Agilität

Sechs agile Naturgesetze, um Stolperfallen zu meiden

SAFe, LeSS, Scrum – agile Methoden gibt es dutzende. Doch welche eignen sich am besten für das Vorhaben des Unternehmens? Dafür muss man die Grundlagen für Agilität und die effiziente Zusammenarbeit zuerst einmal kennen.

Grundsätzlich ist es nicht verkehrt, über agile Methoden und Rahmenbedingungen zu sprechen. Doch leider fehlt selbst unter Expertinnen und Experten oft die Erkenntnis, welche Effekte sie mit dem blinden Einsatz solcher Methoden erzeugen. Woran es mangelt, ist das Verständnis der zugrundeliegenden «Naturgesetze», die das Wirken von «Agile» und «Flow» definieren. Wer diese nicht versteht, wird immer wieder überrascht sein, was passiert, wenn man Methoden anwendet. Das gilt für «Agile»-Expertinnen und -Experten genauso wie für Führungskräfte, die eine Organisation agil machen wollen.

Was beide unterscheidet: Die Führungskraft läuft sehenden Auges in eine neue Problemwelt, während Expertinnen und Experten im schlimmsten Fall mit gefüllter Berater-Brieftasche das sinkende Schiff verlassen. Das Begreifen einiger Grundlagen liefert Führungskräften praktische Orientierung im agilen Massnahmen- und Wirkungsdschungel.

1. Anstehende Arbeit möglichst reduzieren

Littles Gesetz ist eine bewiesene Gesetzmässigkeit der Warteschlangen-Theorie. Es zeigt, warum es so wichtig ist, die anstehende Arbeit (Work in Process, Abk. WIP) möglichst zu reduzieren, ohne den Fluss zu unterbrechen. Denn wenn mehr Aufgaben hinzukommt als erledigt werden, beginnt sich der Arbeitsanfall zu stauen. Reduziert man den WIP, schlägt sich das sofort in einer verringerten Durchlaufzeit nieder und Prozesse geraten in Fluss. Somit führt die Verringerung des WIP in der Regel zur Fehlerreduktion von negativem Multitasking sowie von Unterbrechungen – und die Leistungsfähigkeit steigt. Aber: Um einen möglichst gleichmässigen Fluss zu garantieren, darf der WIP keinesfalls zu niedrig angesetzt sein, um Engpässe zu vermeiden (siehe Goldratts Gesetz).

2. Engpässe managen

Jedes komplexe offene System hat genau ein Element, das den Durchsatz einschränkt. Goldratts Gesetz, auch Engpass-Theorie genannt, gilt für fast alle Systeme. Die Implikation von Goldratts Gesetz: Wenn wir akzeptieren, dass es nur eine einzige lähmende Einschränkung, beziehungsweise einen Engpass im System gibt, müssen wir alle Managementaktivitäten auf genau diesen einen Punkt konzentrieren. Optimierung findet nur dort statt, Prioritätsentscheidungen fallen auf dessen Grundlage. Eine Überlastung oder ein Aushungern des Engpasses ist unbedingt zu vermeiden, wenn wir das Beste (als den höchstmöglichen Gesamtdurchsatz) aus ihr schöpfen wollen. Ein geplanter Puffer und eine geplante Auslastung der Einschränkung von etwa 80 bis 85 Prozent helfen, Schwankungen auszugeichen und abzufangen. Wer Goldratts Gesetz annimmt, versteht, warum es Sinn ergibt, eine Organisation zu unterbelasten und das Management auf den Engpass zu konzentrieren, um die optimale Leistung zu erreichen.

3. Je komplexer, desto agiler

Komplexität schlägt Komplexität! Das besagt das Gesetz der erforderlichen Varietät von Ashby. Ursprünglich aus der Kybernetik beschreibt es, dass je mehr Varietät ein System aufweist, desto besser kann es mit der Varietät seiner Umwelt umgehen. Wer an der Spitze stehen will, muss eine grössere Vielfalt an Verhaltensweisen nutzen können (ergo: komplexer sein) als das System, das man kontrollieren will. Setzen wir hier nur mit einer einzigen Methoden wie beispielsweise Scrum an, fehlt uns genau diese Komplexität. Was auf den ersten Blick verrückt scheint, ist tatsächlich so: Komplexität macht «Agile» einfacher.

