Leadership

Vom Pferd lernen und Mensch bleiben

Wenn die Mitarbeiter der Führungsmannschaft nicht folgen wollen, kann der Boss vom Ross lernen, wo die Ursachen liegen. Und erkennen, wie er sein Team beim nächsten Mal für die gemeinsamen Ziele begeistert.

Was Carmen Zimmermann Bürkler da in der Reithalle treibt, interessiert Falan überhaupt nicht. Beklemmt und auch 
etwas nervös versucht die versierte Personalleiterin Kontakt zu dem neunjährigen Wallach aufzunehmen. Sie läuft auf und ab, will, dass Falan ihr folgt, seine Aufmerksamkeit erregen. Zunächst jedoch vergebens. In der Welt der Pferde ist es nicht anders als auf mancher Führungsetage. Wer will, dass seine Mitarbeiter ihm folgen, muss sie zunächst begeistern.


Carmen atmet also tief durch, greift sich ein gelbes Tuch, das an der Seite bereitliegt und schwingt es hin und her. Und sie geht weiter, hin und her. Ihre Körperhaltung verändert sich, sie wird sicherer, sendet aus: Hey, spiel mit mir. Dann endlich findet Falan sie spannend. Er dreht sich herum, schaut Carmen an, Carmen schaut Falan an. Und der Funke zwischen den beiden scheint nun endlich überzuspringen. Sie gehen aufeinander zu, und als Carmen plötzlich eine andere Richtung einschlägt, folgt ihr das Pferd.

Zuerst die Selbstwahrnehmung, dann erst die Führung

Für Carmen sind die Pferdebegegnungen im Coaching-Seminar der Queens Ranch von Kathrin Renée Schäfer in Stein AG immer wieder eine neue Erfahrung. Sie, die mit Pferden zu tun hat, seit sie 13 Jahre alt ist und nebenher selbst eine Islandpferdezucht betreibt, ist jedes Mal wieder fasziniert, was die Pferde ihr zu sagen haben. Falan ist ein neues Mitglied in Schäfers «Coaching-Team» und somit für alle Teilnehmer der Gruppe ein noch unbekannter Partner. Als Carmen zurückkehrt zur Gruppe, strahlt sie. «Am Anfang stimmte das Vertrauen nicht», resümiert sie. Sie sei unsicher gewesen, gedanklich unruhig. Das gelbe Tuch habe lediglich die Funktion gehabt, ihre eigene Konzentration darauf zu lenken. «Dann merkte ich, dass ich ruhiger wurde.»

Es gehe um Führung einmal anders 
herum, erklärt Beraterin Schäfer. «Die Teilnehmer lernen bei uns zunächst, sich 
wieder selbst wahrzunehmen. Es geht in erster Linie um Führung von innen her, um Führung durch Selbstvertrauen und Stärke, die durch Körperhaltung, Mimik und Gestik vermittelt werden kann. Einfach gesagt: Beziehungsarbeit. Dazu gehören Kontakt und Vertrauen.» In der Arbeit mit den Pferden zeige sich meist sehr schnell, warum es manchmal nicht funktioniert. Das Pferd gibt ein unmittelbares Feedback. Angst, Wut, Unsicherheit oder Nervosität. Das Pferd, so Schäfer, reagiere sofort, wenn die Teilnehmer nicht in 
Kontakt mit sich selbst seien oder wild mit den Armen herumfuchtelten. Sobald 
Menschen ihr Verhalten ändern, ändern sie auch das ihres Umfeldes. Das des Pferdes, aber auch das der Mitarbeiter und 
Kollegen. Bestimmte Verhaltensmuster funktionieren dann nicht mehr.

«Durch die Pferde bin ich ein Stück 
weicher geworden», erzählt Martin Feigenwinter, ehemaliger Spitzensportler und Olympiateilnehmer im Eisschnelllauf. Er arbeitet als Coach für Stellensuchende und als Dozent. Mit Pferden hat er vorher nie viel zu tun gehabt. Sein Blick auf 
Führung ist während seiner Arbeit mit Pferden ein anderer geworden. «Andere Menschen führen kann man nur mit 
einem gesunden Selbstwertgefühl und wenn man sich selber führen kann», ist er überzeugt. Das Pferd konfrontiert die Teilnehmer schonungslos mit sich selbst. «Ihm ist egal, wie dein Bankkonto aussieht oder welche Titel auf deiner Visitenkarte stehen», sagt Schäfer. Das Pferd sieht nur: Wie kommt dieser Mensch auf mich zu? «Spielerisch wird da ziemlich schnell klar, wer hier wen führt.»

