Reorganisation

Vertrauensbildung schafft vielschichtige Handlungsspielräume für die Führung

Nur eine Führungskraft, die es versteht, das Vertrauen ihrer Mitarbeitenden und Vorgesetzten zu gewinnen und zu erhalten, schafft eine Führungssituation, die robust ist gegen die vielen kleinen und grossen Verhaltens- und Motivationsfehler, die zum Alltag gehören. Die permanente Ungewissheit kann nur mit Vertrauen überbrückt werden.

Die Glaubwürdigkeit der Unternehmensführung sowie ihre Kompetenz zur klaren Kommunikation und zur Schaffung einer soliden Vertrauensgrundlage bei den Mitarbeitenden sind bedeutende Erfolgsfaktoren für die Erreichung der gesetzten Veränderungsziele. Vor dem Hintergrund der Annahme, dass die Führung die zwischenmenschlichen Beziehungen im Arbeitsumfeld nur auf der Grundlage von gegenseitigem Vertrauen produktiv gestalten kann, rückt die Frage nach den Führungsfähigkeiten zur Vertrauensbildung in den Mittelpunkt. Dem Management bietet das Phänomen «Vertrauen» mit seinen Facetten die Chance, das eigene Tun aus einer anderen Perspektive zu betrachten und den eigenen Handlungsraum zu erweitern.

Was ist Vertrauen überhaupt?

Vertrauen ist ein mehrdeutiger Begriff. Vertrauen ist kein reines Wahrnehmungsphänomen, sondern auch handlungsorientiert. Vertrauen kann situativ, personell, systemisch oder entwicklungspsychologisch bedingt entstehen und betrachtet werden. Vertrauen ist daher eher eine intersubjektive Konstruktion als eine objektive Tatsache. Das Konstrukt  des Vertrauens kann nicht ohne weiteres gemessen werden, um eindeutige Aussagen über das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein von Vertrauen zu erhalten.

Nach dem deutschen Soziologen und Systemtheoretiker Niklas Luhmann (1) definieren wir Vertrauen respektive seine Funktion als einen Mechanismus oder Zustand, welcher die Komplexität reduziert. Dadurch seien wir in der Lage, uns auf höhere Risiken einzulassen. Wir stützen unser Handeln auf weniger Informationen, überbrücken die Ungewissheit und gehen damit immer ein Risiko ein. Vertrauen bleibt immer ein Wagnis und beinhaltet eine riskante Vorleistung. Es ist ein Hoffen, Glauben und Zutrauen darauf, dass das zukünftige Geschehen die eigenen Erwartungen bestätigen wird.

Welche Fähigkeit braucht die Führung, um Vertrauen zu schaffen?

Die Führung verfügt über eine hohe persönliche Integrität. Die Führung ist aufrichtig im Sinne von Aufrichtigkeit in der Selbstdarstellung,  glaubwürdig und integer sowie für Mitarbeitende berechenbar. Die Führung verfügt über eine klar verständliche und verbindliche Kommunikation. Die Führung ist in der Lage, von den Mitarbeitenden Einsicht in die Ursachen und Motive für die Veränderung zu erlangen.

Wie wird Vertrauen fassbar?

Personales und systemisches Vertrauen werden in der wissenschaftlichen Analyse getrennt betrachtet, da jeweils unterschiedliche psychologische Prozesse beteiligt sind (Schweer/Thiess) (2).

Weiter wird davon ausgegangen, dass Vertrauen nur von einem einzelnen Individuum entwickelt werden kann, Organisationen oder Institutionen als Gesamtheit jedoch nicht vertrauen können. Systemisches Vertrauen ist wesentlich schwerer zu realisieren als personales Vertrauen: Je weiter entfernt sich eine Person oder Institution vom individuellen sozialen Nahraum befindet, umso geringer ist das durchschnittlich erlebte Vertrauen. Vor der eigentlichen Erfassung des Vertrauens (bzw. seiner Ausprägung) muss Vertrauen, da es sich hier um ein zunächst nicht beobachtbares Konstrukt handelt, operationalisiert werden. Es gilt also, messbare Indikatoren zu finden, welche das Konstrukt Vertrauen hinreichend genau abbilden.

Zusammenfassend heisst das: Kernelemente der Operationalisierung sind beobachtbare und messbare Indikatoren, welche die Konstruktion Vertrauen (ab)bilden (siehe Grafik 1). Verschiedene Indikatoren wurden als bestimmend für das Vertrauen ausgewählt und damit die Kompetenz «Vertrauen schaffen» definiert (rot eingekreist).

