Verlorene Generation?
Eigentlich wollten wir Firmen befragen, die sich von Save50Plus zum altersneutralen Arbeitgeber zertifizieren liessen. Auskunft geben wollte jedoch keine. Save50Plus-Präsident und Geschäftsführer Daniel G. Neugart über die Hintergründe und weshalb sich eine altersneutrale Rekrutierung lohnt.
«Am meisten Potenzial hat ein Unternehmen, wenn Jung und Alt oder Frauen und Männer zusammenkommen und ihre Kompetenzen, Erfahrungen und Ansichten einbringen», ist Daniel G. Neugart von Save 50Plus überzeugt. (Bild: iStock)
Schon vor der Covid-19-Krise war es für Ü50-Arbeitnehmende deutlich schwieriger, eine neue Stelle zu finden. Das könnte sich noch verschlimmern. Wie sehen Sie das?
Daniel G. Neugart: Nach Corona wird die Welt eine andere sein. Es wird Gewinner und Verlierer geben. Die Frage ist, welche Arbeitnehmenden die besten Karten in Händen halten. Beispielsweise erfahrene Fachkräfte, die in der jetzigen Situation mit ihrer Gelassenheit, Weitsichtigkeit und emotionalen Stabilität bei potenziellen Arbeitgebenden punkten können. Um zu gewinnen, reicht das aber nicht. Sie müssen ihre Karten auch zielführend ausspielen. Da hapert es bei vielen Ü50: Sie können sich nicht gut verkaufen. Das zeigt sich auch bei unseren Beratungsgesprächen.
Dennoch werden die meisten Ü50 auf dem Arbeitsmarkt wohl eine zweite Chance bekommen – jedoch nicht alle. Das trifft vor allem jene, die nicht mehr daran glauben, dass sich ihre Situation zum Besseren wendet, weil sie durch den jahrelangen Kampf gegen Altersvorurteile zermürbt sind. Das Schlimmste daran? Dass Vertreter der Babyboomer-Generation in Wirtschaft und Politik diese Situation mitverschuldet haben.
Arbeitgebende müssten sich in der aktuellen Lage geradezu um krisenerprobte Menschen reissen ...
Aktuell beobachte ich zwei Verhaltensmuster: Firmen, die ihre älteren Mitarbeitenden am liebsten per sofort von der Lohnliste streichen würden und sich hüten werden, mittel- bis langfristig wieder solche anzustellen, und Arbeitgebende, die in der Krise auf ältere und erfahrene Stellensuchende setzen. Das, um in der Firma Stabilität und Kontinuität zu gewinnen und Mitarbeitenden an der Basis Sicherheit zu vermitteln. Langjährige Beschäftigte dürften deshalb in vielen Unternehmen die verloren geglaubte Wertschätzung wiederfinden. Für welche Strategie sich die Firmen mehrheitlich entscheiden, werden wir erst gegen Ende der Pandemie sehen.
Was spricht ausserdem für eine altersneutrale Rekrutierung?
Alle sprechen davon, wie wichtig die Altersdurchmischung in einem Team oder einem Unternehmen ist. Doch was nützt uns diese Erkenntnis, wenn niemand sie umsetzt? Am meisten Potenzial hat ein Unternehmen, wenn Jung und Alt oder Frauen und Männer zusammenkommen und ihre Kompetenzen, Erfahrungen und Ansichten einbringen. Auch Menschen mit Beeinträchtigungen, anderen Mentalitäten, Kulturen und Sprachen bieten für jedes Unternehmen einen Mehrwert. Dieser Logik folgend, müssten Entscheidungsträger deshalb altersneutral rekrutieren. Ist eine Führungskraft nicht fähig, dieses Potenzial wirtschaftlich zu nutzen, fehlt ihr wohl das unternehmerische Denken.
Keine der von Ihnen altersneutral zertifizierten Firmen wollte uns Auskunft geben. Was ging Ihnen durch den Kopf?