Begegnung mit Pferd wirft Mensch auf sich selbst zurück

Managementseminare mit Pferden erleben derzeit einen Boom, viele Anbieter tummeln sich am Markt. Für Schäfer aber ist klar: Ein- oder Zweitagesangebote sind allerhöchstens ein Basis-Pferdetraining, aber kein Führungstraining. Sie verbindet in ihren Seminaren grundsätzlich Theorie am Morgen mit Pferdebegegnungen am Nachmittag. Bevor Schäfer vor elf Jahren in einer Blitzentscheidung ihr Unternehmen gegründet hat, war sie Personalleiterin und in einer klassischen Sandwich-
position. Auf der einen Seite die Geschäftsleitung, auf der anderen 6000 Mitarbeiter. Aufträge von oben, ein paar hundert Mitarbeiter zu entlassen, das war nicht der Umgang, den sie weiter pflegen wollte. Sie gibt  kein Patentrezept zur Führung. «Doch die Pferdebegegnungen rufen vielen Managern erst einmal wieder ins Gedächtnis, dass es um Menschen geht – und auch sie selbst Menschen sind, die ihr ganz persönliches Gepäck durchs Leben tragen.»

30 Jahre Berufsleben, davon 25 Jahre als Führungsperson im mittleren Kader, sowie nicht selten 13- bis 14-Stunden-Tage hatten Carmen beinahe vergessen lassen, was das Leben wirklich ausmacht. Die anderthalbjährige Ausbildung auf der Queens Ranch haben ihr neben theoretischem Wissensaufbau vor allem geholfen, an sich zu arbeiten, um dadurch ihr so tolles Umfeld, heute, mit 45 Jahren, wieder bewusst und genussreich zu erleben. «Ich denke, mein Umfeld dankt es mir auch!» Ihr Arbeitgeber sei sehr fortschrittlich und sehe klar den Nutzen dieser Ausbildung für den Betrieb. Parallel zu ihrer Tätigkeit als Personalleiterin wird Carmen künftig auf ihrem Islandpferdegestüt Persönlichkeitstrainings mit Pferden anbieten. Damit wird für sie ein Traum wahr.

Martin spricht von einer verbreiteten Angstkultur, die sich mit den Erkenntnissen aus der Pferdearbeit ein wenig verändern lasse, und zieht immer wieder Parallelen zum Sport. «Welcher Sportler kann unter Druck oder mit ständiger Versagensangst gute Leistungen bringen?» Angst sei in Unternehmen ein Riesenthema, aber auch ein Riesentabu.

Das Pferd reagiert auf 
jeden Menschen anders

Andrea Weber arbeitet seit vielen Jahren als Assistentin im Management und war von  Schäfers Konzept so begeistert, dass sie sich entschied, selbst die Ausbildung zum Persönlichkeitstrainer anzugehen. Jetzt aber stellt sie sich erst einmal der 
Begegnung mit dem neuen Coaching-Partner, der durch seine Grösse und Anmut besticht. Als erfahrene und faszinierte Pferdebesitzerin hat Andrea keine Angst und versucht, die Aufmerksamkeit von 
Falan zu bekommen. Doch dieser erblickt sein Spiegelbild in den Fenstern der Reithalle und ist nur damit beschäftigt. Das anfängliche Ballspiel, das Andrea für ihn initiiert, berührt ihn daher nur wenig. Er bleibt distanziert. Als Andrea dann den Schalter umlegt, ihn von Herzen einlädt, ihr nahe zu sein und ihr zu folgen, ist 
Falan bei ihr und läuft selbstverständlich mit. Andrea verabschiedet sich glücklich von Falan, der nun gar nicht mehr von 
ihrer Seite weicht und sogar schmusen will. «Das zeigt, dass er in dem Moment auf mich reagierte, als ich authentisch auf ihn wirkte», erklärt Andrea anschliessend.

