«In anderen Branchen ist es nicht üblich, ohne Ausbildung zu führen»
Ärzte, die Karriere im Spital machen wollen, müssen in zunehmendem Masse Aufgaben wahrnehmen, die mit Medizin wenig zu tun haben. Neben ihrem fachlichen Wissen brauchen sie daher auch Management- und Führungskompetenzen. Die Spitäler versuchen, dies vermehrt zu vermitteln, stossen jedoch nicht überall auf Interesse.
«Management- und Führungsaufgaben nehmen parallel zur hierarchischen Stufe zu», sagt Christa Baumann, HR-Leiterin am Triemlispital in Zürich. Das bestätigt auch einer ihrer Berufskollegen, der nicht genannt werden möchte: «Reine Berufskarrieren von Ärzten findet man heute in den Spitälern kaum. Befördert werden die Ärzte oft wegen ihres fachlichen Know-hows; sie übernehmen dann aber auch eine Reihe von Führungsaufgaben, teils auch in der Spitalleitung, meist ohne Managementausbildung und -erfahrung. Das ist definitiv ein grosses Problem.»
Dennoch: «Fast jeder Arzt im Spital strebt danach, Leitender Arzt oder Chefarzt zu werden. Es ist angesehen, wenn man diese Art von Karriere macht», so der anonyme HR-Leiter. Die Ausbildung zur wirklichen Führungsperson bleibe dabei nicht selten auf der Strecke. Die meisten Ärzte würden nach der Beförderung durch «learning by doing» in ihre neuen Positionen hineinwachsen. Manchmal mehr schlecht als recht. «In anderen Branchen ist es nicht üblich, ohne Ausbildung zu führen», beklagt der HR-Leiter. Nach Ansicht von HR-Leiterin Baumann braucht es bei den Ärzten eine Bewusstseinsentwicklung, dass Führungs- und Managementfähigkeiten im beruflichen Alltag für Kaderfunktionen unabdingbar sind. «Jüngere Ärzte sind sich dessen immer mehr bewusst und auch aus Eigeninitiative bereit, sich diese Fähigkeiten anzueignen.»
Verpflichtende Weiterbildungen
Am Triemlispital werden für die obersten Managementfunktionen Führungscoachings oder individuelle Managementweiterbildungen angeboten. Auch am Berner Inselspital gibt es einen internen, interdisziplinären Nachdiplomkurs für Kaderärzte, in dem diese lernen, was es heisst, ein Spital zu managen, und wie ein grosses Klinikum überhaupt funktioniert. Der Kurs ist verpflichtend: «Wir befördern keine Ärzte mehr ohne diese Ausbildung. Aber die Ärzte haben auch ein hohes Interesse an diesen Weiterbildungen, wir haben lange Wartelisten», sagt Ursula Schaufelberger, Direktorin Personal des Inselspitals. Doch es gibt auch andere Erfahrungen: «Ich habe einmal versucht, eine Führungsausbildung auf die Beine zu stellen, bin aber auf kein Interesse gestossen», so der anonyme HR-Leiter, der jedoch versteht, dass sich die Ärzte mit ihren übervollen Terminkalendern nicht noch mehr aufbürden wollen.
Einer, der trotz Arztberufung in die Tiefen des Managements eingetaucht ist, ist Ste-fan Altermatt, Leitender Arzt am Kinderspital Zürich. Der Chirurg hat einen Executive MBA an der Berner Fachhochschule absolviert und teilt seine Zeit heute etwa je zur Hälfte zwischen seinen Patienten und seinen Managementaufgaben auf. «Ich habe damals gesehen, dass wir zu wenig Managementkompetenz im Spital hatten. Und um dem Druck von aussen nicht hilflos ausgeliefert zu sein und Gesprächen mit der Politik und der Verwaltung gewachsen zu sein, habe ich den MBA gemacht», erklärt der 52-Jährige, der seine Zusatzausbildung als absolute Bereicherung empfindet, auch wenn er dadurch weniger Zeit für die Patienten hat.
«Ganz verabschieden aus ihrem Fach können sich Ärzte nicht. Im Gegensatz zu Managementfunktionen in anderen Berufen ist es bei den Chefärzten ganz wichtig, weiterhin in den klinischen Alltag eingebunden zu sein», meint Baumann. Das spezifische Fachwissen eines Arztes müsse auch auf Stufe Chefarzt ständig aktualisiert werden, und dazu brauche es auch die Nähe zu den Patienten.
Um die Nähe zwischen Arzt und Patient zu fördern, hat der Kanton Zürich 2003 die so genannte Spitalärzteverordnung erlassen. «Damit wollte man neben der klassischen Aus- und Weiterbildungskarriere in den Spitälern eine Funktion für Ärzte schaffen, die vorab Patienten behandeln und damit eine bessere Kontinuität in der Patientenbetreuung sicherstellen», erklärt Daniel Kuster, der zu diesem Zeitpunkt in der Gesundheitsdirektion des Kantons tätig und an der Verordnung beteiligt war. Der so genannte Spitalarzt sollte zwischen Assistenz- und Oberarzt angesiedelt sein und sich bei einer Arbeitszeit von nur 45 Stunden (für andere Ärzte gelten 50, für Oberärzte zum Teil deutlich mehr) auf den medizinischen Aspekt der Spitalarbeit konzentrieren. «Mit dem Modell sollte ein Anreiz für die Spitäler geschaffen werden, solche Stellen zu schaffen. Es ist anfänglich nicht auf grosse Resonanz gestossen und beginnt sich erst langsam zu etablieren. Für manche ältere Chefärzte entspricht dieser neue Typ Arzt mit fixen Arbeitszeiten und ohne Aufstiegsambitionen jedoch nicht dem üblichen Arztbild, sondern ist ihnen eher ein Gräuel», so Kuster.
In der Tat beschäftigen weder das Triemlispital noch das Spital des anonymen HR-Leiters Spitalärzte nach diesem Modell. Zwar wäre es von Vorteil, wenn sich reine Fachärzte voll auf ihre klinische Arbeit konzentrieren könnten, so Baumann. «Die Gefahr besteht aber, dass das Fehlen des mit Führungsaufgaben verbundenen Gestaltungsspielraums mit der Zeit zu Unzufriedenheit führt.»
Chefärzte werden mehr hinterfragt
Für Stefan Altermatt ist es vor allem wichtig, dass er und seine Kollegen sich ergänzen. Dass nicht jeder eine Managementausbildung hat, findet der Chirurg nicht nachteilig: «Wir versuchen uns die Führungsaufgaben zu teilen, der eine übernimmt dann eben die Systemführung, der andere die Fachführung.» Dennoch sieht er in puncto Führung die grössten Herausforderungen für Ärzte in höheren Funktionen: «Vor 20 Jahren noch war der fachlich Beste auch der Chef. Und was der sagte, war Gesetz.» Doch dieses Modell funktioniere nicht mehr. «Heute wird von den jungen Kollegen viel mehr hinterfragt und deshalb sind Führungskompetenzen viel wichtiger als damals, als die fachliche Kompetenz noch alles andere überstrahlte.» Da heute nicht mehr jeder Chefarzt es sich leisten könne, über alle Teilgebiete des von ihm verantworteten Fachgebiets den vollen Überblick zu haben, sei man viel mehr darauf angewiesen, seine Spezialisten gut einzusetzen – und das erfordere nun einmal Führungskompetenz.
Trotz all diesen Diskussionen zweifelt Stefan Altermatt nicht an seiner Berufung: «Ich bin auf alle Fälle mehr Arzt als Manager, ein managender Arzt eben.»