«Andere Organisationen schaffen, nicht andere Menschen»
Kooperation statt Gärtchendenken, fordert Autorin, Keynote-Speakerin und «Rebels at Work»-Gründerin Anja Förster. Sie verrät, wie das funktioniert, warum dafür manchmal auch Köpfe rollen sollten und welche Rolle HR dabei spielt.
«Menschen verhalten sich kooperativ, wenn sie den Eindruck haben, dass andere das auch tun», sagt Autorin Anja Förster. (Foto: zVg)
Je grösser ein Unternehmen, umso mehr «Gärtchendenken». Wie bringt man Mitarbeitende davon weg?
Anja Förster: Wenn man etwas ändern will, muss man beim institutionellen Rahmen beginnen und nicht bei der Pauschalaufforderung, Mitarbeitende sollten sich ändern und besser kooperieren.
Was heisst das konkret?
Menschen sind nicht blöd. Im Gegenteil: Sie verhalten sich stets systemintelligent und passen sich ihrem Umfeld und dessen Gepflogenheiten an. Deshalb ist der erste Schritt zur Kooperation nicht der ausgestreckte Zeigefinger «Du musst dich ändern und dich mehr als Teil des Teams verstehen», sondern die Frage: Welche organisatorischen Gegebenheiten, welche Strukturen und Prozesse fördern das Gärtchendenken? Welche Führungsmechanismen verhindern das Gewollte? Die beste Intention der Menschen reibt sich wund an strukturellen Gegebenheiten. Deshalb ist es ein Fehler, strukturelle Probleme auf Individuen zu übertragen. Oft wird gesagt: «Die arbeiten nicht zusammen», «Die geben ihr Wissen nicht weiter», tatsächlich verbirgt sich dahinter ein strukturelles Problem. Und genau an dieser Stelle wird es in vielen Organisationen schwierig. Die Strukturen werden an der Oberfläche verändert, darunter bleibt alles beim Alten. Wer hingegen die Organisations- und Führungsstrukturen massiv umkrempelt, muss auch sich selbst infrage zu stellen.
Was ist der Kern einer kooperativen Unternehmenskultur?
Wer die Aufforderung zur kooperativen Zusammenarbeit ernst meint, muss sich von Mitarbeitenden trennen, die sich durch ein hohes Mass an Konkurrenzdenken und aggressive Durchsetzungstechniken «auszeichnen». Diese Konsequenz fehlt jedoch in vielen Unternehmen: «Aber seine Zahlen stimmen doch … ich kann mich doch nicht von meinen besten Leuten trennen!» Diese Einwände sind verständlich. Wer Einzelleistungen braucht, muss konsequenterweise Einzelkämpferplätze schaffen und diese Mitarbeitenden aus dem Team herausnehmen. Das muss rechtzeitig geschehen, bevor Einzelkämpfer entweder den Teamgeist zerstören oder ein starkes Team sich gegen die schädlichen Einzelkämpfer wehrt und sie kaltstellt.
Wer kann mit wem kooperieren?
Kooperation steht im Zentrum eines jeden Unternehmens. Eine Organisation existiert nicht, um Individuen eine Bühne zu bieten. Unternehmen existieren, weil es Aufgaben gibt, die man nur gemeinsam erledigen kann. Somit sind Unternehmen per Definition Orte der Zusammenarbeit. Es geht also nicht um die Addition von Einzelleistungen, sondern um ein Zusammenspiel sich ergänzender Qualifikationen, Kenntnisse und Erfahrungen sowie ineinandergreifender Rollen. Eins und eins ergibt in Unternehmen dann eben nicht nur zwei, sondern drei.
Welche Rolle hat das HR in diesem Zusammenhang?
HR hat eine Schlüsselfunktion, um ein längst überfälliges Umdenken anzustossen. Beispielsweise bei Compensation and Benefits. Wenn Menschen mehr Verantwortung für das Ganze übernehme sollen, müssen wir mit der Praxis des individuellen Belohnens aufhören. Kooperation fordern und gleichzeitig Einzelleistung explizit anreizen, ist die Definition von Irrsinn. Hier müsste HR viel stärker die Hand heben.
Gibt es noch andere Bereiche, in denen HR genauer hinschauen sollte?
