Porträt

«Als HR-Chefin repräsentiere ich nicht 
die interne Opposition des Unternehmens»

Nach einem Sprachstudium fand Ruth Schmutz eher zufällig ins Human Resources Management. Ihre weitere Karriere 
dagegen war weniger vom Zufall abhängig als von ihrem Wunsch, die Prozesse zu verstehen, die Unternehmen prägen und erfolgreich machen. In ihrer Doppelrolle als zentrale Personalleiterin von Galenica und Global Head Human 
Resources von Vifor Pharma findet die besonnene Managerin den Spielraum, der ihrem Gestaltungswillen entspricht.

«Die Aufgabe, die Sie mir übertragen wollen, ist so schwierig, dass ich nicht wage, sie abzulehnen.» Es ist leicht vorstellbar, dass Ruth Schmutz angesichts einer neuen Herausforderung schon einmal ähnlich reagiert hat wie der britische Physiologe und Hormonforscher Ernest Starling, dem dieses Zitat zugeschrieben wird. Zumindest dürfte sie schon ähnlich gedacht haben ihre Bescheidenheit jedoch würde ihr wohl verbieten, den Gedanken auszusprechen.

Die schwierigen Aufgaben scheint auch Ruth Schmutz den leichten vorzuziehen – aber nicht, weil sie davon überzeugt wäre, die Einzige zu sein, die der Sache gewachsen ist, sondern weil sie weiss, dass 
Herausforderungen Persönlichkeit, Charakter und Fähigkeiten formen und fördern. Und dass sie mit Sicherheit auch mehr Spass machen als das tägliche Einerlei. Sie habe in den letzten Jahren ein anderes Verhältnis entwickelt zu Belastungen und Stress, bestätigt Ruth Schmutz. Letztlich sei der Umgang mit hohen Anforderungen auch eine Frage der Kondition.

Tatsächlich wirkt die HR-Leiterin in mentaler Hinsicht fit, geradezu durchtrainiert. Sie fühle sich wohl in ihrer Rolle, sagt sie. 
Genauer gesagt: in ihrer Doppelrolle. Ruth Schmutz trägt als HR-Leiterin der Galenica-Gruppe die Verantwortung für rund 6000 Mitarbeitende, und zugleich ist sie Personalverantwortliche der global tätigen Galenica-Tochter Vifor Pharma. Galenica, 1927 von sechzehn Westschweizer Apotheken als Einkaufszentrale gegründet, entwickelte sich in den letzten Jahrzehnten vom reinen Pharmagrossisten zu einer breit diversifizierten Unternehmensgruppe im Gesundheitsmarkt, die weltweit Pharmazeutika entwickelt und vertreibt und in der Schweiz in der ganzen Wertschöpfungskette von der Logistik über das Informationsmanagement bis zum Führen von eigenen Apotheken tätig ist. Der Konzern erfreut sich seit Jahren eines starken Wachstums, allein in den letzten beiden Jahren wurden fünf Übernahmen getätigt; so wurden Anfang 2008 das kanadische Pharmaunternehmen Aspreva und im Juli 2009 die Schweizer Apothekenkette Sun Store integriert.

HR-Leiterin eines der hundert grössten Schweizer Unternehmen zu werden, stand nicht zuoberst auf der Wunschliste der jungen Ruth Schmutz. Nach ihrem Sprachstudium habe sie eine Zeitlang mit einer akademischen Laufbahn geliebäugelt, erzählt sie.Doch nachdem sie einige Zeit in eine Doktorarbeit investiert habe, sei ihr klar geworden, dass ihre Chancen auf eine ernstzunehmende Karriere zu schmalspurig waren und ausserdem die Forschungstätigkeit zu einsam.

Von einer Freundin dazu angeregt, trat sie ein Hochschulabsolventen-Praktikum im Bereich Finanz und Analyse beim Bankverein an. Spannend sei dieses Jahr zwar gewesen, doch der Funke sprang nicht: «Der teilweise zynische Umgang mit Kapital – insbesondere mit Humankapital – entsprach mir nicht.» Vielversprechend dagegen schien ihr die Ausschreibung der Stelle als «Regional Head 
Human Resources Europe», wofür sie sich bewarb. «Da ich keine Erfahrung im HR-Bereich vorweisen konnte, machte ich mir jedoch 
wenig Hoffnung», erinnert sich Schmutz.

