In der Schweiz gibt es rund eine Million Menschen in Chefpositionen. Nur wenige haben eine Führungsausbildung. Die meisten sind über Learning by Doing in Leaderfunktionen aufgestiegen. Heinz Eberhard, Verwaltungsratspräsident des gleichnamigen Bauriesen, ist einer von ihnen.
Heinz Eberhard (Bild: Johanna Bossart)
«Einsatz, Fleiss, Vorbild, konstruktiv-kritisch mit sich und seiner Umgebung sein und mit seinen Angestellten einen offenen, menschlichen Umgang pflegen.» So umschreibt Heinz Eberhard jene Eigenschaften, die eine gute Führungsperson ausweisen muss. «Natürlich gehört auch der Wille dazu, Verantwortung und Führung ausüben zu wollen. Diese Grundvoraussetzung kann man nur begrenzt unterrichten und lernen, man muss sie als Charaktereigenschaft von Haus aus mitbringen.» Führen und Leiten sei schliesslich zu grossen Teilen Begabung. Solche könne man verfeinern, schärfen, methodisch weiterentwickeln. Aber: Wo die Grundtalente für Führung fehlten, nütze auch die beste Aus- und Weiterbildung nichts. Leadership könne man nicht lernen wie Buchhaltung oder eine Fremdsprache, sagt Eberhard. Nicht Unis und Titel machten gute Vorgesetzte, sondern Talent und Erfahrung.
Eberhard umschreibt bei seiner «Ode an den Vorgesetzten» freilich ein wenig seinen eigenen Werdegang. Wohlklingende Titel, Abschlüsse von Kaderschmieden oder Elitebildungsstätten erwähnt der 55-Jährige dabei nicht. Das habe aber nichts damit zu tun, dass er selbst eben keine Diplome in schönen Rahmen im Büro aufgehängt habe, scherzt er. «Entscheidend ist, was man lebt und was man macht, nicht welches Dokument an der Wand hängt.»
Die Grundeigenschaften und das praxisnahe Rüstzeug, welches er zur Führung der Unternehmung brauche, habe er sich «ganz klassisch» erworben. «Von meinem Vater, aus dem Elternhaus. Ich bin mit meinen Geschwistern förmlich im Betrieb aufgewachsen, habe mir bei meinen Eltern vieles abgeschaut, war später in der Handelsschule und habe mich dann gezielt in Finanzbelangen und Führung weitergebildet. Ein klingender Leadership-Lehrgang war allerdings nicht dabei.» Im Berufsalltag habe ihm Letzteres bisher noch nicht gefehlt. Weder in der operativen noch in der strategisch-politischen Führung des Firmenkonglomerats. «Wenn der Bedarf nach Wissen da ist, kann man es sich in unserem Land jederzeit gezielt aneignen oder man kann solches Wissen wenn nötig auch abrufen, von Dritten. Chefs müssen selbst nicht über ein Universalwissen verfügen. Man muss allerdings offen für Veränderungen und Entwicklungen bleiben und darf sich solchen nicht grundsätzlich verschliessen, nur weil man sie aus seinem Alltag nicht kennt oder weil man sie ursprünglich anders erlernt oder erlebt hat. Das wäre fatal.»
Er sei nicht gegen eine fundierte Aus- und Weiterbildung – ganz besonders für Kader. «Grundsätzlich ist es richtig und wichtig, dass man sich dauernd und nachhaltig Wissen erschliesst, welches zur Führung von Menschen und Unternehmen befähigt. Ich selbst habe das auch getan. Sehr zielorientiert und immer sehr praxisnah. Entscheidend ist meiner Ansicht nach also, wie und wo man sich bildet und weiterbildet.»
ist aufgewachsen in Hör- und Sichtweite des Flughafens in Kloten. Er leitet zusammen mit drei Brüdern die Eberhard Unternehmungen. Ein landesweit operierendes Firmenkonglomerat, tätig in allen Bereichen des Bauwesens und in der damit verbundenen Entsorgung und Rückgewinnung von Wertstoffen. Das Unternehmen beschäftigt zurzeit 450 Angestellte. Eng verbunden ist die Firma unter anderem mit dem Flughafen, bei dessen Aus- und Umbauten sie entscheidend mitgewirkt hat, insbesondere beim Bau und bei der Sanierung von Rollwegen und Start- und Landebahnen. Eberhard fungiert als Verwaltungsratspräsident der Familienunternehmung. Er ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder. Seit diesem Jahr sitzt er der Arbeitgebervereinigung des Zürcher Unterlands (AZU) als Präsident vor. Sozial engagiert sich Eberhard im Rotary Club des Glatttals, dem er während eines Jahres auch vorstand.
