund genug für beide Seiten, sich nicht vom schönen Schein blenden zu lassen.

Nimmt der Bewerbungsbetrug epidemische Ausmasse an? Wie ernst zu nehmen sind Schreckensmeldungen in den Medien, wonach in Australien, Südafrika oder Frankreich der «CV Fraud» offenbar bereits zur Tagesordnung im Rekrutierungsprozess gehört? Und noch interessanter: Wie genau nehmen es Bewerber hierzulande mit der Wahrheit? Wissenschaftliche Studien gebe es dazu nicht, erklärte Norbert Thom, Professor für Personalmanagement und Leiter des Instituts für Organisation und Personal in Bern, im Gespräch mit HR Today bereits im vergangenen September (HR Today 9_07, Seite 39), und solche könne es auch gar nicht geben.

Einerseits sei der Forschungsgegenstand kaum einzugrenzen. Andererseits stellten die äusserst komplexen Vergleichsgruppen die Forschung vor die Schwierigkeit, definieren zu müssen, wovon in einer solchen Studie überhaupt die Rede sein soll. Kurz gesagt: «Wo hört die Schönfärberei auf und wo beginnt der Betrug?»

Fehlendes Problembewusstsein?

«Ist es eher das Problem oder aber nur das Problembewusstsein, das bei uns (noch) weniger ausgeprägt ist als anderswo?», fragt dagegen Peter Vonlanthen, Geschäftsleiter KV Zürich, in seiner durchaus provokativ gemeinten Schrift «Alle lügen». Der KV Zürich mit seinen 20000 Mitgliedern sei täglich mit Lug und Trug im Rekrutierungsprozess konfrontiert – Grund genug, sich einmal eingehend mit der Problematik zu befassen, erklärt Vonlanthen. Im Februar 2008 hat auch der international tätige Personaldienstleister Kelly Services in einer Umfrage immerhin 16 Prozent von 2100 befragten Schweizern das Geständnis entlockt, sie hätten in einem Bewerbungsgespräch schon einmal «unaufrichtige Angaben» gemacht.

Unaufrichtige Angaben? Gerade diese doch eher vage Formulierung zeigt, wie gross der Graubereich bei diesem Thema ist. Was bedeutet denn «unaufrichtig» genau? Auf welche Frage wurde ausweichend oder nicht ganz wahrheitsgetreu geantwortet? Und: Versteckt sich hinter der Unaufrichtigkeit überhaupt ein bösartiger Betrugsversuch? «Typischerweise werden in Bewerbungsunterlagen die für eine Stelle erforderlichen Kenntnisse so umgewichtet, dass sie ideal mit dem Anforderungsprofil zusammenpassen, egal, wie weit davon entfernt die Realität liegen mag», erklärt Vonlanthen. «Nur: Zwischen der Herausstellung von vorhandenen Fähigkeiten und der Betonung von Randkenntnissen klafft halt eine Lücke unkontrollierter Beliebigkeit.» Anders gesagt: Wer wollte sich selbst aus dem Rennen um einen spannenden Job werfen, indem er oder sie in der kurzen Zeit, die Personalverantwortlichen bekanntlich zur Durchsicht eines Dossiers zur Verfügung steht, die Aufmerksamkeit ausgerechnet auf eine vermasselte Diplomprüfung oder die halbjährige Arbeitslosigkeit vor zehn Jahren lenkt?

Überall nur High Potentials

«Alle lügen», titelte Vonlanthen seine Schrift und meint mit «alle» nicht alle Bewerber, sondern alle am Arbeitsmarkt Beteiligten – also auch die Unternehmen. Insbesondere deren gegenwärtig fast schon hysterisch anmutende Suche nach «den Besten» hält Vonlanthen für kontraproduktiv. In fast allen Stelleninseraten werde nach «High Potentials» gesucht, egal, ob es sich bei der ausgeschriebenen Stelle um einen kaufmännischen Mitarbeiter handle oder eine Abteilungssekretärin. Ein Hauswart sei heute ein «Facility Manager», der bitteschön auch über einen Fachhochschulabschluss verfügen müsse, amüsiert sich Vonlanthen und folgert: «Unrealistische Ansprüche ziehen unrealistische Bewerbungen nach sich.»

Diese Ansicht wird von anderen Personaldienstleistern geteilt. Oft würden akademische Grade gefordert, die durch die hierarchische Position im Unternehmen gar nicht gerechtfertigt seien – was zu Frust beim «High Potential» führen müsse, ist etwa zu hören, und ein erfahrener Headhunter, der nicht namentlich genannt werden möchte, kommentiert die Redlichkeit von Bewerbern und Unternehmen lakonisch: «Beide Seiten bleiben einander nichts schuldig.»

IT – gutes Fälscherwerkzeug?

Im Gespräch mit Personalverantwortlichen grosser Firmen, die jährlich sehr viele Bewerbungen zu prüfen haben, zeigt sich aber: Ernsthafte Betrugsversuche, die sogar Dokumentenfälschung beinhalten, sind selten. Die selbsternannten Doktoren, Ingenieure und Finanzexperten bleiben Einzelfälle. Im Normalfall beschränkt sich die «Schummelei» offenbar auf eine Lücke im CV, die mehr oder weniger kreativ erklärt wird, oder auf vermeintliche Berufserfahrung, die sich auf Nachfrage eher als Schnupperlehre erweist.

Tatsächlich finden die entschlossenen Fälscher in der heutigen Technik nützliche Werkzeuge. So erfordert etwa die Änderung einer Zahl in einem Dokument im PDF-Format kein IT-Expertenwissen. Dort, wo Zertifikate in Massen produziert werden, könnten sich digitale Verschlüsselungssysteme durchaus als nützlich erweisen. Tatsächlich prüfen gegenwärtig einige Universitäten in Europa den Einsatz von digitalen «Siegeln», um ihre Diplome fälschungssicher zu machen. Beim Personalverantwortlichen des kleinen oder mittleren Unternehmens, der jährlich nur wenige Dutzend Bewerbungsdossiers zu prüfen hat, gilt aber nach wie vor: Genau hinschauen!