Bei Finanz und Analyse sprang der Funke nicht – beim HR aber schon

Zu Unrecht. Die Bank setzte offenbar ganz auf ihre Sprachkenntnisse und die gute Empfehlung ihres Vorgesetzten. So wurde Ruth Schmutz unter anderem die Aufgabe anvertraut, für das Wohl der über ganz Europa verteilten Schweizer Bankmanager zu sorgen. Und diesmal sprang der Funke. Der vielfältige Job, der Kontakt mit Berufsleuten in unterschiedlichen beruflichen und privaten Situationen bot, dazu Reisen in verschiedene europäische Länder verlangte, rechtliche, steuerliche und interkulturelle Aspekte barg, schaffte es offenbar, den grossen Wissensdurst der jungen Berufsfrau zu stillen.

Über den Vertrauensvorschuss, den ihre Vorgesetzten damals einer Unerfahrenen zugestanden hatten, habe sie sich sehr gefreut, erinnert sie sich: «Förderer sind wichtig in einer Karriere.» Es tue gut, gelegentlich auf solche zu treffen im Leben, sagt sie und fügt hinzu, dass man schliesslich ja auch hin und wieder auf ihr Gegenteil treffe, die Widersacher. Ihr vergnügtes Lächeln lässt darauf schliessen, dass sie inzwischen auch mit diesen umzugehen gelernt hat.

Weder «Seelentante» noch 
Bedenkenträgerin der Organisation

Von Rolf Fehlbaum, dem charismatischen Leiter des Designmöbelherstellers Vitra, habe sie eine für ihre Karriere wichtige Erkenntnis gewonnen: «Als HR-Chefin repräsentierst du nicht die interne Opposition, sondern ziehst am Karren mit.» Gerade weil das Personal einen wesentlichen Beitrag zur Wertschöpfung leiste, müssten Personalmanager die Unternehmensstrategie verstehen und in ihrem Bereich umsetzen können. Sich um das Wohlgefühl der Belegschaft zu kümmern, sei nur ein Aspekt des Aufgabenspektrums, wenn auch ein wichtiger. Noch bedeutender, weil erfolgsentscheidend sei es, die Mitarbeitenden dabei zu unterstützen, ihre Ziele zu erreichen und Wert zu generieren. Sie sehe sich explizit nicht als «Seelentante», betont sie, ebenso wenig als Bedenkenträgerin der Organisation. «Wenn Personalverantwortliche nur immer den Finger heben und ‹Achtung, Achtung› rufen, dürfen sie sich nicht wundern, wenn sie von der Unternehmensleitung nicht mehr gefragt werden.»

Den grösstmöglichen gemeinsamen Nenner zu schaffen, ist das Ziel

Genaue Kenntnisse und Engagement für die Geschäftsziele, die Kernprozesse und die Bedingungen am Markt, in dem sich ein Unternehmen bewege, seien die Voraussetzung für eine Mitwirkung in der Unternehmensleitung – auch für HR Manager, ist Ruth Schmutz überzeugt. Dass, wer sich einmischt, auch intensiveren Diskussionen ausgesetzt ist, nimmt sie in Kauf, mehr noch: Sie sucht eher Reibung als Harmonie. «Wir stellen uns automatisch gut mit Leuten, die nach unseren Vorstellungen funktionieren.»

Mit denjenigen Führungsleuten also, die Mitarbeitergespräche zuverlässig führen, Formulare rechtzeitig zurückschicken und sich hundertprozentig an die definierten Abläufe halten. Wirklich wichtig jedoch seien diejenigen Personen im Unternehmen, die das Business vorwärtsbringen, gibt Schmutz zu bedenken: «Und die machen halt manchmal, was sie wollen – geradewegs an uns vorbei!» Gerade auch  mit diesen internen Kunden gelte es, Wege der guten Kooperation zu finden, selbst wenn dies unbequem sei. «Schliesslich geht es hier um die Top Talents der Firma. Nicht um zukünftige, sondern um aktuelle High Potentials.»

