Auf der Suche nach der Zauberformel für den optimalen Lernerfolg
Wir lernen nicht nur, wenn wir die Schulbank drücken, sondern jeweils auch ausserhalb. Informelles Lernen oder Learning by Doing heisst das – und es wird im Rahmen von Weiterbildungen immer wichtiger. Dabei ist die Art und Weise, wie das Wissen präsentiert wird, für den Lernerfolg wenig ausschlaggebend. Ein Forschungsergebnis mit spannenden Folgen.
(Fotomontage: Ulrike Kobelius)
Der Begriff des Lernens wird in vielen unterschiedlichen Bedeutungen gebraucht. Zum Beispiel wird von Lernen gesprochen, wenn es um den Erwerb motorischer Kompetenzen wie der Fähigkeit zum Fahrradfahren geht. Und auch dem Erwerb der Muttersprache liegen Lernprozesse zugrunde. In der Aus- und Weiterbildung geht es vorwiegend um das verstehende Lernen, das zum Ziel hat, intelligentes Wissen in Schule, Studium oder anderen Bildungsinstituten zu erwerben, das jederzeit für Problemlösungen abrufbar ist. Verstehendes Lernen besteht darin, Begriffswissen umzustrukturieren. Das heisst, man kann das Gelernte auf verschiedene Situationen übertragen und damit das Wissen in der Praxis flexibel einsetzen.
Wie viel jemand lernen und letztlich leisten kann, hängt nicht nur von der Intelligenz ab. Zwar ist Intelligenz einer der besten Prädiktoren für Leistungsunterschiede, aber Wissen ist laut Dr. Ralph Schumacher, Kogni tionswissenschaftler an der ETH Zürich, ein noch besserer Prädiktor für Leistungsunterschiede. In vielen Bereichen mit mittleren Anforderungsniveaus wie dem Wissen über Sport oder Schach könnten Menschen eine geringere Intelligenz durchaus mit mehr Wissen kompensieren. «Das zeigt, dass die Leistung nicht nur von der Intelligenz abhängt, die uns als eine eher feste Grösse mitgegeben wird, sondern auch davon, wie viel Energie und Zeit in den Aufbau intelligent organisierten Wissens investiert wird.» Es gehe also darum, Wissen anhand von problemlösungs- relevanten Kriterien so zu organisieren, dass man es flexibel abrufen und auch auf solche Fälle anwenden kann, die sich oberflächlich voneinander unterscheiden.
«Nicht in der Schule lernst du, sondern vom Leben»
«Nicht für die Schule, für das Leben lernst du.» Wer kann sich nicht an so manchen Spruch der Eltern erinnern, die versuchen, ihren Sprössling zum Lernen zu bewegen. Dass es keine leere Phrase ist, merken wir dann später, wenn wir unser erworbenes Wissen im Berufsalltag anwenden müssen. Dieses haben wir in der Regel auf formalem Wege erworben. Heute allerdings wäre der Spruch noch zu ergänzen: «Nicht in der Schule lernst du, sondern vom Leben.» Informelles Lernen macht fast 90 Prozent unseres Wissenserwerbs aus, sagen Experten auf ihrer Website «Informelles Lernen». Die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verwischen. Wir lernen eigentlich permanent. In der Familie, in der Freizeit, am Arbeitsplatz von Kollegen. John Dewey, amerikanischer Philosoph und Pädagoge, beschrieb es mit dem pädagogischen Ansatz Learning by Doing, der mittlerweile zu einem festen Begriff wurde. Das informelle Lernen spielt heute in der beruflichen Weiterbildung eine grosse Rolle, weil es das Lernen in die Arbeitszusammenhänge einbindet.
Professor Oliver Bendel forscht und lehrt an der Fachhochschule Nordwestschweiz unter anderem mit den Schwerpunkten E-Learning und Wissensmanagement. «Informelles Lernen hat in den letzten Jahren als integrativer Teil von Arbeitsprozessen an Bedeutung gewonnen», erklärt Bendel. Neben grundlegendem, fachlichem Wissen wird praktisches, lebensnahes und erfahrungsbezogenes Wissen für die persönliche Positionierung immer wichtiger.
Informelles E-Learning hat sich an den Hochschulen etabliert
Informelles Lernen sei heute auch eng mit E-Learning und dem Web 2.0 verbunden, so Bendel. Der Lernende greife via Computer und Internet auf ihm frei zugängliche Informations- und Lernangebote zu, die ihm bei der Lösung eines aktuellen Problems helfen oder die er zur Befriedigung eines akuten Informationsbedarfs benötigt. Dabei sind verschiedene Zugänge zu den unterschiedlichen Informations- und Wissensquellen möglich. Neben der Suche über eine Suchmaschine im freien Web oder in einer Zeitschriftendatenbank zählen etwa auch das Posten einer Frage in einem Anwenderforum, das gezielte Kontaktieren eines Experten in einer Online-Community oder das Bearbeiten einer bestimmten Lektion eines Web-based Training zur Wissensauffrischung beziehungsweise die Verwendung einer Hilfefunktion einer Software zum informellen E-Learning.
