HR Today Nr. 11/2020: HR-Kommunikation

Sturm im Wasserglas

Dank Social Media kann heute jede und jeder einen Shitstorm aus dem Nichts erschaffen. Dabei ist die Menge der interessierten Empfänger oft entscheidender als die tatsächliche Brisanz oder der Wahrheitsgehalt einer Nachricht. Weshalb Prävention die halbe Miete ist und welche Rolle HR dabei spielt.

Nestlé mit dem Palmöl-Desaster 2010, das Outdoor-Bekleidungsunternehmen Mammut mit seiner Unterschrift gegen das CO2-Gesetz 2011 oder die Migros im Frühsommer mit den «Mohrenköpfen»: Etliche Schweizer Unternehmen sahen sich schon mit einem sogenannten Shitstorm konfrontiert. «Diese sind nur schwer vorherzusehen und können bei einer falschen Reaktion innert kürzester Zeit zu regelrechten Social-Media-Hurricanes werden», sagt Léa Wertheimer, Leiterin Media Relations bei der Schweizerischen Post. Sie weiss, wovon sie spricht: Mitte Juni 2020 äusserte sich Influencerin Mimi Jäger in ihrer Story zu einer Verkehrsbehinderung. Diese war wegen einer «Black Lives Matter»-Demonstration in Zürich entstanden. Auf Instagram klagte sie unter anderem, die Kundgebungen hätten ihren Tagesablauf durcheinandergewirbelt.

Obwohl Jäger zum Thema «Black Lives Matter» nichts sagte, sorgten ihre Aussagen für jede Menge Wirbel. Ein Twitter-User forderte Unternehmen sogar auf, die Zusammenarbeit mit Jäger zu überdenken. Woraufhin sich unter anderem die Post per Re-Tweet von den Äusserungen der Influencerin distanzierte und die Zusammenarbeit kündigte. «Eine Mitarbeiterin, die selbst Rassismus erlebt hat, verfasste diesen Tweet – und bedauerte ihre Reaktion umgehend», erinnert sich Wertheimer. Doch der Shitstorm war bereits angerollt. «Diese eigentlich banale Instagram-Story und unsere Reaktion darauf hat intern und extern heftige Reaktionen ausgelöst. Schwierig wurde es, als das Thema von Social Media auf die klassischen Medien überschwappte», sagt Wertheimer. «Es war eine Gratwanderung. Uns war bewusst, dass die Kommunikation falsch gelaufen war, die den Shitstorm gegen uns ausgelöst hatte. Gleichzeitig wollten wir unsere Mitarbeitenden aber auf keinen Fall blossstellen.» Schlussendlich entschuldigte sich die Post öffentlich. Das Learning? «Früher den Mut haben, transparent zu sein», sagt Wertheimer.

Ein allgemeingültiges Rezept gegen Shit­storms gibt es nicht. Wohl aber einige Grundsätze, die helfen, ihn zu bremsen. Es sind ziemlich simple «Regeln», sagt Kommunikationsspezialist und Jurist Franco Gullotti. «Je nachvollziehbarer, transparenter und konsistenter die Kommunikation, desto schneller beruhigt sich die Situation. Es bleibt beim ‹Sturm im Wasserglas›.» Die Einsicht, eine selbstkritische Haltung und eine Prise Demut seien dazu die wirksamsten Zutaten.

Aus Not wird Opportunität

Ebenso wichtig sei das Tempo der Kommunikation. «Wer erst nach Stunden oder Tagen reagiert, befeuert einen Shitstorm zusätzlich», sagt Gullotti. Absolute No-Gos seien zudem Aussagen wie «Kein Kommentar» oder eisernes Schweigen, ergänzt Léa Wertheimer. «Dadurch entsteht ein Vakuum, das sich besonders in den sozialen Medien mit Emotionen füllt und dazu führt, dass man die Kontrolle verliert.» Gerade deshalb sei eine ehrliche und nahbare Kommunikation gefragt – meist unter der Federführung der Abteilung für Unternehmenskommunikation.

Auch HR trägt seinen Teil zur kommunikativen Krisenbewältigung bei, wenn wie beim Post-Shitstorm Mitarbeitende involviert oder betroffen sind. «Niemand kennt die Beschäftigten und deren Befindlichkeiten besser als die Personalabteilung», erklärt Franco Gullotti. «Um ein Vorkommnis zu deeskalieren, muss HR aber früh als Kommunikationspartner ins Boot geholt werden.»

