«Shut The Fuck Up»
An der ersten «Digital Detox-Konferenz» der Schweiz erfuhren die Teilnehmer, wie sie digital abschalten können. Vorgestellt wurden Apps, Tipps, aber auch das Best-Practice-Beispiel einer deutschen Firma, die am Abend und an Wochenenden eine E-Mail-Sperre verhängt.
Nach der Konferenz wurde ein Apéro Riche serviert. (Fotos: Marco Stalder)
Wer am Donnerstag in den Papiersaal bei Sihlcity in Zürich trat, musste als erstes sein Handy abgeben. Eine ungewohnte Geste. Und einigen Gästen der ersten Digital Detox-Konferenz der Schweiz fiel es offensichtlich nicht ganz leicht, sich von ihrem geliebten Gadget zu trennen.
Organisator der Konferenz war ausgerechnet die Online-Agentur Xeit. Deren Chef Simon Künzler hat bereits eigene Erfahrungen mit dem digitalen Entgiften gemacht: 2014 verbrachte er sieben Wochen in Schweden ohne jeglichen Internetzugang. Das sei «die beste Zeit meines Lebens» gewesen, sagt er zur Eröffnung der Konferenz. Und betont: «Das Internet ist nicht per se schlecht, aber wir sollten darüber nachdenken, wie wir es nutzen.»
Durchaus schlechte Erfahrungen mit dem Web hat Referent Jeroen van Rooijen, Stil-Experte bei der NZZ, gemacht. Ein unbedachter «Like» auf eine Blocher-kritische Facebook-Seite führte vor einem Jahr zu einem veritablen Shitstorm, in dessen Folge er beschimpft, verunglimpft und sogar mit Mord bedroht wurde. Die Weltwoche und die noch rechtskonservativere Schweizerzeit stellten ihn an den Pranger. Das war Auslöser für van Rooijens Digital Detox-Kur. In Zürich stellte er der kleinen, aber feinen Gästeschar seine «10 Ways to Detox» vor. Regel Nr. 1: «No Negativity». Er verfasst keine Hass-Posts und kommentiert nichts, was ihn aufregt. Weitere Regeln beinhalten, sich von falschen Freunden, vor allem «Stänkerern und Lästerern» zu trennen, E-Mail-Pausen einzulegen, auch online einen gewissen Stil zu wahren – etwa Ansprache, Grussformel und Absender in SMS oder E-Mails verwenden –, bewusst Geräte abzuschalten, etwa mal über die Mittagspause, und «work with your hands»: Mit den Händen arbeiten, in seinem Fall nähen.
24 Stunden lang offline
Ums Abschalten geht es auch Kevin Kyburz. Der 25-Jährige ist Web-Redaktor bei Radio 24 und Radio Argovia. Der Blogger lancierte am 15. Dezember 2013 mit einem Blogger-Kollegen den ersten #OfflineDay. 24 Stunden lang waren sie und rund 700 weitere Personen an jenem Sonntag offline. Die Wiederauflage 2014 war schon schwieriger, denn da fiel der Offline-Day auf einen Montag. Arbeiten konnte Kevin Kyburz nicht, also nahm er kurzerhand frei und ging auf Promo-Besuchstour. Wie er den Tag (ein Dienstag) dieses Jahr handhabt, weiss er selbst noch nicht.
Hilfe beim digitalen Abschalten bietet inzwischen auch die Swisscom an. In Zusammenarbeit mit dem gleichnamigen Start-up hat die Swisscom die App «Offtime» entwickelt. Die App will seine Nutzer dabei unterstützen, ihre Handynutzung besser zu kontrollieren und für eine bestimmte Zeit eine digitale Auszeit zu nehmen. Die App misst, wie oft wir unser Handy entsperren, wie viele Stunden pro Tag wir das Smartphone nutzen, und Ähnliches. «Die App macht uns bewusst, wie viel Zeit wir mit dem Smartphone verbringen», verdeutlicht Michel Lapiccirella, Produktverantwortlicher bei Swisscom. Dieses Bewusstsein suchen viele: Die App wurde weltweit schon 500'000 mal heruntergeladen.
Prämien für Offline-Zeit
Ebenfalls eine App hat Mirco Fehr entwickelt: «STFU – Shut The Fuck Up» belohnt Offline-Zeit mit Punkten, die sich in einem Prämienshop einlösen lassen. Seit Mai dieses Jahres ist die App auf Android verfügbar, allerdings mit mässigem Erfolg, wie der Betriebswirtschafter durchaus selbstkritisch zugibt.
Ganz konkrete Offline-Zeiten verpasst David Hoeflmayr seinen Mitarbeitern. Der CEO des deutschen Server-Herstellers «Thomas-Krenn.AG» hat eine E-Mail-Sperre zwischen 20 und 7 Uhr eingeführt, ebenso an Wochenenden sowie in den Ferien. Einzig der Support und der Aussendienst sind von der E-Mail-Sperre ausgenommen.
Ausnahmen abgelehnt
Vorher überlegte sich die Firma allerdings sehr genau, ob es Aufgabe eines Unternehmens ist, diese Entscheidung den Mitarbeitern abzunehmen und ob die Firma überhaupt bestimmen darf, wann die Leute arbeiten. Während für viele Mitarbeiter die E-Mail-Sperre gar kein Thema war, weil sie sowieso nie nachts oder in den Ferien Mails verschickten, verlangten andere mit seitenlangen Begründungen eine Ausnahme, die allerdings konsequent abgelehnt wurde. Nach drei Monaten wurde die E-Mail-Sperre zur Normalität und einige Mitarbeiter berichteten sogar von gesteigerter Lebensqualität.
Zur Reduktion der E-Mail-Flut hat David Hoeflmayer auch eine E-Mail-Schulung für seine Mitarbeiter organisiert. Das Ergebnis ist eine messbare Reduktion des internen E-Mail-Volumens. «Wir sind permanent am Ausprobieren und Dazulernen», kommentiert der CEO die Entwicklung.
Wie weit der Chef seinen Mitarbeitern Vorschriften machen darf, war auch Thema des Vortrags von Claudia Meier Magistretti und Gian-Claudio Gentile von der Hochschule Luzern. Im Projekt «BGM ist Chefsache!?» untersuchten sie, inwiefern Führungskräfte für die Gesundheit ihrer Mitarbeiter verantwortlich sind. Sie definierten Massnahmen, die für die Gesundheit in Unternehmen förderlich sind:
- Regeln für die Erreichbarkeit aufstellen
- Reaktionszeiten vereinbaren
- Eine E-Mail-Policy erstellen
- Regeln für Zeiten der Nicht-Erreichbarkeit definieren
- Einen Vertreter für Abwesenheiten festlegen
Garantiert offline mit dem iStone
Damit sich die Referenten ohne ihr Handy nicht so nackt fühlten, erhielten sie vom Bildhauer und Gestalter Horst Bohnet ein «iStone» geschenkt – ein Smartphone aus Stein, das die ungestörte Face-to-Face-Kommunikation ermögliche, nie einen leeren Akku habe und «garantiert all das, was ein Smartphone kann, nicht kann».