Heft Nr. 9/2015: Coaching

Zwischen Boom und Wahn

Der Coaching-Markt boomt. Dabei wird das HR von Coaching-Anbietern nur so umschwärmt. Doch wie trennt man als HR-Profi zwischen Spreu und Weizen? Das neue Buch «Bewertung von Coachingprozessen» beschäftigt sich mit diesem «weissen Fleck» im Coaching-Diskurs. Interview mit Co-Autor Robert Wegener.

Herr Wegener, der Coaching-Markt hat sich zu einem veritablen Wirtschaftszweig gemausert. Was sind die Gründe für den Boom?

Robert Wegener: Das Coaching hat wirklich eine beeindruckende Entwicklung zurückgelegt. Exponenten aus Praxis und Forschung sprechen vom «wichtigsten personenorientierten Beratungsformat des 21. Jahrhunderts». Andere sprechen von «Coaching-Boom», in negativ gesteigerter Form gar von «Coaching-Wahn». Tatsächlich ist Coaching ein besonderes Phänomen. Seit den 1980er-Jahren ist eine stürmische Marktetablierung im Gange und seit den 1990er-Jahren auch eine beeindruckende Zunahme an Coaching-Verbänden festzustellen. Seit 2000 steigt auch die Zahl wissenschaftlicher Coaching-Publikationen exponentiell.

Was hat Sie motiviert, der Coaching-Literatur ein weiteres Buch hinzuzufügen?

Darüber, was in Coachingprozessen konkret passiert, weiss die Forschung noch so gut wie gar nichts. Entsprechend wissen auch viele HR-Verantwortliche – die von Coaching-Anbietern oft nur so umschwärmt werden – nicht immer, was Coaching genau ist, was es zu leisten vermag und wie gute Qualität erkannt werden kann. Wie auch, wenn der Markt von einer unübersichtlichen Vielfalt von mehr oder weniger professionellen Anbietern durchzogen ist? Trotzdem wird Coaching in Organisationen nachgefragt und angeboten. Für die Bewertung von Coachingprozessen reicht es vielen HR-Verantwortlichen, wenn Mitarbeitende, die ein Coaching in Anspruch nehmen, damit zufrieden waren.

Zur Person

Robert Wegener ist Mitherausgeber des Fachbuchs «Bewertung von Coachingprozessen» und Organisator des Internationalen Coachingkongresses, der am 14./15. Juni 2016 an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten stattfindet: www.coaching-meets-research.ch

Werden zu geringe Ansprüche gestellt?

Den geringen Anspruch an die Bewertung von Coachingprozessen erachte ich schon als problematisch. Es ist aber gar nicht so leicht, tatsächliche Effekte von Coachings, über als angenehm empfundene Gespräche hinausgehend, transparent zu machen. Aus professioneller Sicht reichen positive Zufriedenheitsbewertungen jedoch aus mindestens drei Gründen nicht aus: erstens, weil die Forschung zeigt, dass diese wenig mit der tatsächlichen Qualität von Dienstleistungen zu tun haben. Zweitens, weil Unternehmen teils viel Geld für Coaching-Massnahmen ausgeben, dabei aber nicht in Erfahrung bringen wollen, was ihnen diese Investitionen tatsächlich bringen. Drittens ist diese Haltung fragwürdig, weil damit der tatsächliche Nutzen professioneller Coachings im Verborgenen bleibt und Coaching beim nächsten rückläufigen Wirtschaftstrend wieder von der Massnahmenliste gestrichen wird. Dies obschon die Forschung zeigen konnte, dass gutes Coaching, gerade im Vergleich zu Trainingsmassnahmen, insbesondere aber auch in Kombination mit diesen, zu ausserordentlich interessanten Ergebnissen führen kann.

Wie unterscheiden Sie Coaching und Training?

Eine mögliche Unterscheidung ist, Coaching als Form der personenorientierten Beratung zu verstehen: Probleme, Ziele und Massnahmen sowie auch deren Umsetzung werden gemeinsam diskutiert und private oder berufliche Anliegen damit produktiv bearbeitet. Training dagegen ist nur ein Teil davon, nämlich jener, in dem Kompetenzen eingeübt – eben trainiert – werden, ohne dabei in besonderem Masse auf die spezifischen Ausgangslagen oder Wünsche der Klienten und Klientinnen einzugehen.

Welche Bedeutung hat das Coaching heute?

Coaching befindet sich gegenwärtig an einer interessanten Weggabelung zwischen marktorientierter und professioneller Dienstleistung. Bleibt Coaching, wie bis anhin, eine ungeschützte, marktregulierte Dienstleistung, wird es seitens Unternehmen, bis auf wenige Ausnahmen, kaum bedeutsame Bemühungen geben, mehr darüber erfahren zu wollen, was professionelle Coachings tatsächlich bringen, aber auch, wo die Risiken und Gefahren von Coaching liegen.

An welche Gefahren und Risiken denken Sie?

Ein rein marktgetriebener Status ist ein Problem, weil in Coachings, zu Recht, auch psychologisch sensible Punkte bearbeitet werden und damit leicht Abhängigkeitsverhältnisse entstehen und nicht erkannte, heikle psychische Zustände von Klienten und Klientinnen durch unprofessionelle Coaches negativ beeinflusst werden können. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass Coaching als Instrument der Ausbeutung von Mitarbeitenden missbraucht wird, zum Beispiel um unrealistische Leistungsvorstellungen zu fordern. Es sollte jedoch das Ziel sein, Coaching zu einer wertvollen Bildungsmassnahme des 21. Jahrhunderts auszugestalten. Damit würde auch ein konstruktiver Beitrag zum Umgang mit aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen ermöglicht, die mit den ansteigenden Flexibilitäts-, Selbststeuerungs- und Leistungsansprüchen einhergehen.

Wie lautet Ihre Forderung?

Coaching muss auf den Status einer professionellen Dienstleistung gehievt werden. Damit verbunden sind Qualitätsansprüche zu formulieren und deren Einlösung ist regelmässig zu überprüfen. Eine solche Entwicklung von Coaching kann allerdings nur in gemeinsamer Kooperation aller wichtiger Akteure wie Berufsverbände, Hochschulen, Weiterbildungsinstitutionen, Unternehmen, öffentliche Hand und Medien vollzogen werden. Grundlage einer solchen Kooperation sind mitunter Plattformen für Austausch, Vernetzung und Weiterentwicklung, wie beispielsweise der Internationale Coachingkongress «Coaching meets Research» der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW.

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Ehemaliger Chefredaktor HR Today.

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