Shitstorms erregen meist viel Aufmerksamkeit. Das könnte sich auch auf das Personalmarketing auswirken. «Je nachdem, wofür ein Unternehmen im Kreuzfeuer steht, kann seine Integrität als Arbeitgeber angeritzt werden», meint Employer-Branding-Experte Michel Ganouchi. Doch aus der Not entstünden auch Chancen. «Wer zuhört, durchdachte Lösungen anbietet und präzise sowie sachlich informiert, kann vieles wiedergutmachen.» Dabei sei nicht nur das Was, sondern ebenso das Wie entscheidend, ergänzt Gullotti: «Fehler werden verziehen, nicht aber der falsche Umgang mit ihnen.»

Sprechen Bewerbende Unternehmen auf einen erlittenen Shitstorm an, zeige sich, ob die Zusammenarbeit zwischen Unternehmenskommunikation und HR funktioniert. «Im besten Fall haben die Verantwortlichen heikle Fragen aus Sicht der Kandidaten ausgearbeitet und die Antworten dazu verfasst», führt Michel Ganouchi aus. «Wer Interviews führt wie Recruiter und Vorgesetzte, sollte sich an diese Antworten halten.»

Agieren statt reagieren

«Shitstorms sind häufig hausgemacht», sagt Gullotti. «Sie entstehen erst durch den ungeschickten Umgang mit einem Problem.» Deshalb sei es schon falsch, nur zu «reagieren», ergänzt Ganouchi. «Man sollte genau überlegen, bevor man etwas publiziert. Bietet eine Firma eine Angriffsfläche, wird diese meist genutzt.» Dem pflichtet Léa Wertheimer von der Schweizerischen Post bei und nennt zwei zentrale Aspekte, um Shitstorms zu umgehen: «Mitarbeitende kommunizieren im Namen der Unternehmen in den sozialen Medien. Je besser sie sich auskennen und wissen, wie man sich auf unterschiedlichen Kanälen verhält, desto eher erkennen sie, ob sich ein Shitstorm anbahnt, und können diesen gezielt umschiffen.» Daneben gäbe es auch technische Hilfsmittel, um Mitarbeitende auf eine sich anbahnende Turbulenz aufmerksam zu machen. «Ein Medienradar für On- und Offline-Kanäle», sagt Gullotti. «Quasi eine Wetterprognose für mediale Wirbelstürme.»

Was ist ein Shitstorm?

Das lawinenartige Auftreten negativer Online-Kritik kann sich auf Einzelpersonen wie auch Unternehmen entladen. Meistens trifft es Menschen oder Unternehmen mit einem gewissen Bekanntheitsgrad. 2011 war der Begriff «Shitstorm» Anglizismus des Jahres, 2012 wurde er in der Schweiz gar zum Wort des Jahres erkoren. Seit 2013 gehört das Wort «Shitstorm» zum Repertoire der deutschen Sprache und steht im Duden.

Kurzinterview zum rechtlichen Aspekt:

Kann man in der Schweiz rechtlich gegen Shitstorms vorgehen?
Franco Gullotti: Es gibt zahlreiche juris­tische Instrumente in zivil- und strafrechtlicher Hinsicht. Dazu gehören zum Beispiel der Schutz der Persönlichkeitsrechte und daraus abgeleitet beispielsweise die Möglichkeiten einer Gegendarstellung, Berichtigung oder Klarstellung.

Empfehlen Sie Unternehmen überhaupt eine juristische Vorgehensweise?
Unternehmen sollten nur im äussersten Notfall rechtlich gegen einen Shitstorm vorgehen. Denn dadurch provozieren sie meist «eine Geschichte in der Geschichte», welche die Medien in der Regel aufgreifen. So riskieren Unternehmen weitere Negativschlagzeilen, indem die Vorwürfe wiederholt werden. Eine rasche, transparente und ehrliche Kommunikation ist in den meisten Fällen wirksamer und führt zum erwünschten Effekt, dass rascher Ruhe einkehrt oder es bestenfalls nicht zu einem Shitstorm kommt.

 

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Online-Redaktorin, HR Today. es@hrtoday.ch

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