Hat Social Media das Recruiting verändert? Haben Online-Jobbörsen oder hauseigene Recruitingsites an Relevanz eingebüsst? Und wurden in Ihrem Haus via Social Media bereits Mitarbeiter eingestellt?
Jutta Wurz: Social Media wird erst in zwei bis drei Jahren das Recruiting massiv verändern. Derzeit ist eine Verlagerung in diese neuen Rekrutierungskanäle, aus meiner Sicht, noch nicht sehr spürbar. Gerade potenzielle Bewerber im Alter ab Mitte 30 suchen noch auf klassischen Jobbörsen eine Stelle, junge Zielgruppen hingegen vermehrt und in grösserem Anteil auf Social-Media-Plattformen. Empfehlungen von Bekannten und Freunden werden in Zukunft durch die Vernetzung immer wichtiger, denn das Image einer Firma ist ein wesentlicher Faktor für den Stellenentscheid. Hier spielen aber sicher auch die Branche und die Funktionen der Vakanzen eine Rolle. Nicht in jeder Branche und für jede Funktion macht die Suche auf Social-Media-Plattformen wohl Sinn.
Wir haben Stellen auf Xing ausgeschrieben und so wertvolle Kontakte geknüpft. Auch durch Direktansprachen des HR via Xing. Tatsächlich konnten wir in Einzelfällen Stellen so auch besetzen. Ein Search kann damit sehr gezielt gesteuert werden. Derzeit überlegen wir auch, wie wir – Stichwort Employer Branding – als Arbeitgeber auf Social-Media-Plattformen künftig präsent sein wollen. Das ist ein zentrales Thema in den nächsten Monaten – und im Übrigen nicht nur ein HR-Thema, sondern auch eines der Kommunikationsabteilungen in Unternehmen. In enger Zusammenarbeit sollte hier eine Employer-Branding-Strategie erarbeitet und mit Einbezug des Topmanagements umgesetzt werden.
Nicole Siegenthaler: Ja, es ist im Wandel. Teilweise ist dieser Einfluss schon spürbar. Wir gehen davon aus, dass klassische Online-Jobbörsen und eigene Recruiting-Sites durch diese Entwicklung eine andere Bedeutung bekommen. Und, nein, bis jetzt haben wir noch keine Mitarbeitenden mithilfe von Social Media rekrutieren können.
Stefan Schmidt-Grell: Über Soziale Netzwerke können Kandidaten – darunter insbesondere auch latent Suchende – direkt angesprochen werden. Social-Media-Nutzung schliesst jedoch die eigene Job-Website nicht aus, sondern vergrössert die Reichweite, indem Nutzer etwa interessante Jobs an den eigenen Bekanntenkreis weiterleiten. Darüber hinaus ist die Anzeigenschaltung oft kostengünstiger.
Thomas Brühwiler: Der Einsatz von Social Media im Recruiting macht nicht zuletzt deshalb Sinn, weil sich in der eigenen Online-Community potenzielle Bewerber befinden können, die sich bereits für das Unternehmen oder dessen Produkte interessieren. Unternehmen, die sich im Online-Bereich positionieren, können so bereits von einer gewissen Online-Affinität ausgehen. Online- oder auch Offline-Jobbörsen haben damit zwar eine gewisse Relevanz eingebüsst, werden damit aber noch lange nicht überflüssig. Je nach gesuchtem Berufsbild macht es durchaus Sinn, auch dort nach potenziellen Mitarbeitern zu suchen.
Klaus Eck: Ja. Facebook-Seiten wie «Bayer Karriere» oder «Be Lufthansa» zeigen, dass es mehr Sinn macht, die Zielgruppe dort abzuholen, wo sie sich befindet – nämlich bei Facebook –, als darauf zu warten, dass sie auf Stellenanzeigen (sei es off- oder auch online) reagiert. Mit einer Stellenanzeige erreicht man heutzutage keine grosse Aufmerksamkeit mehr und somit auch nicht mehr die Zielgruppe. Besser ist es, die Stakeholder selbst in den Recruiting-Prozess zu involvieren und die eigenen Influencer dafür zu nutzen. Wenn Mitarbeiter auf Facebook Mitarbeiter werben, kann das sehr erfolgreich sein. Meine Mitarbeiter habe ich fast alle über das Social Web kennengelernt und anstellen können. Und bei allfälliger Expansion lasse ich ihnen wiederum freie Hand, um für unser Team via Social Web potenzielle weitere Mitarbeitende zu finden.
Karsten Wendland: Allerdings. Die anspruchsvolle HR-Aufgabe ist, die diversen Plattformen gemeinsam zu denken, zielgruppenspezifisch zu bespielen und sinnvoll zu vernetzen. So können Follow-me-Verlinkungen auf der eigenen Recruiting-Site zu eigenen Angeboten bei Online-Jobbörsen, Facebook usw. sehr nützlich sein. Hausinterne Sites büssen dadurch keine Relevanz ein, erhalten eher die erweiterte Funktion, dorthin zu verlinken, wo das eigens gepflegte Firmen- und Stellenprofil an anderen Stellen im Web sichtbar ist.
