Video-Interviews als Selektionsinstrument
Die Lebensläufe vieler Jobkandidaten ähneln sich stark. Wie können Recruiter frühzeitig erkennen, wer geeignet ist und wer nicht? Eine Möglichkeit bietet die Firma viasto: Bewerber beantworten per Video einige stellenspezifische Fragen. Die Unternehmen bekommen so einen persönlichen und fachlichen Eindruck von den Bewerbern und können eine fundierte Vorauswahl treffen.
So sieht die interview suite von viasto aus. (Bild: zVg)
Frau Weyer, was ist die interview suite von viasto?
Hanna Weyer: Die interview suite ist eine webbasierte Plattform, mit der Unternehmen in einer frühen Auswahlstufe mit Hilfe von zeitversetzen Videos einen Einblick in die Kompetenzen von Bewerbern bekommen. Die Job-Kandidaten loggen sich in die interview suite von viasto ein und können erstmal einige Testvideos durchführen, solange sie möchten. Die richtigen Interviewfragen sehen sie in der Regel vorher nicht. Das Unternehmen kann aber einige Fragen vorab sichtbar machen, wenn es das möchte. Sind die Bewerber bereit, erhalten sie die erste Frage, für die sie rund zwei Minuten Vorbereitungszeit haben. Danach wird die Video-Aufnahme gestartet und die Kandidaten beantworten die Frage. Typischerweise beantworten sie fünf bis sechs Fragen nacheinander und investieren so nicht mehr als eine halbe Stunde Zeit. Jeder Kandidat erhält den gleichen Fragekatalog, damit maximale Vergleichbarkeit gewährleistet wird.
Zur Person
Hanna Weyer arbeitet im Bereich Business & Client Development und berät Kunden zur inhaltlichen Ausgestaltung sowie Eingliederung zeitversetzter Videointerviews in bestehende Prozesse.
Wie hoch ist die Aussagekraft dieser Video-Interviews?
Wir führen immer wieder Studien durch, auch mit renommierten Partneruniversitäten wie der HU Berlin. Dabei konnten wir wiederholt zeigen, dass Videointerviews sehr gut die Leistung der Kandidaten im Assessment Center voraussagen können. Dies hat verschiedene Gründe: Zum einen läuft der Prozess sehr strukturiert ab. Die Personalentscheider bewerten die Kandidaten anhand vordefinierter Kriterien. So können sie sich auf eignungsrelevante Aspekte fokussieren und vermeiden typische Fehler, wie etwa negative Informationen zu stark zu gewichten. Dies erhöht die Aussagekraft und garantiert auch einen fairen Prozess. Zum anderen decken Videointerviews ganz andere Verhaltensfacetten ab, als sie aus Lebensläufen ersichtlich sind oder in kognitiven Tests erfasst werden. Dies erhöht die Aussagekraft weiter. Ausserdem sind mehrere Personen in den Auswahlprozess eingebunden. So können auch die Fachabteilungen in den Auswahlprozess integriert werden und einen wichtigen Beitrag dazu leisten, Bewerber zu identifizieren, die nicht nur die fachlichen Voraussetzungen erfüllen, sondern auch ins Team und Unternehmen passen.
viasto
viasto wurde 2010 gegründet, heute beschäftigt das Startup 25 Mitarbeitende. Das Unternehmen hat rund 50 Kunden, drei davon aus der Schweiz. Die interview suite von viasto ermöglicht es Recruitern, mit Hilfe von zeitversetzten Video-Interviews einen ersten Eindruck von Jobkandidaten zu erhalten. Die Bewerber können sich auf der Online-Plattform einloggen und das Video-Interview zu einem Zeitpunkt und an einem Ort ihrer Wahl durchführen.
Eignet sich die interview suite für alle freien Positionen, vom Sachbearbeiter bis zum Topmanager?
Generell eignet sich die interview suite für alle White Collar Positionen. Unsere Kunden nutzen sie sowohl für Praktikanten- bzw. Traineestellen und Einsteigerpositionen als auch für Positionen, die mehrjährige Berufserfahrung erfordern. Wofür die interview suite dagegen eher wenig geeignet ist, sind Blue Collar Berufe wie etwa Handwerksberufe.
Zu welchem Zeitpunkt des Bewerbungsverfahrens ist es sinnvoll, zeitversetzte Videointerviews einzusetzen?
Die meisten Unternehmen nutzen sie direkt nach dem CV-Screening, also nach dem ersten Auswahlschritt, Der Grund: Sie möchten schon so früh wie möglich ein aussagekräftiges Bild von den Fähigkeiten und Fertigkeiten ihrer Bewerber erhalten. Die zeitversetzten Videointerviews stellen einen frühen Vorauswahlschritt dar, ersetzen aber auf keinen Fall das persönliche Gespräch.
Haben manche Kandidaten nicht Vorbehalte gegenüber Videos-Interviews?
Diese Bedenken äussern einige Unternehmen. Manche Bewerber sind am Anfang skeptisch, doch sobald sie sich in der interview suite umschauen, haben sie weniger Bedenken. Sie können sich dort schon vor dem Interview mit der Methode vertraut machen und Probe-Interviews durchführen. Sobald die Bewerber verstehen, welche Vorteile sie vom zeitversetzten Videointerview haben – nämlich dass sie über die formalen Kriterien ihres CVs hinaus persönlich mit ihren Skills überzeugen können, sind sie ziemlich begeistert.