Die Seminarteilnehmerin Alexandra Kempf ist Fachlehrerin IKA und Deutsch an einer Berufsschule und unterrichtet Jugendliche sowie Erwachsene. Der Umgang mit dem eigenen Pferd motivierte sie für das Training auf der Queens Ranch. Aus der anfänglichen Neugier heraus, neue Sichtweisen auf das Leben zu erhalten, entwickelte sich ein enormer persönlicher, sie öffnender Veränderungsprozess. Die Inhalte der theoretischen Semi-narteile befähigen sie heute dazu, sich – zusätzlich zu ihrer Tätigkeit an der Berufsschule – im Bereich Lerncoaching, Lerntechniken und Blockaden-Lösen selbständig zu machen. Im Training trifft Alexandra heute auf Elton. Er ist bereits ein alter Hase im Coaching und sucht zwischen den Seminarelementen immer wieder Kontakt zur Gruppe, will schmusen und spielen. «Dem unmittelbaren Feedback von Pferden während der Coachingarbeit kann man vertrauen. Sie beschönigen und relativieren nicht, sie unterliegen im Feedback nicht dem eigenen Ego, sich beliebt zu machen und geliebt zu fühlen», fasst Alexandra nach der Begegnung mit Elton zusammen.

Für das Coaching mit Pferden müsse man nicht unbedingt ein Pferdenarr sein, erklärt Schäfer. Im Gegenteil: Ohne spezielle Kenntnisse auf das Pferd zuzugehen, habe ihrer Meinung nach nur Vorteile. Viele Pferdekenner seien fest im Glauben, sie müssten das Pferd bewegen oder trainieren. Das heisst, sie gehen mit einer Erwartungshaltung ans Pferd heran. Wie in einer Partnerschaft, in der «Spielen» und «Sein» tabu ist. «Können Sie sich vorstellen, dass Sie Ihrem Partner gegenüber immer nur Leistung erbringen müssen?», lacht Schäfer.

Die Teilnehmer müssten in einen Dialog mit dem Pferd treten. «Dieser findet nicht auf dem Pferderücken statt, sondern am Boden von Angesicht zu Angesicht.» Wie dieser Dialog dann letztlich aussieht, hängt eben ganz von unserer Persönlichkeit ab. Das Pferd reagiert auf jeden Menschen anders. Da Pferde ausgeprägte Fluchttiere sind, antworten sie auf mögliche Angst eines Teilnehmers nicht mit Aggression. «Wie es beispielsweise bei Hunden der Fall sein kann», meint Schäfer. Bei Pferden gehe in dem Fall einfach die Führung verloren, und sie träten den Rückzug an.

Dem Pferd mit selbst entwickelten Lösungsansätzen gegenübertreten

Die Reaktionen, die die Teilnehmer von ihrem Umfeld erfuhren, als sie berichteten, sie absolvierten ein Coaching mit Pferden, reichten von Naserümpfen bis zu Sprüchen wie: «Du bist bescheuert.» Manche reagierten aber auch sehr neugierig und interessiert an dieser Form des Trainings. Die meisten Teilnehmer, die zum ersten Mal im Seminar auf eines von Schäfers elf Pferden treffen, stehen ratlos herum und fragen: «Was soll ich jetzt tun?» Dann sagt Schäfer: «Stell dir vor, du hast ein Mitarbeitergespräch, ergreife die Ini-tiative und lasse dich nicht treiben.»

Das Schöne an der Arbeit mit Pferden sei, sagt Carmen, dass man unmittelbar nach einer Pferdebegegnung erneut die Chance bekomme, dem Pferd mit selbst entwickelten Lösungsansätzen wieder gegenüberzutreten. Das Pferd ist nicht nachtragend. Der Erfolg und die Nachhaltigkeit bleiben nicht aus. «Mich fröstelt es gerade richtig, wenn ich an all unsere faszinierenden Begegnungen denke.»

Pferde brauchen Führung

Das Pferd ist ein Herdentier und lebt in 
einem sozialen Gefüge, das eine klare 
Hierarchie hat. Einzig der Zusammenhalt und die Stärke der Gemeinschaft garantieren das Überleben der Herde. Das Leittier der Herde hat die Aufgabe, die primären Bedürfnisse der Herde – Sicherheit, Nahrung und Sozialkontakt – bestmöglich zu befriedigen. Fehlt das Selbstvertrauen der Führungsperson, so anerkennt das Pferd die Führungsrolle des Reiters nicht, und die Beziehung zwischen Pferd und Reiter ist gestört. Damit die Beziehung zwischen Reiter und Pferd stimmt, muss eine Vertrauensbasis existieren. Auch müssen klare Vorgaben der Zielrichtung sowie eine unmissverständliche Kommunikation vorhanden sein.
www.queens-ranch.ch

 

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