Ungleiche Spiesse beim Mogeln

Ist vom Bewerberbetrug die Rede, sind Opfer- und Täterrollen meist stereotyp verteilt: Die Bewerber mogeln, die Unternehmen sind die Geschädigten. Als Interessenvertreter seiner Verbandsmitglieder weist Vonlanthen allerdings auf einen Punkt hin: «Bei einer Täuschung durch das Unternehmen sieht es für neue Mitarbeitende erheblich schlechter aus als im umgekehrten Fall.» Angestellte, die auf eine wohlklingende Jobbeschreibung «hereinfallen», seien bestenfalls um eine Erfahrung reicher, müssten sich aber mit den Folgen einer Kündigung, der erneuten Jobsuche, drohender Arbeitslosigkeit, dem RAV, Taggeld etc. herumschlagen. «Drum prüfe, wer sich binden will» mag man da – frei nach Schiller – nicht nur Partnersuchenden, sondern auch all jenen raten, die sich auf die Suche nach fruchtbarer Zusammenarbeit begeben.

Entscheidungshilfe für Personaler: 
vorsichtig am Lack kratzen

  • Recherche gut vorbereiten. Effizienz ist im Personalgewinnungsprozess wichtig, und erfolglose Herumtelefoniererei kann sich niemand leisten. Bevor eine Referenz eingeholt wird, sollte ein klares Bild des Dossiers und des Bewerbers vorliegen und sollten die wichtigsten Details bekannt sein. Zur Vorbereitung des Gesprächs ein paar Fragen notieren, die zusätzliche Informationen über den Bewerber liefern. Gibt es Fakten, die für die zukünftige Tätigkeit so wichtig sind, dass sie unbedingt geprüft werden sollten (etwa Angaben zu Erfahrung auf einem System oder in einem Tätigkeitsbereich)?
  • 
Offizielle und inoffizielle Kanäle nutzen. Im Internet sind viele Daten abrufbar – allerdings auch viele biografische Nebensächlichkeiten. Menschen können oft präziser Auskunft geben. Referenzpersonen werden von Bewerbern ausgesucht – also sprechen sie in der Regel für sie oder ihn. Oft lohnt es sich, halboffizielle Kanäle wie ehemalige Vorgesetzte oder Teamkollegen ausfindig zu machen. Verbände, die das Unternehmen kennen, können unter Umständen Ansprechpersonen vermitteln. Solche Recherchen verlangen Fingerspitzengefühl und vor allem Transparenz. Deshalb: Klarstellen, wer man ist, weshalb man Fragen stellen möchte. Das Einverständnis des Gesprächspartners ist wichtig. Im Auge behalten, dass das Ziel solcher Recherchen Fakten sind, nicht Meinungen.
  • 
Kopf oder Bauch? Wer glaubt, die Traummitarbeiterin gefunden zu haben, vertraut meist auf sein Bauchgefühl und die Regel «der erste Eindruck zählt». Oft bestätigt sich die Regel – aber nicht immer. Weil bei der Besetzung einer Position viel auf dem Spiel steht, lohnt es sich, bewusst rationale Gründe zu suchen, die gegen die Bewerberin oder den Bewerber sprechen könnten.

Traumstelle oder Alptraumfirma? 
Recherchetipps für Bewerber

  • Gute Vorbereitung. Nicht unvorbereitet bewerben oder ins Vorstellungsgespräch gehen – schliesslich will man sich auf längere Zeit binden. Die erste Anlaufstelle ist immer die Homepage des Unternehmens. Macht sie einen professionellen Eindruck? Sind Adressen, Lagepläne und Kontakte leicht zu finden? Stellt sich das Unternehmen sympathisch dar? Welchen Gesamteindruck macht die Webseite? In welcher Form werden die Mitarbeitenden erwähnt? Finden sich interessante Publikationen, PowerPoint-Präsentationen oder Vorträge von Mitarbeitenden?
  • 
Kluge Fragen stellen. Klar: Bewerber dürfen nicht allzu offensiv auftreten. Dennoch steht auch ihnen das Recht auf kritische Fragen zu – mit Fingerspitzengefühl gestellt: Seit wann existiert diese Stelle? Wie oft wurde die Stelle in den letzten Jahren neu besetzt? Besteht die Möglichkeit, vorab jemanden aus dem Team kennen zu lernen? Darf ich mit dem/der Vorgänger/in reden?
  • 
Zweifel? Unbedingt nachrecherchieren! Nicht nur Personalverantwortliche, auch Bewerber finden eine Menge interessanter Informationen im Internet. Wer die Firma googelt, mag so manche Überraschungen erleben – die allerdings mit Vorsicht zu geniessen sind. Die Meinungen Einzelner müssen sich nicht immer bestätigen. Bei kleinen Einzelfirmen, deren Besitzverhältnisse, Liquidität oder Seriosität nicht auf den ersten Blick ersichtlich sind, lohnt sich auch ein Blick ins Handelsregisteramt (www.zefix.ch) oder gar ein Auszug aus dem Betreibungsregister. Arbeitgeber-Rating-Seiten wie etwa kununu.ch oder Blogs können ebenfalls lohnende Auskünfte bringen.

Quelle

  • «Alle lügen. Bewerbungsbetrug ist weit 
verbreitet» von Peter Vonlanthen, Geschäftsleiter 
KV Zürich. Zu bestellen unter der Telefonnummer 044 211 33 22.
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