HR Today Nr. 3/2018: Debatte

Assessments abschaffen?

Assessment Center seien subjektiv und teuer, meint Unternehmensberaterin Ruth Blunier. Stattdessen plädiert sie für eine Kombination validierter Persönlichkeitsanalysen und Online-Assessments. Lisa Di Secli, Geschäfts­leitungsassistentin bei der Clickjob Meyer AG hingegen hält an der Aussagekraft von Assessments fest.

Ruth Blunier: «Die Beurteilung eines Kandidaten durch einen Beobachter ist immer subjektiv und fehleranfällig.»

Durch meine Arbeit in kleinen und mittleren KMU stehe ich Assessments kritisch gegenüber: Trotz Schulung erliegen Beobachter vielfach dem «Impressions-Management» eines Kandidaten. Insbesondere, wenn die Führungskraft schon mehrere Assessments durchlaufen hat. Die Beurteilung eines Kandidaten durch einen Beobachter ist zudem immer subjektiv und fehleranfällig. Einige Beispiele hierfür sind die selektive Wahrnehmung, Sympathie oder Antipathie, der Halo-Effekt oder Vorurteile des Beobachters.

Daneben sind die Aufgaben in einem Assessment gestellte und fiktive Situationen, die eingeübt werden können. Treten ausserdem mehrere Kandidaten in einem Gruppenassessment gegeneinander an, fördert dies den Konkurrenz- und Machtkampf unter den Kandidaten, was dem Sinn eines Assessments widerspricht. Ob Einzel- oder Gruppenassessment: Für die Firmen entstehen durch den personellen und zeitlichen Aufwand entsprechend hohe Kosten. Die Aussagekraft eines Assessment Centers ist im Verhältnis zu den eingesetzten Ressourcen jedoch eher bescheiden.

Stattdessen sind (nebst dem strukturierten Interview sowie den Daten und Fakten aus Zeugnissen und Diplomen) die Ergebnisse aus Persönlichkeitsanalysen eine zentrale Komponente, um eine grösstmögliche Passung der Kandidaten mit dem Unternehmen zu erzielen. Sie reduzieren das Risiko des Bauchgefühls. Zudem sind die Kosten dieser Diagnostiktools bedeutend tiefer als die Kosten einer Falschanstellung.

Mit einem ganzheitlichen Online-Assessment werden zudem mehrere wissenschaftlich validierte Tools mit hoher Vorhersagegültigkeit eingesetzt, welche die Persönlichkeitsmerkmale eines Kandidaten objektiv und neutral analysieren sowie die Sicht des Kandidaten zeigen: Dessen Handlungskompetenz, Verhaltenspräferenzen, Führungskompetenz, Motive und Werte, Verkaufsstrategie-Indikatoren, Denk-, Arbeits- und Beziehungsstil sowie dessen Balance zwischen Arbeit und seinem privaten sowie sozialen Umfeld. Die Ergebnisse validierter Persönlichkeitsanalysen ermitteln starke Tendenzen eines Kandidaten. Die Interpretation dieser Analysen durch eine Fachperson sowie der Abgleich mit dem detaillierten Anforderungsprofil erleichtern den Personalentscheid und geben einem Unternehmen die Sicherheit, die richtige Person für die vakante Position einzustellen. Zudem können diese Instrumente für die Personalentwicklung des neuen Mitarbeitenden und dessen Team eingesetzt werden.

Anstelle eines Gruppen-Assessments empfiehlt es sich, ein Planspiel mit Einbezug des zukünftigen Teams oder der Bereichs- respektive Abteilungsleitenden durchzuführen. Damit erzielen Unternehmen gute Ergebnisse zur Teampassung der neuen Person. Zeitgleich kann mit der Stellenbesetzung der Changeprozess eingeleitet und die Teamentwicklung gefördert werden.

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Lisa Di Secli: «Assessment Center gewährleisten, dass die Kandidatenauswahl so objektiv wie möglich erfolgt.»

Bei Kaderneubesetzungen ist die zukünftige Mitarbeiterzufriedenheit ein wichtiger Erfolgsfaktor. Denn wenn gute Mitarbeiter nach der Neubesetzung einer Führungsposition das Unternehmen reihenweise verlassen, bedeutet dies ein immenser Verlust an Know-how und verursacht zusätzliche Kosten bei der Einstellung neuer Mitarbeitender.

Assessment Center gewährleisten, dass eine Kandidatenauswahl so objektiv wie möglich erfolgt. So sind in einem Assessment Center immer mehrere Assessoren involviert. Damit erfolgen die Entscheide nicht aufgrund persönlich geprägter Bauchgefühle. Auch werden im Assessment Center verschiedene Qualifikationsverfahren in unterschiedlichen Testbereichen angewendet, die eine breite Aussagekraft der Ergebnisse ermöglichen. Es geht dabei nicht nur darum, potenzielle Mitarbeitende auf ihre aktuellen Kompetenzen zu testen, sondern eine Prognose zu liefern, wie sie sich in der zukünftigen Stelle bewähren werden. Beispielsweise bei Hochschulabsolventen mit wenig Praxiserfahrung.

Will ein Grossunternehmen Stellen mit Hochschulabsolventen besetzen, lohnt es sich gegebenenfalls, ein Assessment Center durchzuführen, weil Master- und Bachelorzeugnisse nur wenig darüber aussagen, ob ein Bewerber geeignet ist, erfolgreich in der besagten Firma zu arbeiten.

Wahrscheinlich werden im Vorfeld ohnehin nur Kandidaten mit Bestnoten eingeladen. Wie aber soll man bei zehn hochqualifizierten Hochschulabsolventen auf objektive Weise herausfinden, wer auf fachlicher und persönlicher Ebene der Geeignetste ist?

Im klassischen Vorstellungsgespräch wird aufgrund der Aussagen des Bewerbenden eine Einschätzung über dessen Qualifikation vorgenommen. Diese Aussagen sind jedoch meis­tens nicht einfach nachprüfbar. Die Einschätzung wird zudem in der Regel mitunter auch durch die Persönlichkeit des «Interviewers» stark beeinflusst.

Das Assessment Center simuliert hingegen nach definierten Kriterien und Testverfahren praktische Situationen und gibt darüber Auskunft, welche Berufseinsteiger sich in der Praxis bewähren und Aufgaben am effizientesten lösen werden. Ausserdem kann der Aufgabenbereich aufgrund der Assessment-Informationen auf den Kandidaten angepasst werden, um das Beste aus seinen Kompetenzen herauszuholen.

Ich teile die Meinung, dass Assessments teuer sind. Trotzdem lohnt es sich, die Kosten eines Assessment Centers für die Besetzung von Top-Kader-Positionen in Kauf zu nehmen. Dies, um eine möglichst aussagekräftige und realitätsnahe Auswertung zu erhalten und die Stelle nachhaltig zu besetzen.

Eine Fehlbesetzung kommt ein Unternehmen am Ende viel teurer zu stehen als ein Assessment Center.

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Ruth Blunier hat an der FHNW Angewandte Psychologie studiert. Mit ihrer apropos büro GmbH bietet sie Beratung in der Entwicklung und Förderung von Menschen im Arbeitsprozess, BGM und Workspace-Optimierung sowie Prozessbegleitung bei Unternehmensnachfolgen.

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Lisa Di Secli ist Assis­tentin der Geschäftsleitung bei der Clickjob Meyer AG. Die Firma ist spezialisiert auf die Rekrutierung von Fach- und Führungskräften mit Schwerpunkt im Bereich Medizin und Gesundheitswesen.

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