Warum Vertrauen eine Führungskompetenz darstellt

Es gibt eine systembedingte Sicht, welche Luhmann formulierte, als er die Bestimmungsstücke von Vertrauen definiert hat. Luhmann sagt an dieser Stelle, dass trotz aller Bemühungen um Organisation und rationale Planung nicht alles Handeln durch sichere Voraussicht seiner Wirkungen geleitet sein könne. Es blieben Unsicherheiten zu absorbieren, und es müsse Rollen geben, denen diese Aufgaben in besonderem Masse obliegen. Solch eine Rolle nimmt gemäss Luhmann der leitende Manager ein, da diese Rolle nicht an Standards, sondern am Erfolg kontrolliert werde, und zwar aus dem Grunde, dass das richtige Handeln nicht im Voraus erkannt werden kann. Der Erfolg stellt sich in der Argumentation von Luhmann nach dem Handeln ein oder nicht. Man muss sich jedoch vorher engagieren. Dieses Zeitproblem überbrückt das Vertrauen, das als Vorschuss auf den Erfolg im Voraus auf Zeit und auf Widerruf gewährt wird, indem beispielsweise ein CEO durch den VR bestimmt wird. Ein Gremium vertraut dem anderen vorläufig, dass er unübersichtliche Lagen erfolgreich meistern wird, also Komplexität reduziert, und dieser CEO hat aufgrund solchen Vertrauens grössere Chancen, tatsächlich erfolgreich zu sein. Dieser Argumentation von Luhmann Folge leistend, steigt die Chance auch für den Mitarbeiter, dass, wenn ihm Vertrauen entgegengebracht wird, seine Chancen, erfolgreich zu Handeln, steigen.

Fredmund Malik, vertritt in seinen Werken zum Thema «richtiges und gutes Management» konsequenterweise die gleiche Haltung gegenüber Vertrauen: «Wenn ein Manager das Vertrauen seiner Umgebung, seiner Mitarbeiter, Kollegen und Vorgesetzten zu gewinnen und zu erhalten verstanden hat, spielen alle anderen Dinge eine vergleichsweise unbedeutende Rolle. Er habe nämlich etwas geschaffen, was man eine robuste Führungssituation nennen kann – robust gegen die vielen Führungs-, Verhaltens- und Motivationsfehler, die täglich passieren.» Weiter vertritt Malik die Ansicht, dass Vertrauen wichtiger ist als Motivation, indem er sagt: «Vertrauen ist die Voraussetzung für Motivation überhaupt.» Mit Malik kommt ein Vertreter der klassischen Management-Theorie zum Schluss, dass der Umgang mit Vertrauen entscheidender ist als der Führungsstil oder die Fähigkeit, Mitarbeiter zu motivieren.

Die Überlegungen von Malik knüpfen genau dort an, wo Luhmann aufhört. Nämlich dass das Management handeln muss, ohne im Vorfeld zu wissen, was dabei rauskommt, und aus genau diesen Überlegungen müssen wir davon ausgehen, dass das Management zwangsweise Fehler machen wird. In diesem Sinne folge ich der Argumentation von Malik, dass es eine robuste Führungssituation braucht, damit die Mitarbeitenden einem Führenden die Fehler und Missgeschicke auch verzeihen können.

Analyse zu einem Praxisfall

In der nachfolgenden Untersuchung von 2005 ging es darum, anhand einer Auswahl aussagekräftiger Sequenzen zu prüfen, ob durch die Führung Vertrauen geschaffen worden ist oder nicht. Zur Auswahl standen 24 Sequenzen über einen Zeitraum von 18 Monaten. Festgehalten wurden Beobachtungen von Ereignissen aus den einzelnen Sequenzen, welche anschliessend anhand der Stärke ihrer Ausprägung den einzelnen Vertrauensmerkmalen zugeordnet wurden.

Die Grafik 2 stellt vier analysierte Sequenzen dar, welche die Vertrauensbeziehung zwischen den Teamleitern und dem Management abbilden. Sichtbar sind 17 Merkmale von Vertrauen, aus fünf von ihnen leitet sich die Führungskompetenz «Vertrauen schaffen» ab (rot gedruckte Begriffe). Insgesamt wurden 48 Beobachtungen aus vier Sequenzen (in den Farben Blau, Orange, Violett und Grau dargestellt) den entsprechenden Merkmalen von Vertrauen nach deren Stärke der Ausprägung zugeordnet und anschliessend in dieses Raster übertragen.

In welchen Bereichen hatte die 
Führung Vertrauensprobleme?

Zusammenfassend liegt die Vermutung nahe, dass über die gesamte Breite der Beobachtungen die Stärke der Ausprägung der Merkmale von Vertrauen insgesamt zu tief ausgefallen ist, um durch die Führung nachhaltiges Vertrauen schaffen zu können. Die Werte für die Führungskompetenz «Vertrauen schaffen», die sich aus einem Cluster von fünf Vertrauensmerkmalen zusammensetzt, sind ebenfalls zu tief ausgefallen.

