Prüfen und binden

Assessments: Persönlichkeitsprüfer auf dem Prüfstand

Assessments polarisieren. Für die einen sind sie das Nonplusultra der Personalauslese, für andere eine längst überholte Überwachungsmethode à la Big Brother. Sinnvoll eingesetzt, unterstützen Assessments eine gezielte Personalentwicklung und dienen als Diagnoseinstrument für die Potenzialanalyse.

Es ist 16.48 Uhr. Petra Müller hat noch genau 12 Minuten Zeit, um einem langjährigen Teamleiter zu erklären, dass eine Beförderung nicht in Frage kommt, obwohl ihm dies so versprochen worden war. Die Geschäftsleitung hat sich für einen anderen Kandidaten entschieden. Wie wird Petra Müller ihre Worte wählen? Verfügt sie wirklich über die Führungsqualitäten, die es für diese heikle Aufgabe braucht?

So oder ähnlich präsentiert sich eine klassische Übung im Rahmen eines Assessment Centers (AC). In diesem werden unter dem wachsamen Auge von mehreren geschulten Beobachtern eine Anzahl von Bewerbern in unterschiedlichen Übungen hinsichtlich vorab definierter Verhaltenskriterien beobachtet, beschrieben und bewertet. Aber auch in Einzel-assessments kann eine solche Übung zum Einsatz kommen.

Wachsende Popularität

Neu sind Assessments nicht. Bereits 1926 setzte die deutsche Reichswehr bei ihrer Offiziersauswahl auf Vorläufer der heutigen AC. In den 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts hielten AC dann Einzug in die Unternehmenswelt, zuerst im angelsächsischen Raum, dann in Europa. Und auch im 21. Jahrhundert hat die Methode nicht an Popularität eingebüsst. Im Gegenteil: Eine 2007 publizierte Studie über den Einsatz psychologischer Personalauswahlverfahren in deutschen Unternehmen zeigte eine signifikante Zunahme von AC. Waren es 1993 noch 39 Prozent der befragten Firmen, die Mitarbeitende mittels AC auswählten, sind es heute knapp 58 Prozent. Auch hierzulande gehört das Instrument zum festen Bestandteil des HR-Managements, vor allem bei den Grossbanken, aber auch bei ABB, Post oder Swisscom.

Mit der Beliebtheit geht aber auch die Gefahr einher, dass Assessments unseriös und unreflektiert verwendet werden. Da die Begriffe Assessment und Assessment Center nicht geschützt sind und die Auftraggeber diese Methode oft nicht aus eigener Erfahrung kennen, können sich diverse Schnellbleiche-Verfahren hartnäckig auf dem Markt halten. «Vorsicht ist vor allem bei verkürzten Varianten, die entsprechend kostengünstiger zu haben sind, geboten», sagt Hubert Annen, Präsident des 2006 gegründeten Arbeitskreis Assessment Center Schweiz (AKAC). Bei Assessments, die wie Computerspiele daherkommen, oder bei irgendeinem x-beliebigen Psychotest-Fragebogen ist ebenfalls Vorsicht geboten. Hier gilt es nachzufragen, welche Informationen damit erhoben werden und wie der Bezug zur Unternehmensrealität hergestellt wird.

Online-Assessments sind 
nur bedingt brauchbar

Da es für Unternehmen schwierig ist, die Qualität eines Anbieters abzuschätzen, hat der AKAC Qualitätsstandards definiert, die mithelfen sollen, schwarze Schafe zu erkennen (siehe S. 38). Bevor sich ein Unternehmen für einen externen Assessment-Anbieter entscheidet, sollten gemäss Hubert Annen zwingend Referenzen eingeholt werden. «Zudem kann der Anbieter gefragt werden, ob er unsere Standards kennt.» Der Fachmann rät, auch darauf zu achten, ob der Anbieter gewillt ist, auf die konkrete Situation des Unternehmens und auf die spezifischen Anforderungen an das gesuchte Jobprofil einzugehen. «Seriöse Anbieter stützen ihre Assessments immer auf ein differenziertes Anforderungsprofil ab, führen es mit mindestens zwei geschulten Assessoren durch und verfügen über einen Methodenmix.»

Assessments von der Stange sind also fragwürdig und bringen wenig bis gar nichts. Dasselbe gilt für Online-Assessments: «Für eine Grobauswahl von Dossiers mögen diese Verfahren genügen, doch als seriöser Eignungstest im Hinblick auf relevante Persönlichkeitsmerkmale und das soziale Verhalten sind sie nur bedingt brauchbar.»

Pro und Contra Assessment Center

Pro:

  • 
Bestimmte Erfolgsmerkmale einer Position können durch gezielt nachgestellte Situationen getestet werden.
  • 
Repräsentative Stichprobe der späteren Arbeitstätigkeit.
  • 
Erforderliche Qualifikationen werden unter Stress und Zeitdruck getestet – Simulation der Arbeitsrealität.
  • 
Mehrere Kandidaten werden vergleichbar gemacht. Antipathien und Sympathien treten durch die zahlreichen Beobachter zurück. Objektive Beurteilung durch einen festgelegten Anforderungskatalog.
  • 
Viele Fähigkeiten können innerhalb kurzer Zeit getestet werden. Aufgaben geben über mehrere Qualifikationen Auskunft.