Social Media und Web 2.0 können für ein Unternehmen auch zum Sicherheitsrisiko werden. Wie sollen sie damit umgehen?
Jutta Wurz: Wir haben unseren IT-Security-Verantwortlichen sehr eng sowohl in die Erarbeitung der Social-Media-Guidelines wie auch in die Administration und den technischen Umgang – Stichwort Sicherheitseinstellungen – bezüglich unserer Social-Media-Plattformen eingebunden. Wenn man sich nach aussen öffnet, muss man natürlich immer auch bereit sein, ein gewisses Sicherheitsrisiko einzugehen.
Nicole Siegenthaler: Allfällige Sicherheitsrisiken sind natürlich ein Thema. Wir beobachten laufend die Entwicklungen und passen unsere Sicherheitssysteme bei Bedarf entsprechend an.
Stefan Schmidt-Grell: Viele Firmen stellen eigene Social-Media-Guidelines auf, um die Mitglieder über die Herausforderungen im Web-2.0-Umfeld aufzuklären. Dem Arbeitnehmer muss klar sein, welche Auswirkungen auf das Unternehmen Äusserungen und Handlungen im Web 2.0 haben können. Wenn man gewisse Regeln beachtet, stellt Social Media eine tolle Chance für Arbeitnehmer und -geber dar.
Thomas Brühwiler: Wer sich im Internet tummelt, tut gut daran, den gesunden Menschenverstand einzusetzen und eine gewisse Portion Vorsicht walten zu lassen. Dies gilt auch für den Umgang mit Social Media respektive Web 2.0. Spezielle Vorsichtsmassnahmen einzig aufgrund der Nutzung von Social Media sehe ich allerdings nicht.
Klaus Eck: Es bedarf einiger Schulungen in Sachen Medienkompetenz, damit die Mitarbeiter eines Unternehmens nicht bedenkenlos auf (unbekannte) Kurz-URLs gehen und dadurch Opfer von Phishing oder Malware werden. Doch ist Social Media hier nicht gefährlicher als andere Websites. Jeder sollte nur vorher gut überlegen, welcher Quelle und welchem Absender der Information er vertraut. Ansonsten leidet darunter die Sicherheit eines Unternehmens.
Karsten Wendland: Sicherheitsrisiken durch unbedachten Umgang mit Social-Media-Tools – z. B. offen einsehbare Chats bei Facebook oder technische Gefahren wie das Ausspionieren von Passwörtern durch Malware – sollten Mitarbeitern aktiv bewusst gemacht werden. Risikobehaftete Features sollten automatisch erkannt und deaktiviert werden. Hier können kleine IT-Abteilungen an ihre Grenzen stossen.
Werden Unternehmen in ihren HR-Bereichen direkt oder indirekt mehr Investitionen in Social-Media-Aktivitäten und/oder Web-2.0-Tools tätigen?
Jutta Wurz: Aufgrund der noch nicht ausreichenden Erfahrungen ist das schwierig zu sagen. Sicher ist aber, dass in die Themen Social Media und Web 2.0 in nächster Zeit investiert wird und werden muss. Für unser Unternehmen ist das zudem eine Visitenkarte, die unsere Strategie in Richtung Digital Media unterstreicht, und auch deshalb ein konsequenter Weg in diese Richtung.
Nicole Siegenthaler: Ja, unbedingt. Sie werden müssen.
Stefan Schmidt-Grell: Rund eine Milliarde Menschen sind weltweit bereits in Sozialen Netzwerken aktiv. Entsprechend erwarten wir bei Xing, dass Unternehmen in der Personalarbeit künftig noch stärker auf das Web 2.0 zurückgreifen werden, während traditionelle HR-Tools in den Hintergrund treten. Kleine wie grosse Firmen profitieren von den neuen Möglichkeiten, der hohen Reichweite und den vergleichsweise günstigen Preisen.
Thomas Brühwiler: Es ist zu hoffen, dass mehr Unternehmen den Nutzen von Social-Media-Aktivitäten erkennen, denn dies hat direkten Einfluss darauf, wie Internetnutzer ein Unternehmen und seine Handlungen wahrnehmen.
Klaus Eck: Viele Unternehmen haben den Nutzen von Social Media längst erkannt und versuchen darüber, den Dialog mit ihren Stakeholdern auszubauen. Warum eine teure Karriere-Website aufbauen, wenn es mit einem überschaubaren Etat möglich ist, Bewerber über eine Facebook-Karriereseite zu erreichen?
Karsten Wendland: Der Trend besteht. Aktuell haben diese Aktivitäten oft experimentellen Charakter, da es in diesem jungen Segment wenig konzeptionelle Erfahrungen gibt. Daher lohnt sich ein «aktives Ausprobieren», wo das HRM Expertise im Umgang mit Social Media und Web 2.0 aufbauen kann. Entscheidend dabei: Die gemachten Erfahrungen müssen reflektiert und in kurzen Zyklen an Inhalte und Features der Social-Media- und Web-2.0-Aktivitäten zurückgekoppelt werden. Gerade in der Startphase kann sich das Social-Media-Profil stark verändern – und genau darin liegt seine Stärke. Diesen Prozess aktiv zu betreiben, ist eine zentrale Aufgabe eines Chief Social Media Officers.