Die Grafik zeigt, dass der Kontrollverzicht und die Nähe zur Führung über eine schwache Ausprägung verfügen. Wenn die Führung über eine starke Fachkompetenz verfügt sowie über gute Fähigkeiten zur Kommunikation, sind dies positive Eigenschaften und einige der notwendigen Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit die Führung Vertrauen schaffen kann. In dem Augenblick, wo jedoch die Nähe zur Führung ausbleibt, entsteht aus Sicht der Teamleiter einfach «noch mehr» Kontrolle. In den einzelnen Beobachtungen zeigt sich dieser Umstand sehr deutlich im Spagat zwischen «+33 Fachkompetenz» und «-15 Nähe zur Führung» und dem Wert «-6 Kontrollverzicht».

Die Auswirkungen der erhöhten Kontrollmassnahmen, also mangelnde Arbeitszufriedenheit und sinkender Leistungsbereitschaft, wurden bereits in den fünfziger Jahren untersucht und in einem Kreislauf dargestellt (Argyris)  (3). Das Thema Kontrolle taucht schon in seinen frühen Arbeiten auf, insbesondere welche Probleme bei Mitarbeitern im Zusammenhang mit dem Budget auftauchen (Argyris, Harvard Business Review 1952).

Merkmale von Vertrauen wie Konstanz, Aufrichtigkeit und Wertschätzung müssten über eine stärkere Ausprägung verfügen, um ein gesundes Gleichgewicht herzustellen und um nachhaltiges Vertrauen zu schaffen. Dieses Bild ist gemäss der Theorie von Argyris typisch: dass genau dort, wo eine tiefe Produktivität festgestellt wird und die Ergebnisse nicht den Erwartungen entsprechen, das Management mit stärkeren Kontrollmechanismen reagiert. Die Folgen und Reaktionen dieses Kreislaufes in Form von defensiven Routinen, auch Abwehrroutinen genannt, sind ebenfalls dokumentiert (Fatzer 1998)  (4).

Fällt der Kontrollverzicht derart tief aus wie im hier geschilderten Fall, müssten das «+4 Wohlwollen» und die «-2 Konstanz» über eine sehr viel stärkere Ausprägung verfügen, um die Kontrollen als nützlich und mit genügend Wohlwollen und «+0 Wertschätzung» zu erfahren. Die Benevolenz-Erwartung, dass die Organisation respektive das Management es gut mit einem meinen, wird nicht erfüllt. Aktuell werden wieder verschiedene Diskussionen geführt, wie Vorschriften und Vertrauen im Zusammenhang stehen (Schwarz, NZZ Verlag 2007) (5).

Dem Management ist es damit nicht ausreichend gelungen, eine genügend starke Vertrauensbasis zwischen dem Management und den Teamleitern aufzubauen. Die Bereitschaft der Teamleiter, weiterhin eine sehr hohe Arbeitsleistung unter dieser Führung zu erbringen, hat tendenziell eher ab- als zugenommen. Die Vermutung liegt nahe, dass das Management aus Sicht der Teamleiter insgesamt in der Führung mit ihrer Haltung zu wenig vorbildlich und glaubwürdig war. Die mangelhafte Nachhaltigkeit, Konstanz und Integrität in der Führung haben nicht ausgereicht, um in der Situation, in welcher sich diese Organisation befand, die notwendige Basis sicherzustellen und das Vertrauen aufzubauen.

Literatur:

  • 1 
Luhmann, Niklas: Vertrauen. Lucius & Lucius, 4. Aufl. 2000.
  • 2 
Schweer, Martin / Thiess, Barbara: Vertrauen als Organisationsprinzip. Perspektiven für komplexe soziale Systeme. Verlag Hans Huber, 1. Aufl. 2003.
  • 3 
Argyris, Chris: Wissen in Aktion. Eine Fallstudie  zur lernenden Organisation. Klett-Cotta, 1997.
  • 4 
Fatzer, Gerhard (Hrsg.): Supervision und Beratung. Edition Humanistische Psychologie EHP, 8. Aufl. 1998.
  • 5 
Schwarz, Gerhard (Hrsg.): Vertrauen – Anker einer freiheitlichen Ordnung. NZZ Verlag, 2007.
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Enzo Moliterni ist Leiter Human Resources bei der MIBAG Property + Facility Management, welche zur französischen ETDE / Bouygues Gruppe gehört. Er ist zudem Vorstandsmitglied im European Mentoring & Coaching Council Schweiz.
Sein Schwerpunkt-Schaffensbereich ist das Integrationsmanagement.

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