Noch immer omnipräsent: sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz

Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz beginnt meist subtil und kann sich langsam zum Unerträglichen steigern. Deshalb gilt: handeln statt abwarten. Das sagt auch Daniel Peter, Job-Coach und selbsternannter «Gentleman aus Überzeugung».

Daniel Peter, Sie sind aktuell Job-Coach bei einer Fach- und Beratungsstelle zum Thema Arbeit. Davor waren Sie viele Jahre im Personalwesen tätig, unter anderem als HR-Leiter bei einem Grosskonzern. Wie steht es in der Schweiz in dieser Hinsicht um die Gleichstellung?

Daniel Peter: Die Schweiz hat in Sachen Gleichstellung noch viel Arbeit vor sich. In der Wirtschaft fehlt es an Frauen in Führungspositionen und wie die letzten Erhebungen und Statistiken gezeigt haben, sind Frauen bei den Gehältern immer noch wesentlich schlechter gestellt. Frauen sind auch eher von der Altersarmut betroffen, da sie wegen Beitragslücken (Kinderbetreuung, Haushaltung) weniger in die Altersvorsorge einbezahlen.

Wie oft sind und waren Sie mit dem Thema Sexual Harassment konfrontiert?

Sexuelle Belästigung war natürlich immer wieder ein Thema in meiner Tätigkeit in Personalabteilungen. Wichtig ist, dass man den betroffenen Frauen zeigt, dass man ihr Anliegen ernst nimmt und auch sicherstellt, dass sie die notwendige psychologische Betreuung in Anspruch nehmen. Dann gilt es, Gespräche mit den beschuldigten Männern zu führen. Je nach Sachverhalt kommt es zu einer Verwarnung, Entlassung oder gar einer fristlosen Entlassung. Es waren pro Jahr einige Fälle, die mir gemeldet wurden. Bei unserer Beratungsstelle sind es mehr meine weiblichen Kolleginnen, welche die Fälle betreuen. Fälle von sexueller Belästigung erfordern eine psychosoziale Beratung, oft sind es aber auch arbeitsrechtliche Lösungen die gefunden werden müssen.

Wie soll in einer Firma mit Fällen umgegangen werden?​

Die meisten Grossfirmen haben entsprechende Informationen auf ihrem Intranet, die für Mitarbeitende und Vorgesetzte zugänglich sind. Sowohl Vorgesetzte wie auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Personalabteilungen sind entsprechend geschult. Zum Teil werden bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz auch externe Expertinnen und Experten beigezogen. Wichtig ist, dass es in einem Unternehmen entsprechende Richtlinien gibt und dass Fälle von sexueller Belästigung auch ernst genommen werden. Leider erleben wir in der Praxis, dass viele Arbeitgebende versuchen, die Fälle zu vertuschen. Was sexuelle Belästigung ist und was nicht, wird sehr individuell empfunden. Dabei ist es wichtig, dass nicht die Absicht der agierenden Person, sondern wie ihr Verhalten bei der betroffenen Person ankommt, ausschlaggebend ist. Die Grenze zwischen einem harmlosen Flirt, freundschaftlichem Umgang und sexueller Belästigung ist nicht ganz einfach zu ziehen und die Toleranzgrenze ist sehr individuell. Sexuelle Belästigung kann mit Worten, Gesten oder Taten ausgeübt werden. Betroffene sollten von ihren Arbeitgebenden auf die Rechtslage (eventuell ist eine strafrechtliche Anzeige angebracht) aufmerksam gemacht werden. Wichtig ist auch, den Betroffenen ein Gespräch mit einer Psychologin, einem Psychologen zu empfehlen. Dann muss natürlich auch sichergestellt werden, dass Gespräche mit der agierenden Person geführt werden, allenfalls macht auch eine Beurlaubung während der internen oder externen Untersuchung Sinn, arbeitsrechtliche Massnahmen wie Verwarnung, Entlassung oder fristlose Entlassung sind zu prüfen; es gibt gute Beratungsstellen zu der Thematik und dort können sich sowohl Betroffene wie auch Arbeitgebende beraten lassen.

Wieso werden viele Fälle von sexueller Belästigung nicht gemeldet?

Die Angst vor einem Verlust der Arbeitsstelle ist in der Praxis recht gross. Insbesondere wenn die sexuelle Belästigung von einem Vorgesetzten vorgenommen wird. Das Abhängigkeitsverhältnis hält Betroffene oft davon ab, notwendige Schritte zu unternehmen. Entsetzt war ich, dass gewisse Schweizer Politikerinnen im Falle von Sexual Harassment zur Kündigung raten.

Welche Möglichkeiten habe ich im internen HR und extern, wenn ich von Sexual Harassment im Arbeitsleben betroffen bin?

Es gibt diverse Beratungsstellen. Die Kontaktdaten sind einfach im Internet zu finden und können auch bei den Gemeindebehörden erfragt werden. Je nach Richtlinien ist die Ansprechperson intern das HR oder eine Fachperson. Die entsprechenden Informationen sind meist auf dem Intranet aufgeschaltet.

Empfehlen Sie, diejenige Person auch persönlich darauf anzusprechen und darauf hinzuweisen?

Das ist je nach Situation und der eigenen Verfassung angebracht oder nicht. Die Thematik ist vielfältig. Nicht jede Person hat genügend Selbstvertrauen um sich in einer solchen Situation zur Wehr zu setzen. Und es kann sich ja um einen Flirt, sexuelle Belästigung oder gar sexueller Übergriff handeln.

Inwiefern sind auch Männer von Sexual Harassment am Arbeitsplatz betroffen?

Klar, auch Männer sind betroffen von sexueller Belästigung. Einerseits durch Frauen, aber auch durch Männer. Das haben Umfragen gezeigt. Die Scham, sexuelle Belästigung oder auch häusliche Gewalt zu melden, ist aber für Männer immer noch sehr gross.

Was halten Sie von der #metoo-Bewegung?

Die #metoo Bewegung halte ich für sehr wichtig. Sie hat die gesellschaftliche Diskussion über das Themawieder entfacht und die Hemmschwelle, darüber zu sprechen vermindert. Es gibt auch Frauen in der Politik, welche das Thema aufgenommen haben und sich tatkräftig engagieren

Welche Forderungen haben Sie, um die Resilienz Betroffener stärken zu können?

Es benötigt eine Sensibilisierung in der Politik, der Wirtschaft und der Öffentlichkeit. Ich finde auch Kampagnen im ÖV zu dem Thema sehr wertvoll. Intern in Firmen sollten nicht nur Mitarbeitende in den Personalabteilungen und Vorgesetzte geschult werden, es sollte Schulungen für alle Mitarbeitende geben.

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