Ob die allenthalben gepriesenen Hoch- und Fachschulen dafür die richtige Adresse sind, bezweifelt Eberhard und untermauert seine These mit einem ersten Beispiel. «Meine Söhne studieren an einer Fachhochschule Ingenieurwesen. Im Verlauf ihrer Karriere könnten sie mit dieser Ausbildung führende Rollen in Unternehmen der Bauwirtschaft übernehmen. Die Bildungsstätte nimmt aber auf diesen sehr wahrscheinlichen Verlauf ihrer Karriere keine Rücksicht. Statt ihnen Führungslehre näherzubringen, dürfen sie Mathe büffeln. Wie praxisnah ist das?» Führungs- talente blieben so unentdeckt und würden nicht weitergeschärft. Der Titel, mit welchem abgeschlossen werde, blende also ein wenig. «Wenn jemand Professor werden möchte, dann ist eine sehr akademische Ausbildung fraglos zielführend – wenn jemand draussen an der Front arbeiten und dabei Menschen richtig und gut führen soll, dann nützt das leider gar nichts.»
Kaderweiterbildungsinstitute seien sicher zielführender. Setze aber die Wirtschaft vermehrt, wie wohl aus dem angelsächsischen Raum übernommen, auf Titel und Abschlüsse im Curriculum Vitae bei der Einstellung von Nachwuchskadern, so greife diese Praxis zu kurz. «Die beste Führungsschulung nützt nichts, wenn der Ausgebildete nicht die nötigen Grundeigenschaften und Charakterzüge für echtes Leadership mitbringt. Sein Wissen wird immer theoretischer Natur bleiben und genauso wird er in entscheidenden Situationen handeln: wie ein Theoretiker, schlimms-tenfalls ohne die Leadern eigene Intuition.»
Mit seinem zweiten Beispiel zur Stützung seiner These widerspricht Eberhard der Schweizerischen Vereinigung für Führungsausbildung (siehe Kasten). Danach können Vorgesetzte ohne das nötige schulisch-akademische Rüstzeug sich selbst, der Firma und der gesamten Wirtschaft schaden. «Ich denke, dass die jüngste Wirtschaftsgeschichte, ganz besonders in unserem Land, genau dies nicht bestätigt. Nicht praxisgeschulte und sporadisch gezielt weitergebildete Chefs haben immense Schäden angerichtet, sondern akademisch bestens auf höchste Führungsrollen vorbereitete Menschen.» Ohne sie namentlich zu nennen, ist klar, dass Eberhard vor allem Banken- und als Klotener auch «grandios gescheiterte» Airline-Manager mit seiner Kritik anspricht. «Umgekehrt verblüffen Leader, die das Führungshandwerk als «Ochsentour» durch die Instanzen ganzer Branchen oder Firmen lernen mussten, durch Leistung und Erfolge. Und dies ganz ohne wohlklingende Titel.» Das Zürcher Unterland, wo er seit diesem Jahr auch als Präsident der Arbeitgebervereinigung amtet, biete zahlreiche Belege für seine Ansicht, und das quer durch alle Branchen.
Dass es natürlich gewisse Risiken berge, Nachwuchskräften ohne Führungserfahrung und entsprechende Weiterbildung Verantwortung zu übertragen, liege in der Natur der Sache. «Müssen solche Nachwuchskräfte deshalb zwingend versagen? Sicher nicht und in den meisten Fällen tun sie es auch nicht, wie die Praxis zeigt. Wenn die Talente und Fähigkeiten gegeben sind, lernt man on the Job schliesslich den Rest.» Wer begeistern könne, seine Angestellten motiviere und animiere, delegiere und loslasse, die richtigen Leute um sich schare, der habe eine grosse Chance, auch als unerfahrener Vorgesetzter ein toller Chef zu werden.