Contra:

  • Kriterien für den Berufserfolg sind überhaupt nicht genau zu definieren und nicht durch Tests zu überprüfen.
  • 
Bewerber können «gute Miene zum bösen Spiel» machen und schauspielern. Die wahre Persönlichkeit bleibt verborgen.
  • 
Übungen haben oft nichts mit dem angestrebten Beruf zu tun. In der Realität gibt es Erholungsphasen, beim AC steht man permanent unter Beobachtung.
  • 
Individualität kann niemals 100-prozentig ausgeschlossen werden.
  • 
Methode ist unflexibel. Es können nicht spontan Bewerber eingeladen werden.
  • Das Verfahren ist teuer und aufwändig.

Gewaltentrennung bei der Suche 
und Beurteilung von Kandidaten

Die Qualitätsnormen werden auch von Unternehmen, die Assessments anbieten, geschätzt. «Nicht nur gegenüber unseren Kunden war es wichtig, Qualitätsnormen aufzustellen und präsentieren zu können. Sicherheit sollen die Standards auch den Kandidierenden geben. Diese haben nämlich ein Recht darauf, von qualifizierten und erfahrenen Personen beurteilt zu werden», konstatiert Daniel Fahrni, Mitgründer und Managing Partner der auf Assessments spezialisierten Cedac AG. Das Unternehmen ist Gründungsmitglied des AKAC Schweiz und seit zehn Jahren im Bereich Assessments tätig. Fahrni ortet in seiner Branche viele Anbieter, denen die nötige Professionalität und Fachkompetenz abgeht. Wichtig sei es, so Fahrni, dass die Assessoren eine profunde Ausbildung zum Beispiel im Bereich Arbeits- und  Organisationspsychologie hätten bzw. über längere Führungserfahrung verfügten. «Die Kunden sind heute kritischer und fachlich besser ausgebildet als früher. Sie möchten von uns viel mehr über die Testverfahren und Prozesse sowie über unsere Mitarbeitenden wissen.»

Neben den Standards des AKAC existiert seit 2002 auch noch die DIN-Norm 33430 (Kasten). Diese garantiert ebenfalls, dass die angebotenen Assessments höchsten Anforderungskriterien entsprechen.

Konsequenterweise sollte neben dem Beurteilen von Kandidierenden auch der vorangehende externe Searchprozess professionell durchgeführt werden. «Erfolgen beide Dienstleistungen durch ein und dieselbe Firma», so Daniel Fahrni, «können rasch Interessenkonflikte entstehen.» Es sollte deshalb bei der Suche und Beurteilung von Kandidaten Gewaltentrennung gelten.

Ein fundiertes Assessment ist aufwändig und kostspielig. Welchen Mehrwert bringt es denn einem Unternehmen? «Sinnvoll eingesetzt unterstützen Assessments eine gezielte Personalentwicklung und dienen als Diagnoseinstrument für die Potenzialanalyse», umschreibt Martin Kleinmann, Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Zürich, die Vorteile. Gemäss Kleinmann sind die Vorhersagen eines Assessments im Vergleich zu unstrukturierten Interviews oder graphologischen und physiognomischen Methoden sehr gut.

«Gruppen-Assessment-Centers sind aber für die interne Personalauswahl ungeeignet», betont der Professor. Zu viele Verlierer resultierten daraus und das wiederum führe zur inneren Kündigung. Weiter rät er auch davon ab, Assessments für die Beurteilung von fachlichen Kompetenzen zu verwenden. «Heikel sind zudem die in globalen Konzernen immer öfter verwendeten internationalen Assessments in Englisch.» Assessments sollten in der Muttersprache eines Kandidaten durchgeführt werden, damit Verhaltenskompetenzen nicht durch mangelnde Sprachkenntnisse reduziert werden. Und ganz wichtig: Assessments müssen immer als Mosaikstein in der Entscheidungsfindung verstanden werden. Sie können keine Menschen durchleuchten und sie sollen auch keine privaten Geheimnisse ergründen.

Vergleich zwischen Einzel- und Gruppenassessment

Das Einzelassessment besteht aus einem Teilnehmer und einem bis mehreren professionellen Assessoren. Normalerweise wird mit Einzelübungen gearbeitet und es werden psychologische Tests sowie Verhaltensbeobachtungen durchgeführt.

Der Ablauf ist immer in etwa gleich:

  • Strukturiertes biografisches Interview
  • Leistungs- und Persönlichkeitstest
  • 
Simulierte Führungs- oder Verkaufsgespräche
  • Computersimulation
  • Fallstudien
  • Präsentation
  • Testinterpretation
  • Berichterstattung
  • Feedbackgespräch mit Assessor

Das Gruppenassessment besteht meistens aus fünf bis acht Teilnehmenden. Zudem sind Führungskräfte des durchführenden Unternehmens als Beobachter anwesend. Das Gruppenassessment wird stets durch einen professionellen Moderator begleitet, im Vordergrund stehen Verhaltensbeobachtungen. Es werden mehrere Gruppenübungen durchgeführt.

