Zum Führen virtueller Teams braucht es besondere Prozesse und Regeln
Im Zuge der Globalisierung und des allgemeinen Kostendrucks werden immer häufiger virtuelle Teams eingesetzt. Diese Organisationseinheiten haben allerdings weitaus mehr zu bieten als blosse Kostenvorteile. Denn richtig geführt können sie – trotz einer damit verbundenen deutlich höheren Komplexität – entscheidende Wettbewerbsvorteile bringen.

Das Präfix virtuell oder Englisch virtual findet man immer mehr: virtual organization, virtual team, virtuelles Lernen usw. Virtuelle Teams unterscheiden sich von klassischen Teams vor allem durch die geografische Komponente: Teammitglieder arbeiten nicht am gleichen Ort und sehen sich selten bis nie. Bedingt durch diese Distanz kommuniziert man meistens via E-Mail, Telefon oder firmen- internen Chat. Genau hier steckt der Teufel im Detail, denn Führen und Kommunizieren sind schon in einem lokalen Team mit täglicher Face-to-Face-Interaktion eine Herausforderung – in virtuellen Teams noch viel mehr. Es lohnt sich deshalb, Prozesse, Regeln und insbesondere die Mission eines virtuellen Teams genauer anzuschauen.
Warum das Führen virtueller Teams nicht so einfach ist
Erfahrene Peoplemanager, die sich etwa infolge Reorganisation plötzlich in einer virtuellen Teamumgebung befinden, bekunden des öfteren Mühe mit dieser ungewohnten Situation. Bewährte Führungsprinzipien und Kommunikationsstile scheinen nicht mehr oder nur noch teilweise zu funktionieren. Woran mag das liegen? Die Gründe sind vielfältig.
Kommunikation und Information
Auch in konventionellen Teams braucht es Strukturen, um das Zusammenarbeiten geschickt zu organisieren. Wenn man sich aber distanzbedingt nicht sieht, können schon die einfachsten Aufgaben zum Stolperstein werden. Zum Beispiel fehlt eine Cafeteria/Mensa, ein Gang (floor talk) oder der tolerierte Platz zum Rauchen vor der Eingangstüre. Diese Orte gehören bekannterweise zu den effizientesten, wenn auch inoffiziellen, Informationsquellen und Kommunikationsplattformen innerhalb einer Firma. Kleinste Missverständnisse kommen da oft ans Tageslicht und können so unbürokratisch geregelt werden, bevor sie zu einem grossen Problem werden. In virtuellen Teams sieht die Situation anders aus, weil deutlich mehr Missverständnisse und somit später Zielabweichungen oder Streitereien entstehen als in lokalen Teams.
Der Hauptgrund dafür liegt in den verwendeten Kommunikationsmitteln. Das mit Abstand am meisten verwendete Kommunikationstool ist E-Mail – sprich ein schriftlicher, zeitlich versetzter Kommunikationskanal, bei dem Gestik, Mimik, Körpersprache sowie die Tonlage (c’est le ton qui fait la musique) verloren gehen. Die Wahrscheinlichkeit für meistens nicht bös gemeinte Missverständnisse steigt deutlich an. Wie oft schreibt man aus Zeitmangel eine kurze, knappe E-Mail, die beim Empfänger prompt in den falschen Hals gelangt? Diese eigentlich kleinen Issues häufen sich im Laufe der Zeit an und können das Arbeitsklima sowie die Teamresultate deutlich beeinträchtigen.
Verschiedene Kulturen und ihre Bräuche
Darüber hinaus arbeiten in virtuellen Teams oft Mitarbeitende aus verschiedenen Kulturen. Andere Länder, andere Sitten (other cultures, other customs). Zu welchem Zeitpunkt man was und vor allem mit welchem Vokabular kommuniziert, hängt stark vom sprachlichen und kulturellen Hintergrund einer Person ab. Ob wie in Frankreich eher durch die Blume, wie in Skandinavien eher direkt und unverblümt oder wie im Süden mit viel Handeinsatz und Emotionen – kulturelle Faux-pas sind fast nicht zu vermeiden.
