Wenn der soziale Jetlag Eulen lahmlegt
Wer stets entgegen seiner inneren Uhr arbeiten muss, leidet unter Schlafmangel und ist weniger produktiv. Letzteres ist auch ein Nachteil für Unternehmen. Grund genug für das Betriebliche Gesundheitsmanagement, den Betroffenen Hilfe zu leisten und Abhilfe zu schaffen.
Die Auswirkungen des sozialen Jetlag sind vergleichbar mit dem Jetlag nach einem Flug über Zeitzonen. (Bild: 123RF)
Eulen sind im Nachteil. Jedenfalls in der westlichen Gesellschaft. Die üblichen Arbeitszeiten erfordern, morgens früh aus den Federn zu steigen. Die angeborenen Schlafpräferenzen der Eulen – spät ins Bett und spät aufstehen – häuft während der Arbeitswoche einen Schlafmangel an. Anders sieht es aus bei den Frühaufstehern, den Lerchen. Ihnen kommen die üblichen Arbeitszeiten entgegen.
Entsprechen die von der Gesellschaft diktierten Zeitpläne nicht der inneren Uhr, so führt der Unterschied zu einem sozialen Jetlag, dessen Auswirkungen dem Jetlag nach einem Flug über Zeitzonen vergleichbar ist. Nur hält er für die Betroffenen über Jahrzehnte an. Die Folgen reichen von Schlafstörungen und Abgespanntheit, über Übergewicht und Suchtverhalten bis hin zu Depressionen.
Produktivität wird eingeschränkt
Nicht nur der einzelne Mensch leidet unter den Auswirkungen des sozialen Jetlags. Für Unternehmen hat es finanzielle Auswirkungen, wenn ihre Mitarbeitenden unproduktiv sind, weil sie zu früh oder zu spät arbeiten müssen. Dennoch ist der soziale Jetlag im Betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM) kaum ein Thema.
So verwendet auch die Axa Winterthur den Begriff selten. Dem Thema «Schlaf» hingegen wird öfters Platz eingeräumt, wie Esther Graf, selbst eine Lerche und BGM-Verantwortliche der Axa Winterthur, berichtet. «Wir wollen verhindern, dass die Mitarbeitenden 24 Stunden in Bereitschaft sind. Sie sollen sich von der Arbeit abgrenzen und entspannen können.» Dazu bietet das Unternehmen freiwillige Workshops an, in denen die Achtsamkeit sich selbst gegenüber gefördert wird. «Oft sind sich die Menschen nicht bewusst, was der Nutzen von einem Leben im eigenen Rhythmus ist und packen zu viele Aufgaben in einen Tag hinein», so Graf.
Sensibilisierung ist schwierig
Achtsamkeit ist auch Thema in Workshops der Swisscom. «Die Krux ist allerdings, dass vor allem diejenigen Mitarbeitenden erreicht werden, die bereits sensibilisiert sind», meint BGM-Leiterin Martina Novo, die sich als Eule bezeichnet. Probleme wegen des sozialen Jetlags habe bisher niemand gemeldet. Zur besseren Koordination von beruflichen und privaten Aufgaben äussern Mitarbeitende teilweise den Wunsch nach sehr spätem Arbeitsbeginn oder früherem Feierabend. «Dann schauen wir mit dem Mitarbeitenden die Situation an und unterstützen ihn, eine Balance zu finden.»
Sowohl Swisscom als auch Axa setzen auf flexible Arbeitszeiten und Home Office. «Dies bringt Entlastung für die Betroffenen», meint Dieter Kissling, Arzt und Leiter des ifa, des Instituts für Arbeitsmedizin, das Unternehmen im Betrieblichen Gesundheitswesen berät. Es gebe jedoch Einschränkungen: «Es ist nicht möglich, dass jemand erst am Mittag mit der Arbeit beginnt. Zudem ist die Flexibilität in Berufen mit Kundenkontakt kaum umzusetzen und in internationalen Unternehmen nehmen weder die Asiaten noch die Amerikaner Rücksicht», erklärt Kissling – er selbst steht als Eule täglich kurz nach fünf Uhr auf und ist damit für den sozialen Jetlag gefährdet. Um möglichst dem eigenen Rhythmus entsprechend arbeiten zu können, empfiehlt er betroffenen Mitarbeitenden, mit den Vorgesetzten eine individuelle Lösung zu suchen.
Kunden haben Priorität
Grossen Spielraum ihren Neigungen entsprechend zu arbeiten, haben selbstständige Unternehmerinnen und Unternehmer. Eine von ihnen ist Sonja D’Angelo, Strategieberaterin und Lerche. Doch auch sie muss sich bei der Arbeit nach ihren Kunden richten und teilweise diktieren ihre kleinen Kinder den Arbeitsrhythmus. Sie nutzt zur Überlistung der inneren Uhr einen akkubetriebenen Taschen-Magnetfeldgenerator. «Er erhöht meine Aufmerksamkeit beim Arbeiten und beruhigt vor dem Einschlafen», beschreibt sie die Wirkung. Kissling meint dazu: «Solche Hilfsmittel, aber auch Tees, Baldrian oder Rituale, können den einzelnen Menschen durchaus helfen.» Von Medikamenten für einen besseren Schlaf rät er hingegen dringend ab. Besonders wichtig sei, genügend lange zu schlafen. Dies ist auch sein eigener Trick gegen Übermüdung.
Rituale und Hinweise zur Entspannung und zum Spannungsaufbau sind auch Inhalt in Seminaren der Axa Winterthur. Als weiteres Hilfsmittel bezeichnen Graf, Novo und Kissling unisono den Sport. Er trägt zur körperlichen Müdigkeit bei, verhilft zu tieferem Schlaf und beeinflusst die Stimmung positiv.
Langfristig gesehen dürfte es für die Eulen einfacher werden: Es hat bereits ein gesellschaftliches Umdenken eingesetzt. Wer vor dreissig Jahren um neun ins Büro kam, galt als faul. Heute ist dies dank flexiblen Arbeitsmodellen gesellschaftlich eher akzeptiert. Ausserdem nähern sich mit zunehmendem Alter die Eulen tendenziell den Lerchen an.