Der Ablauf ist immer in etwa gleich:

  • Gruppendiskussionen
  • 
Simulierte Führungs- und/oder 
Verkaufsgespräche
  • Präsentationen
  • Fallstudien
  • 
Beobachtungskonferenz, um die 
Beobachtungen abzugleichen
  • Berichterstattung
  • 
Feedbackgespräch mit Beobachtern 


Die Standards der Assessment-Center-Technik

Der 2006 gegründete Arbeitskreis Assessment Center (AKAC) Schweiz hat, basierend auf den bereits früher festgelegte Standards des AKAC Deutschland, die folgenden Standards für die aussagekräftige und seriöse Anwendung der Assessment-Center-Methode definiert:

  1. 
Vor der Entwicklung und Durchführung eines AC sind Ziele und Rahmenbedingungen des Auftrages sowie die Konsequenzen für die Teilnehmenden verbindlich zu klären und zu kommunizieren.
  2. 
Eine Eignungsbeurteilung lässt sich nur mit einer exakten Analyse der konkreten Anforderungen sinnvoll gestalten.
  3. 
Ein Assessment Center besteht aus Arbeitssimulationen.
  4. 
Grundlage für die Eignungsdiagnose ist eine systematische Verhaltensbeobachtung.
  5. 
Gut vorbereitete Beobachter, die das Unternehmen angemessen repräsentieren, sind am besten geeignet, fundierte und treffsichere Entscheidungen zu treffen.
  6. 
Systematische Vorauswahl und offene Vorinformation sind die Grundlage für den wirtschaftlichen und persönlichen Erfolg im AC.
  7. 
Eine gute Planung und Moderation des AC gewährleisten einen transparenten und zielführenden Ablauf des Verfahrens.
  8. 
Jeder AC-Teilnehmer hat das Recht auf individuelles Feedback, um das Ergebnis nachvollziehen und daraus lernen zu können. Nach dem AC sind konkrete Folgemassnahmen abzuleiten und umzusetzen.
  9. 
Regelmässige Güteprüfungen und Qualitätskontrollen stellen sicher, dass die mit dem AC angestrebten Ziele auch nachhaltig erreicht werden.

Vollständige Fassung unter www.akac.ch.

DIN-Norm für Assessments

2002 wurde die DIN 33430 veröffentlicht. Diese deutsche Norm formuliert «Anforderungen an Verfahren und deren Einsatz bei berufsbezogenen Eignungsbeurteilungen». Gegenstand ist der gesamte Prozess der Eignungsbeurteilung, der als Einheit angesehen wird. Die DIN 33430 bezieht sich auf die

  • 
Planung von berufsbezogenen Eignungsbeurteilungen,
  • 
Auswahl, Zusammenstellung, Durchführung und Auswertung von Verfahren,
  • 
Interpretation der Verfahrensergebnisse und Urteilsbildung.

Zudem formuliert die DIN 33430 Anforderungen an die Qualifikation der an einer solchen Eignungsbeurteilung beteiligten Personen.

Durch die in der Norm enthaltenen Festlegungen und Leitsätze ergeben sich ausserdem indirekt Hinweise für die sach- und fachgerechte Entwicklung von Verfahren. Unter Verfahren versteht die DIN 33430 «praxiserprobte und wissenschaftlich abgesicherte Erkenntnismittel, die in standardisierter Weise zur Eignungsbeurteilung eingesetzt werden», und nennt insbesondere Eignungsinterviews, biografische Fragebogen, berufsbezogene Persönlichkeitsfragebogen, Assessment Center, Arbeitsproben sowie Tests.

Die Norm definiert zudem, welche Kenntnisse und Erfahrungen für die Durchführung von Verfahren zur berufsbezogenen Eignungsbeurteilung notwendig sind. Auf der Basis dieser Definitionen werden auch Fortbildungen und Lizenzprüfungen angeboten. Durch eine gebührenpflichtige schriftliche Prüfung kann eine Personenlizenz für die berufsbezogene Eignungsbeurteilung nach DIN 33430 erworben werden. Die Gültigkeit der Lizenzen ist auf fünf Jahre befristet, die lizenzierten Personen werden in einem Register geführt. Die Zulassung zur Lizenzprüfung ist nicht an bestimmte Ausbildungsabschlüsse gebunden, der vorherige Besuch von Fortbildungsveranstaltungen ist nicht vorgeschrieben.

  • Kleinmann Martin: «Assessment Center», Hogrefe, Göttingen.
  • Obermann Christof: «Assessment Center – Entwicklung, Durchführung, Trends», Gabler, Wiesbaden.
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Sandra Escher Clauss ist freie Journalistin.

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