Wie Multitasking die Kommunikation negativ beeinflusst
Die Industrie lockt permanent mit neuen Produkten, die Zeit sparen. Doch je mehr sich Unternehmen um Effizienz bemühen, desto grösser scheint der Zeitdruck. Darunter leiden nicht nur Mitarbeitende, sondern auch die Kommunikation – und damit die Unternehmenskultur.
Multitasking prägt den heutigen Alltag, obwohl wir Menschen eigentlich schlechte Multi-Tasker sind. (Bild: iStock)
Die Informations- und Kommunikationsindustrie offeriert uns permanent neue Produkte, die uns angeblich helfen, Zeit zu sparen. Das tun sie vielfach auch. Doch zugleich erscheint es so, als würden wir, je intensiver wir diese Produkte nutzen, umso stärker unter Zeitdruck stehen. Ähnlich verhält es sich in den Unternehmen. Obwohl in ihnen heute fast alle Geschäftsprozesse IT-gestützt ablaufen, haben sie zunehmend das Gefühl: Wir können mit den Marktveränderungen immer schwieriger Schritt halten.
Eine zentrale Ursache hierfür ist: Die Vorzüge der modernen (Informations- und Kommunikations-)Technologie nutzen alle Unternehmen. Also werden in der gesamten Wirtschaft die Geschäftsprozesse immer schneller und die Innovationszyklen kürzer. Und der effektive Umgang mit der Zeit? Er wird zunehmend ein Erfolgsfaktor, was auch moderne Managementbegriffe wie «Just-in-time» und «time-to-market» belegen.
Multitasking prägt den (Arbeits-)Alltag
Auf den wachsenden Zeitdruck reagieren viele Menschen privat, indem sie ihr häusliches Umfeld noch stärker technisieren, so dass zum Beispiel fortan ihre Gärten auf Knopfdruck gewässert werden. Ausserdem praktizieren sie zunehmend ein Multitasking, obwohl Studien belegen: Wir Menschen sind schlechte Multi-Tasker. Denn mehrere Dinge parallel zu tun, bedeutet stets, seine Aufmerksamkeit zu teilen, was zu mehr Fehlern führt.
Auch in den Unternehmen ist das Multitasking gängige Praxis. Das bringen schon die modernen Arbeitsstrukturen mit sich. Heute haben nur noch wenige Arbeitnehmer eine Stellenbeschreibung mit genau definierten Aufgaben. Sie sollen vielmehr im Team vorgegebene Ziele erreichen. Folglich sind sie bei ihrer Arbeit auch von der Zuarbeit von Kollegen abhängig und müssen häufiger auf deren Anliegen reagieren. Entsprechend schwer können sie ihren Arbeitstag planen. Zudem erledigen sie meist mehrere Aufgaben parallel. Auch das kostet Konzentration und produziert Stress.
Ähnlich verhält es sich auf der organisationalen Ebene. Früher galt bei Organisationsentwicklern die Maxime: Nach einem Veränderungsprojekt sollte in einem Unternehmen einige Zeit Ruhe herrschen, damit sich der neue Ist-Zustand festigen kann und die Mitarbeitende verschnaufen können. Diese guten, alten Zeiten sind vorbei. Heute laufen in den meisten grösseren Unternehmen so viele, sich überlappende (Veränderungs- und Innovations-)Projekte parallel, dass das sogenannte Multi-Projekt-Management sich zu einer neuen Schlüsselkompetenz entwickelt hat.
Kommunikation reduziert sich auf Information
Das Leben und Arbeiten in einem solchen Umfeld hat weitreichende Konsequenzen. So betonen Unternehmen zum Beispiel zwar immer wieder, ihre Führungskräfte seien für die Entwicklung ihrer Mitarbeitenden (mit-)verantwortlich. Faktisch sinkt jedoch in den meisten Betrieben die Zeit, die Führungskräfte für Face-to-face-Gespräche mit ihren Mitarbeitenden aufwenden, kontinuierlich – auch weil heute ein grosser Teil der firmeninternen Kommunikation und somit Mitarbeiterführung per Mail erfolgt.
Hierdurch wird der «soziale Kitt» in den Unternehmen brüchig. Denn es macht einen qualitativen Unterschied, ob man nur die Mail einer Person liest oder ihr gegenüber sitzt, ihr in die Augen schaut, ihre körperlichen Reaktionen wahrnimmt und hierauf reagiert. Das schafft eine andere Qualität der Beziehung sowie des wechselseitigen Verstehens; ausserdem eine höhere Verbindlichkeit. Deshalb ist es kein Zufall, dass bei der elektronischen Kommunikation viel häufiger Konflikte entstehen und eskalieren.
In vielen Unternehmen reduziert sich die zwischenmenschliche Kommunikation heute zunehmend auf eine wechselseitige Information. Dabei wird zweierlei übersehen:
Erstens: Menschliche Kommunikation lebt auch davon, dass die Gesprächspartner ihr jeweiliges Gegenüber als Individuum wahrnehmen.
Zweitens: Der persönliche Kontakt ist auch für die Beziehungsbildung wichtig.
Identifikation mit den Unternehmen sinkt
Kommt in einer Organisation die persönliche Kommunikation zu kurz, hat das weitreichende Auswirkungen:
- Die Mitarbeitende fühlen sich weniger als Person wahrgenommen und wertgeschätzt,
- sie können sich weniger als Ganzes in die Organisation einbringen,
- ein Erfahrungslernen wird erschwert,
- Flow-Erlebnisse im Team werden vereitelt und
- Konflikte werden nicht oder auf dem falschen Weg (zum Beispiel per Mail) ausgetragen.
Dadurch sinkt auch die Produktivität.
Eine weitere Konsequenz ist: Das Vertrauen zwischen den Beschäftigten sowie den Führungskräften und ihren Mitarbeitenden sinkt. Die Mitarbeitenden vereinzeln, was zu einer geringeren Identifikation mit dem Unternehmen führt. Deshalb sollten sich Führungskräfte auch Gedanken darüber machen:
- Wann und was kommunizieren wir nicht per Mail, sondern im persönlichen Kontakt? Und:
- Wie fördern wir die informelle Kommunikation, da auch sie für den Beziehungsaufbau wichtig ist?
Sonst besteht die Gefahr, dass Sie mit Ihren Mitarbeitenden irgendwann fast ausschliesslich mittels elektronischer Medien kommunizieren – gerade weil diese Form der Kommunikation so einfach und bequem ist.
Die «Seele» der Unternehmen bewahren
Die Top-Entscheider in den Unternehmen sollten sich zudem fragen: Wie können wir in unserer Organisation eine neue Balance finden zwischen
- Verändern und Bewahren,
- An- und Entspannung,
- betriebswirtschaftlichen Zielsetzungen und menschlichen Bedürfnissen?
Sonst besteht die Gefahr, dass Ihre Unternehmen seelenlose Wesen werden, mit denen sich die Mitarbeitenden immer weniger identifizieren.