Der Fussballtrainer Jürgen Klopp sagte einst: «Ich würde niemals ein Arschloch verpflichten, das überragend kicken kann.» Klopp hat das Spiel verstanden als das, was es ist: ein Mannschaftsspiel. Auch erfolgreiche Unternehmen funktionieren nicht durch eine Addition der Besten, sondern durch die Verknüpfung von Talenten, Charakteren, Erfahrungen und Temperamenten. Personalverantwortliche müssen sich an die eigene Nase fassen: Was passiert im Bewerbungsprozess? Wer bekommt den Zuschlag? Steht Zusammenarbeit an erster Stelle oder ist es am Ende doch nur ein nettes Add-on? Fachliches kann man lernen, den Willen, mit anderen zusammenzuarbeiten und sich in den Dienst des Teams zu stellen, ist jedoch eine persönliche Haltung.
Welche Massnahmen fördern Kooperation innerhalb eines Unternehmens?
Menschen verhalten sich kooperativ, wenn sie den Eindruck haben, dass andere das auch tun. Das ist der grosse Vorteil kleiner Unternehmen mit eigenen Verantwortungsbereichen. Dort sind Menschen besser in der Lage, miteinander zu kooperieren. Der Grund: Sie sind sicht- und beobachtbarer, weil Mitarbeitende das Gefühl haben, es komme auf sie an.
Gibt es ein Grossunternehmen, das Sie bezüglich Kooperation beeindruckt hat?
Ich finde das Konzept der «Zwei-Pizza-Teams» bei Amazon spannend. Das ist übrigens metaphorisch zu verstehen und besagt: «Vermeide Teamgrössen, die du mit zwei Pizzas nicht mehr satt bekommst!» Deshalb gibt es bei Amazon Hunderte von «Zwei-Pizza-Teams». Jedes hat einen klaren Verantwortungsbereich, beispielsweise ein Produkt. Dafür legen die Teammitglieder eigene Businesspläne und Kennzahlen fest. So bringen sie ihre Aufgaben mit wenig Bürokratie und viel Autonomie schnell voran.
Viele Grossunternehmen sprechen von Agility, Selbstorganisation & Co.-Methoden, welche die Kooperation innerhalb des Betriebs fördern sollen. Inwiefern ist das tatsächlich so?
Es gibt in den meisten Unternehmen immer noch viele Mauern und Gräben zwischen den Abteilungen. Das versucht man mit rituellen Beschwörungen wie: «Alle sitzen in einem Boot» zusammen zu kitten. Dafür wurde einiges versucht: bereichsübergreifende Projekte, Team-Building-Events oder lange Klostertische in der Cafeteria für die abteilungsübergreifende Kommunikation. Das sind alles nett gemeinte Versuche, die aber nicht weit genug gehen. Zwei Empfehlungen: Erstens, alles was Egoismus und Rücksichtslosigkeit im Unternehmen stimuliert, gehört auf die Müllhalde. Das heisst, alle Strukturen und Instrumente, die von gemeinsamen Unternehmensinteressen ablenken. Zweitens: das Unternehmen um kundendefinierte Probleme herumbauen, für die es Kooperation braucht.
Wie könnte das konkret aussehen?
Ein cleveres Vorgehen ist das «People Movement Program» von «Hootsuite». Gemeint ist damit die Bewegung von Menschen innerhalb eines Funktionsbereichs zum anderen. Bis zum Ende eines Jahres wechseln bei «Hootsuite» rund 20 Prozent der Mitarbeitenden freiwillig ihren Arbeitsplatz. Bei 1000 Mitarbeitenden sind das also 200 Personen. Das ist ein Aufwand, der sich jedoch lohnt: Wissen wird im gesamten Unternehmen verteilt und das Wir-Gefühl wird enorm gestärkt. Zudem ist es eine Investition in die Entwicklung der Mitarbeitenden, die dadurch neue Herausforderungen annehmen und die Chance erhalten, Neues dazuzulernen.
Was braucht es, damit das funktioniert?
Mitarbeitende, die den Mumm haben, nicht an ihrem gewohnten Schreibtisch zu kleben, sondern offen für Entwicklung sind, und Chefs, die langfristig denken und sich nicht davon abhalten lassen, dass die Umsetzung Zeit und Geld kostet.
Zur Person
Anja Förster ist Autorin und gefragte Keynote-Speakerin. Sie ist ausserdem Gründerin von «Rebels at Work», einer Initiative für mutige Gestalter, die verkrustete Strukturen aufbrechen und überfällige Veränderungen in der Wirtschaft nicht mit dem Hammer, sondern dem Hirn vorantreiben. foerster-kreuz.com