Die Mehrheit der in der Schweiz tätigen Firmen, nämlich kleine und mittlere Unternehmen – kurz KMU, könnten gar nicht anders operieren, als dauernd jungen Menschen Karrierestarts zu ermöglichen. Die Eberhard Unternehmungen seien da nicht ausgenommen. Man gebe dem Nachwuchs eine Chance, auch in Sachen Führungsposten. Auf die Nase könne man immer fallen, sagt Eberhard. «Ich schätze, dass sich zehn Prozent der Rekrutierungen bei uns nicht bewähren.» Wichtig sei dann – und das gebe er den Chefs der Chefs mit –, rasch zu handeln und so den Kardinalsfehler der Leader zu verhindern, das Zaudern und Abwarten. «Solche Situationen muss man sofort bereinigen, meist durch Trennung, abwarten nützt nichts», so seine Erfahrung.
Der Personalbedarf an Führungsnachwuchs sei gross, so auch in seinem Unternehmen. Bei der Rekrutierung setzen sie auf fachlich einwandfreie Qualifikation der Bewerber und zu grossen Teilen auf den richtigen «Riecher». Führungsausbildung spielt nicht die alleinige Rolle – auch bei angehenden Chefs. Freilich müsse man unterscheiden, welche Führungsrollen man den Neulingen zudenke.
Wer Menschen führen wolle, der komme um die klassische Führungskarriere, also das Hochdienen, nicht herum, sagt Eberhard. Selbstredend müsse man weitere Karriereschritte, etwa die strategische Führung, mit entsprechender Weiterbildung sekundieren. Aber: «Die besten Führungskräfte kommen von der Basis, haben sich hochgearbeitet, haben sich auf diese Weise bewährt, kennen die Branche, das Fach, den Betrieb und die Gesetzmässigkeiten. Das, zusammen mit den nötigen Charaktereigenschaften und wo nötig gezielter Weiterbildung, macht sie zu fähigen Leadern!»
Nur wenige der über ein Million Arbeitnehmer mit Führungsaufgaben sind als solche ausgebildet worden. In vielen Köpfen habe sich zudem der Glaube festgesetzt, schreibt die Schweizerische Vereinigung für Führungsausbildung (SVF), dass Führen nicht lernbar ist. Obwohl die Wissenschaft unterdessen das Gegenteil bewiesen habe. Zu dieser Grundhaltung vieler Vorgesetzter geselle sich zudem die Vorstellung, dass Führen etwas sei, das man «halt einfach lernt, beim Job eben». Das fehlende schulische Rüstzeug, warnt die SVF, könne allerdings sehr rasch und nachhaltig zu Frust und Überforderung im Arbeitsalltag schlecht oder gar nicht weitergebildeter Chefs führen.
Führen könne in allen Branchen und auf unterschiedlichen Stufen zur Aufgabe werden. Die Anforderungen würden mit steigender Kaderstufe zunehmen, so die SVF weiter. Für viele Arbeitnehmer werde Führen – fast unmerklich über Jahre – zum eigentlichen Beruf. Die SVF untermauert ihre Ansichten mit einer landläufig bekannten Weisheit. Jedem sei klar: Wer keine Ahnung von Geld hat, sollte keine Bank leiten. Oder: Wer keine Ahnung von Gastronomie hat, sollte die Finger vom Wirte-Job lassen. Nur: Beides sollte ebenso wenig verrichtet werden von einer Person, die keine Ahnung vom Führen hat. Laut SVF sollten Leader also nicht ohne das nötige schulische Rüstzeug auf Mensch und Kapital losgelassen werden.
Die Schweizerische Vereinigung für Führungsausbildung setzt sich dafür ein, diese Botschaft zu verankern und klarzumachen, dass Führen ein Handwerk ist, das man sich aneignen kann: «Chefin- oder Chef-Sein ist lernbar» – seit über zwölf Jahren engagiert sie sich für zeitgemässe Ausbildungen im Kaderbereich und bietet Führungsausbildungen auf unterschiedlichen Kaderstufen an – neu auch mit einem eidgenössischen Diplom. sr