4. Agilität zeigt sich in der Kommunikation

Conways Gesetz ist zwar nicht wissenschaftlich bewiesen, dennoch nachvollziehbar: Es besagt, dass Organisationen Systeme entwerfen, die ihre eigene Kommunikationsstruktur widerspiegeln. Wenn etwa die Kommunikation in einer Organisation nur von oben nach unten läuft, stellt sich die Frage, ob diese Organisation überhaupt eine verteilte, selbstorganisierte Systemarchitektur entwerfen könnte. Der Systementwurf wird immer von oben nach unten verlaufen. Die Folgerung: Will eine Organisation in der modernen Welt selbstorganisierter, lose gekoppelter Systeme spielen, muss sich diese Organisation im ersten Zug selbst so organisieren und kommunizieren.

5. Regelmässige Kontrolle

Im Shannon-Hartleys Gesetz geht es um die Datenübertragung. Doch was haben technische Erkenntnisse in der Nachrichtentechnik mit «Agile» zu tun? Letztendlich geht es um Kommunikation: Um ein gültiges Signal zu sehen, muss die Frequenz der Messung mindestens doppelt so hoch (besser noch höher) sein. Steuern wir also ein System, in dem wöchentlich relevante Ereignisse auftreten, müssen wir theoretisch mindestens zweimal pro Woche (noch besser täglich) messen und kontrollieren, um die Ereignisse nicht zu verpassen. Um das System zu stabilisieren, stehen die gemessenen relevanten Ereignisse allen Verantwortlichen jeden Tag zur Verfügung – nicht als führungsspezifischer Kontrollmechanismus, sondern als einfache Notwendigkeit, um ein System stabil zu halten.

6. Selbstorganisation ist schneller, sicher und nachhaltiger

Das deutsche Physiker-Psychologen-Duo Hakens/Schiepeks forschen umfassend über Selbstorganisation. Sie nennen ihre Ergebnisse «Synergetik» und fassen diese in einem gleichnamigem Buch zusammen. Dort beschreiben sie Selbstorganisation als einen Wirkmechanismus, der bei offenen Systemen, die aus autonomen Teilsystemen (Abteilungen/Teams, Einzelpersonen) bestehen, eine fast sprunghafte Änderung der Ordnungszustände ermöglicht. Also genau das, was wir anstreben, wenn wir Agile implementieren oder Flow erreichen möchten – den Sprung von einem Zustand niedriger Leistung in einen Zustand höherer Leistung. Selbstorganisierte Veränderungen laufen aber nicht nur schneller, sondern auch sicherer ab, weil niemand gegen das System anläuft. Vielmehr arbeitet das System mit und der Change wird nachhaltig.

Checkliste Agilität

  • Sorgt die vorgeschlagene Methode dafür, dass Sie den Engpass der Organisation erkennen – Goldratts Gesetz?
  • Stellt die vorgeschlagene Methode sicher, dass jeder und jede unter 100 Prozent Auslastung (inklusive der Backlogs) ist – Littles Gesetz?
  • Um beispielsweise Termine einzuhalten: Kann die Methode nicht nur agile Teams, sondern auch agile Projekte – Ashbys Law?
  • Ist die Steuerung schnell genug – Shannons Theorem? Geht es darum, auf Monatsgenauigkeit zu liefern, muss das Signal ein- bis zweimal wöchentlich erzeugt werden. Möchte ich wochengenau liefern, dann täglich für alle!
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Wolfram Müller

Wolfram Müller ist Experte für agiles Multiprojektmanagement sowie Gründer von BlueDolphin. Seine Passion: selbstorganisierte Veränderungen und Engpassmanagement. Über 40 Unternehmen, vom Start-up über den Mittelständler bis hin zu Konzernen, in allen Branchen haben bisher von seinem Wissen und Methoden profitiert. Sein Ziel beim Kunden: deutlich mehr Projekte mit gleichen Ressourcen sowie eine Verkürzung der Projektlaufzeiten innerhalb weniger Wochen. blue-dolphin.world

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