Eignen sich die zeitversetzten Interviews nicht vor allem nur dann, wenn ein Unternehmen mit sehr vielen Bewerbungen rechnet?
Das kommt sehr darauf an, wo das Unternehmen rekrutiert. Bewerben sich zum Beispiel zehn Kandidaten aus zehn verschiedenen Ländern, dann lohnen sich Video-Interviews. So können schon frühzeitig nicht passende Kandidaten erkannt werden und diese müssen nicht extra anreisen. Damit spart das Unternehmen auch Kosten. In der Regel ist es aber schon so, dass es ein gewisses Volumen an Bewerbern braucht, damit sich die Software lohnt. Manche Firmen nutzen die interview suite aber auch als gezieltes Employer Branding-Tool, da sie die Möglichkeit haben, im Begrüssungsvideo die Firma vorzustellen.
Was sind die grössten Vorteile?
Für Bewerber ist sicher die Flexibilität ein grosser Vorteil: Sie können das Video machen, wann und wo es ihnen passt, zum Beispiel am Abend zu Hause. Zudem haben sie die Chance, sich persönlich vorzustellen. Viele Lebensläufe heutzutage sind ja relativ gleichförmig, wie soll man als Bewerber da aus der Masse heraus stechen? Im Video-Interview jedoch können sie sich zusätzlich präsentieren. Auch sparen sich die Kandidaten Zeit: Sie müssen nur einmal das Video aufnehmen und können damit sowohl die Fach- als auch die Personalabteilung erreichen und müssen nicht extra anreisen.
Und welche Vorteile bringt die interview suite den HR-Abteilungen und Unternehmen?
Auch die Recruiter können Zeit sparen: Oftmals ist es so, dass sie sich einmal pro Woche zwei Stunden lang hinsetzen und dann alle Videos hintereinander anschauen. Dank den Aufnahmen können mehrere Personen schon in einer frühen Auswahlphase eingebunden werden. Was uns auch von der Konkurrenz unterscheidet: Unsere Server stehen in Deutschland, was manchen Unternehmen aus Datenschutzgründen wichtig ist. Für Bewerber wie Recruiter ist es zudem von Vorteil, dass die Video-Interviews einen vergleichbaren, strukturierten und objektiven Prozess ermöglichen, da alle Bewerber die gleichen Fragen erhalten.
Welche Fragen sind denn sinnvoll?
Es funktioniert eigentlich sehr viel. Es können klassisch biographische Fragen gestellt werden oder auch situative: Die Bewerber erhalten eine Situation skizziert und müssen erklären, warum sie sich wie verhalten. Auch Fachfragen funktionieren gut. Wichtig ist einfach, dass die Fragen sehr spezifisch und klar formuliert werden, denn im Gegensatz zum persönlichen Gespräch können die Recruiter nicht nachfragen.
Gibt es auch Nachteile?
Nachteile per se gibt es eigentlich nicht. Uns ist wichtig zu betonen, dass videobasierte Interviews das persönliche Gespräch nicht ersetzen können und zeitversetzte Videointerviews nicht der einzige Auswahlschritt sein sollten.
Wie kann das HR den Fachabteilungen videobasierte Anwendungen schmackhaft machen?
Ich glaube, keine Fachabteilung kann von der Hand weisen, dass sie sich vor dem ersten persönlichen Gespräch ein besseres Bild von den Kandidaten machen möchten, als nur durch den Lebenslauf möglich ist. Bislang hiess das dann oft: entweder fasst HR die Ergebnisse eines Telefoninterviews zusammen – was sehr umständlich und zeitintensiv ist – oder die Fachabteilung muss eben auch schon im Telefoninterview dabei sein. Jetzt allerdings kann HR ganz bequem sagen, wir screenen euch die Kandidaten vor, ihr könnt euch kurze Videosequenzen anschauen und auf dieser Basis könnt ihr entscheiden, wen ihr näher kennenlernen wollt. Idealerweise werden dann im Videointerview schon eine oder zwei Fachfragen gestellt – das wird die Fachabteilung relativ schnell überzeugen.
Was für Rückmeldungen erhalten Sie?
Unsere Kunden berichten uns oft, dass das Tool die HR-Arbeit immens erleichtere: Es standardisiert den Prozess und macht ihn effizienter und effektiver. Zudem vermindert man die Fehlerquote, indem vermieden wird, dass die falschen Kandidaten eingeladen werden. Darüber hinaus werden dank des Videointerviews auch oft solche Bewerber als Talente identifiziert, die aufgrund ihrer herkömmlichen Bewerbungsunterlagen durchs «Raster» gefallen wären. Das heisst, die interview suite öffnet gezielt auch den Trichter für weniger geradlinige Lebensläufe und ermöglicht so eine hohe Vielfalt an Kandidaten. Es ist doch nun einmal so: Die echten Talente erkennt man nicht an der Bewerbungsunterlagen.