Verschiedene Ansprüche und Bedürfnisse auf einen Nenner zu bringen in einem grossen Konzern, sei allerdings nicht einfach. Die Bandbreite an Vorwissen, Erfahrung und 
Ansprüchen der bei Galenica Beschäftigten könnte kaum grösser sein: In den vier Divisionen sind Akademiker und Ungelernte tätig, Verkäuferinnen, IT-Spezialisten und Forscherinnen, Vollzeit- und Teilzeitangestellte, Angehörige mehrerer Dutzend verschiedener Nationen. In den einzelnen Betrieben gelten unterschiedliche Anforderungen an Bonus- und Lohnsysteme, sie sind von unterschiedlichen Kulturen geprägt, und es kommen darin unterschiedliche Kommunikationsformen zum Einsatz. Während in Verwaltung und Forschung selbstverständlich jeder Arbeitsplatz vernetzt ist, verfügt nicht jede Mitarbeiterin im Detailhandel über Zugang zum Netz.

Ihre Aufgabe sei es, erklärt Ruth Schmutz, auf Gruppenebene den grösstmöglichen gemeinsamen Nenner zu schaffen und damit die Basis für Zusammenarbeit und Synergien. «Die implementierten Systeme müssen dabei sowohl zu einem international ausgerichteten Konzern passen wie auch zum Schweizer Detailhändler.» Der Findungsprozess sei mit politischer Arbeit vergleichbar, sagt sie, und er setze hauptsächlich sehr engen Kontakt zu den einzelnen Bereichen voraus, viele persönliche Gespräche und Kompromissbereitschaft von allen Seiten. Was nicht bedeute, dass hin und wieder nicht auch eine klare Weisung nötig sei, die keinen Widerspruch dulde. «Letztlich ist in einem Konzern wie dem unseren selten die originellste Lösung die beste, sondern öfter diejenige, die für alle gut ist.»

Vorausdenken ja, aber dabei offen bleiben für ungeplante Ereignisse

Als eine ihrer beiden Töchter Ruth Schmutz vor Jahren fragte, was sie eigentlich den ganzen Tag so mache, habe sie ihr erklärt: «Zuhören, reden, zuhören, reden.» Also dasselbe wie zuhause, meinte die Tochter und fand, dafür müsse die Mutter ja nicht eigens ins Büro fahren. Diese jedoch konnte und kann sich ein Leben ohne Berufsarbeit nicht vorstellen. Kinder hätten für sie nicht zwingend zu einem gelungenen Lebensentwurf gehört, erzählt Ruth Schmutz, berufliche Aktivität jedoch auf jeden Fall.

Heute sind beides wichtige Teile ihres Lebens. Wenn sie abends zur Türe hereinkomme, sei sie ganz für die Familie da, und das Familienleben sei ihr wichtig, so wichtig, dass die Familie umzieht, damit sie dem Arbeitsweg nicht zu viel kostbare Zeit opfern muss. «Morgens und abends möchte ich am Familienleben teilnehmen, das sind die Zeiten, in denen es stattfindet.» Um die Tatsache, dass ihr Mann seit sieben Jahren als Hausmann arbeitet, will sie kein Aufhebens machen. Diese Aufteilung habe sich einfach so ergeben und sei die beste Lösung gewesen. «Es würden sich aber gewiss auch andere Lösungen finden lassen, wenn es nötig wäre», betont sie. Ob die Kinder eine Krippe oder eine Tagesschule besuchten, sei nebensächlich – viel wichtiger sei eine intakte Beziehung in der Familie, in der über alles offen gesprochen wird und die verschiedenen Bedürfnisse berücksichtigt werden. Man dürfe sich im Leben nicht von den kleinen, letztlich unwichtigen Dingen beherrschen lassen. «Vorausdenken ja, aber dabei auch offen sein und reaktionsfähig bleiben für den Fall, dass etwas nicht ganz nach Plan läuft.»

Ruth Schmutz

absolvierte an den Universitäten Basel, Genf und Frankfurt ein Studium zur lic.phil. I. in Literatur und Linguistik (Sprachen Deutsch, Französisch und Englisch). Nach einem Hochschulabgänger-Programm in Investment und Financial Analysis beim Bankverein wurde sie Regional Head Human Resources Europe – eine Funktion, die sie sechs Jahre lang ausübte. Für Coopers & Lybrand arbeitete sie als Head Human Resources Switzerland von 1992 bis 1998, nach dem Merger zu PricewaterhouseCoopers bis 2000 als Head Human Resources Assurance Division. Dann Vitra Group: Global Head Human Resources und Mitglied der erweiterten Geschäftsleitung. Ab 2006: Leiterin Human Resources Galenica-Gruppe und seit 2008 zusätzlich Global Head HR und Mitglied der Geschäftsleitung Vifor Pharma. Ruth Schmutz ist verheiratet und Mutter zweier Töchter.

 

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