Fremdsprachen haben es in sich
In einem multikulturellen Team muss man sich auf eine Teamsprache einigen, was die Zusammenarbeit sowie das Führen noch zusätzlich erschwert. Meistens spricht man Englisch, oft ohne zu berücksichtigen, dass wahrscheinlich nicht alle das gleiche Sprachniveau aufweisen. Nur schon ein einziges Wort, das nicht korrekt verwendet wird, kann unter Umständen fatale Folgen haben. Beispiel: eventually. Viele Deutsch oder Französisch sprechende Leute übersetzen eventually mit wahrscheinlich oder eventuell, da es dem deutschen eventuell oder dem französischen éventuel sehr ähnlich sieht. Doch dem ist nicht so, denn eventually ist ein Synonym von finally und bedeutet schlussendlich, letztlich, oder zum Schluss – auf jeden Fall hat es nichts mit eventuell zu tun. Ob jemand schlussendlich oder nur eventuell einen Kredit von 1 Million absegnet, sind zwei grundverschiedene Aussagen – von den Konsequenzen eines solchen Missverständnisses gar nicht zu sprechen.
Empfehlungen für den Praxiseinsatz virtueller Teams
Bevor in einer Firma virtuelle Teams zum Einsatz kommen, sollte sich das Topmanagement über die Mission des Einsatzes im Klaren sein sowie genügend Zeit und Ressourcen einplanen, um die betroffenen Mitarbeiter zu schulen. Es ist ratsam, dass Teamleader sowie Teammitglieder einen Virtual-Team-Workshop absolvieren, in dem die folgenden Punkte diskutiert und geklärt werden.
Mission
Warum setzt man jetzt in diesem Bereich auf virtuelle Teams, sprich: Was soll damit verbessert werden? So wird ein grundlegendes Verständnis für den Wechsel geschaffen und bereits im Voraus eine mögliche Ablehnhaltung (etwa Not-invented-here-Syndrom) minimiert. Viele Leute stehen Veränderungen zumindest am Anfang doch eher skeptisch gegenüber.
Vermeiden Sie bei der Begründung dafür, warum jetzt in einem virtuellen Team gearbeitet wird, Ausdrücke wie Kostendruck oder Kosteneinsparungen – das kommt oft schlecht an. Virtuelle Teams haben nämlich viel mehr zu bieten, beispielsweise die Möglichkeit von «talent pooling around the globe», also dass man Spezialisten und Talente ortsunabhängig zusammenbringen und so gegenseitig vom Expertenwissen der anderen Teammembers profitieren kann.
Kulturen
Auf interkulturelle Dos und Don’ts aufmerksam machen hilft bereits. Nur schon durch das Bewusstsein, dass man in anderen Ländern bestimmte Sachen nicht oder eben anders macht, werden die Leute sensibilisiert und gewichten Aussagen oder gewisse Aussagen anders.
Tipp: Im Taschenbuch «Auslandsknigge» wird pro Seite ein Land bzw. eine Kultur beschrieben und auf das korrekte Verhalten mit Leuten aus dieser Region hingewiesen.
Sprache
Verwenden Sie möglichst einfache Wörter. Vermeiden Sie ein Wort, wenn Sie nicht 200 Prozent sicher sind, was es bedeutet – sprich, wenn Sie es nicht schon mindestens einmal im Wörterbuch nachgeschlagen haben. Nur weil ein Teammember oder gar ein Vorgesetzter ein Wort braucht, heisst das noch lange nicht, dass dieser Term dabei auch sinngemäss und korrekt verwendet wird.
Tipp: Im Internet kann man sich in wenigen Sekunden Klarheit über die korrekte Bedeutung eines Wortes/Terms verschaffen – diese Zeit ist sinnvoll investiert.