Ich war enttäuscht und habe am Sinn der Sache gezweifelt. Es wäre mir aber nie in den Sinn gekommen, dass altersneutralzertifizierte Firmenmitglieder befürchten, mit Bewerbungen über 50-Jähriger überhäuft zu werden. Vielleicht sind wir mit unserer altersneutralen Zertifizierung der Zeit einfach voraus. Von deren Notwendigkeit bin ich aber nach wie vor überzeugt.
Dabei wäre ein solches Zertifikat doch ein Grund, stolz zu sein …
Es geht um ein klares Bekenntnis zu einem altersneutralen Arbeitsmarkt und darum, das Ü50 zu kommunizieren. Wird diese Botschaft im Unternehmen nicht gelebt, nützt auch eine Zertifizierung nichts. Dann ist es wohl besser, nichts zu sagen. Ich finde es allerdings bedauerlich, dass Firmen das Zertifikat nicht für ihr Employer Branding nutzen, schliesslich leisten altersneutrale Arbeitgebende eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Pionierarbeit.
Diskriminierung geschieht oft unbewusst. Häufig aber in der Rekrutierung. Wie vermeidet man das?
Unternehmen hören es nicht gerne, wenn man von Diskriminierung spricht. Meist redet die Geschäftsleitung von «Budget». Das finanzielle Limit ist mit Kalkül so tief gelegt, dass sich ein Unternehmen Angestellte ab 40 Jahren angeblich nicht mehr leisten kann. Ich nenne das «elegante Diskriminierung». Der Budgetrahmen wird in der Regel aber nicht durch die zu hohen Gehaltsforderungen der älteren Stellensuchenden gesprengt.
Im Gegenteil: Die meisten wären bereit, eine Gehaltseinbusse hinzunehmen. Oft werden ihnen die hohen Sozialkosten aber zum Verhängnis. Die Erkenntnis? Der Staat ist häufig der Grund, weshalb Ältere auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert werden. Von vielen Seiten wird schon seit Jahren gefordert, die Abstufungen der Pensionskassenbeiträge zwischen den Altersgruppen zu glätten. Schon aufgrund unserer Geschichte sollten wir die altersneutrale oder geschlechtsneutrale Rekrutierung pflegen. Wichtig ist doch, was ein Mensch leisten kann, und nicht, wer er ist oder woher er kommt. Dafür muss die Chancengleichheit sichergestellt werden. Das ist auch ein wesentlicher Bestandteil der «Altersneutralität».
Was halten Sie von der Rekrutierung mit Lebensläufen ohne Bilder und Altersangaben?
Da rennen Sie bei mir offene Türen ein. Bei unserem Verband können Mitglieder ein codiertes Kurzprofil hinterlegen. Darin ist kein Foto, keine Geschlechtsangabe und auch kein Geburtsdatum zu finden. Auch Adressen und Kontaktdaten existieren darin nicht. Hingegen kann man auf seinem Profil Persönliches preisgeben: etwa über Hobbys berichten oder ein Lebensmotto hinterlegen. Bevor ein Profil veröffentlicht wird, besprechen wir es mit unserem Mitglied. Diese Lebensläufe stossen bei Arbeitgebenden auf starkes Interesse: Meist werden ganz spezielle Anforderungsprofile gesucht, die es nicht mehr oft gibt. Bei der Stellenbesetzung spielt das Alter dann keine Rolle mehr. Hauptsache, die gesuchte Person kann, was gefordert ist. Weil die Vermittlungsnachfragen so stark zugenommen haben, richten wir dafür nun eine eigene Online-Plattform ein.
SAVE 50PLUS
Der Schweizerische Arbeitnehmerverband 50Plus (Save 50Plus Schweiz) ist ein unabhängiges Bildungs- und Kompetenzzentrum für Fachkräfte aus allen Branchen, Berufen und Regionen in der Schweiz und gibt altersneutrale Zertifizierungen für Unternehmen heraus. Nach innen signalisieren Arbeitgebende mit einer Zertifizierung, dass die Leistung und nicht das Alter zählt. Um zertifiziert zu werden, muss ein Unternehmen nur wenige Anforderungen erfüllen. Etwa, Firmenmitglied zu werden, eine Kontaktperson anzugeben, die Zertifizierung nach innen und aussen zu kommunizieren und im Leitbild zu verankern. save50plus.ch