Vertrauen schaffen
Es stellt sich die Frage, ob man gut zusammenarbeiten kann, wenn man sich während Monaten nicht und danach nur sporadisch sieht. Das teaminterne Vertrauen spielt eine entscheidende Rolle. Für virtuelle Teams ist es infolge der Distanz für das Management mehr als nur wichtig – es bildet die Grundlage für eine erfolgreiche Zusammenarbeit. In der einschlägigen Literatur findet man unzählige Artikel zum Thema.
Zwei Begriffe schwingen oben aus: zwischenmenschliches Vertrauen (interpersonal trust) und aufgabenbasiertes Vertrauen (task-based trust). Die aktuelle angewandte Forschung zeigt, dass Vertrauen nicht nur durch zwischenmenschliche Handlungen wie zusammen essen oder Kaffeepausen aufgebaut werden kann. Auch ohne anfängliche Face-to-Face-Interaktionen kann das Vertrauensniveau mit der Zeit steigen. Kooperatives, hilfsbereites und zuverlässiges Arbeiten sowie das Einhalten von Abmachungen von Beginn an erhöhen das Vertrauen im Laufe der Zeit. Dennoch sollte ein Face-to-Face-Teamworkshop so früh wie möglich stattfinden, um den Vertrauenspegel möglichst schnell auf ein hohes Niveau zu bringen. Es geht einfach vieles besser, wenn man sich einmal gesehen hat.
Prozesse und Regeln im Team erarbeiten
Nachdem Sie im Workshop die oben erwähnten Punkte besprochen haben, kommt nun der wichtigste Teil: die Team-Spielregeln bestimmen. Die Workshop-Teilnehmer haben nun das nötige Bewusstsein, um gemeinsam Prozesse und Regeln zu erarbeiten. Was wird via E-Mail kommuniziert, wann soll man zum Telefonhörer greifen? Gibt es einen weekly team conference call, was ist der Inhalt, wer bereitet ihn vor usw.? Es gilt die Grundregel: Distanz trifft auf Disziplin.
Natürlich entwickelt sich die Zusammenarbeit eines virtuellen Teams im Laufe der Zeit weiter, weshalb auch die vereinbarten Prozesse von Zeit zu Zeit angepasst werden müssen.
Noch ein Tipp zum Formieren von Gruppen in Workshops: Mischen Sie «digital natives» (junge Mitarbeiter, welche mit Internet, PC und Handy aufgewachsen sind) mit «digital immigrants» (ohne Internet, PC und Handy aufgewachsen, nun aber damit arbeitend). Das hilft, den «digitalen Generationskonflikt» zu entschärfen. Das gegenseitige Verständnis wird erhöht, und die «digital immigrants» lernen den unverkrampften Umgang mit Online-Tools.
Rekrutieren in virtuellen Teams
Der Rekrutierungsprozess sollte dem virtuellen Umfeld angepasst werden. Das erste Gespräch beispielsweise könnte komplett via Telefon durchgeführt werden, um zu testen, wie sich ein Kandidat rein verbal ausdrücken kann. Darüber hinaus stelle ich am Ende des zweiten (face-to-face) Gesprächs drei Fragen und bitte den Kandidaten, mir diese via E-Mail zu beantworten. Dieses Vorgehen erlaubt mir zu prüfen, wie dieses am häufigsten eingesetzte Kommunikationsmittel beherrscht wird: Kann sich der Kandidat auf das Wesentliche beschränken, und hat er mir die drei Fragen überhaupt beantwortet?
Bedingt durch die stark eingeschränkte Überwachungsmöglichkeit müssen überdurchschnittlich selbständige Mitarbeitende mit einem sehr hohen Mass an Eigeninitiative eingestellt werden. Fachlich gut ausgebildete Personen mit relativ hohem Führungsbedürfnis würden in virtuellen Teams untergehen. In der Rekrutierungsphase sollte dieser Erkenntnis Rechnung getragen werden.
Literatur:
- Beat A. Bühlmann: «Need to Manage a Virtual Team? Theory and Practice in a Nutshell», Cuvillier-Verlag Göttingen