Informelles E-Learning deckt das gesamte Spektrum informellen Lernens ab und hat sich inzwischen an Hochschulen und in grösseren Unternehmen etabliert. Vielen Dozenten und Studenten reiche es mittlerweile aus, wenn sie auf einer Plattform PDFs hoch- oder runterladen können, so Bendel. Ein PDF von einem Artikel oder einem Buch beispielsweise habe gegenüber einem Web-based Training sogar einige Vorteile. «Man muss selbst Ordnung und Zusammenhänge schaffen. In diesem Sinne ist das Lernen mit dem guten alten Buch im Trend, ganz egal ob dieses auf Papier gedruckt ist oder auf den Computer oder mobil auf das Handy geladen wird.»
Die Art und Weise, wie Wissen präsentiert wird – ob mit neuen Medien oder auf herkömmliche Weise –, ist laut Schumacher nicht wirklich ausschlaggebend für den Lernerfolg. Entscheidend ist der Inhalt der Aufträge, die die Lernenden kognitiv aktivieren und zur Konstruktion von Begriffswissen anregen sollen. So verschieden die Menschen sind, so bevorzugen sie auch unterschiedliche Lerntechniken. Während der eine durch mehr Aktivität und Austausch mit anderen lernt, lernen andere Menschen bevorzugt in aller Stille und für sich allein. Der eine nimmt Informationen eher visuell und durch praktische Anwendung auf, der andere eher theoretisch und durch Mitschreiben. Die Trainerin und Autorin Sabine Grotehusmann legt zur Bestimmung des individuellen Lernstils die folgenden Kriterien zugrunde: Welche Interaktionsform gibt dem Lernenden Energie? Wie nimmt er Informationen auf? Wie fällt er Entscheidungen? Und wie organisiert er das Lernen?
Durch die Literatur geistern unzählige Einteilungen von «Lerntypen». Sehr populär ist die Lerntypentheorie nach Frederic Vester. Er unterschied bereits 1975 folgende Lerntypen: auditiv, haptisch, visuell und intellektuell. Maike Looss, Professorin für Fachdidaktik an der Universität Braunschweig, hat diese Theorie umfassend analysiert und kommt zu dem Schluss: «Vesters Lerntypentheorie ist wissenschaftlich unhaltbar und unlogisch.» Wahrnehmung werde bei ihm mit der kognitiven Lernleistung gleichgesetzt und als Alternative zu kognitiv dominierten Lernformen vorgestellt. Somit werde ein recht simpler Automatismus vom Anschauen oder Anfassen zum Verstehen postuliert, sagt Looss. «Sehen, Hören oder Fühlen sind blosse Voraussetzungen des Lernens. Unabdingbar notwendig für das Verständnis eines Inhaltes aber ist die kognitive Verarbeitung. Abstraktionen und Zusammenhänge kann man weder sehen noch anfassen. Es gibt keine Alternative zu kognitiv dominierten Lernformen.»
Um ihren Lernprozess zu optimieren, sind viele weiterbildungswillige Menschen dennoch auf der Suche nach ihrer indivi duellen Lerntypenbestimmung. In Lernseminaren erhoffen sie sich Aufschluss darüber, wie sie richtig lernen können. Schumacher bezweifelt, dass dies etwas bringt. «Lernseminare, in denen abstrakt Lernstrategien vermittelt werden, machen gar keinen Sinn, das haben zahlreiche Untersuchungen bestätigt», erklärt Looss. Denn Strategien, die nur abstrakt vermittelt werden, werden nicht in entsprechende Routinen umgesetzt und automatisiert. «Hingegen hat es sich als lernwirksames Vorgehen bewährt, solche Strategien in einem bestimmten Inhaltsgebiet einzuüben, indem über einen längeren Zeitraum immer wieder entsprechende Aufträge bearbeitet werden.»
Intelligentes Wissen entsteht durch Irrtum und Korrektur
Der Knackpunkt sei, so Schumacher, dass Lernformen zwar lernbar, aber nicht direkt lehrbar seien. «Es gibt keine Zauberformel, kein Patentrezept mit abstrakten Regeln, die ab morgen anwendbar sind. Stattdessen müssen die Lernenden durch die Bearbeitung vieler inhaltlicher Beispiele schrittweise die Kompetenz erwerben, bestimmte Strategien sicher anzuwenden.» Er arbeitet in Projekten gemeinsam mit Zürcher Schulen beispielsweise mit so genannten metakognitiven Fragen, bei denen die Schülerinnen und Schüler unter anderem sehr genau aufschreiben müssen, was sie noch nicht verstanden haben. Auf diese Weise sollen sie langfristig die Fähigkeit erwerben, ihre eigenen Lernerfolge selbständig zu kontrollieren. Auch die Technik der Selbsterklärung führe zu guten Lernerfolgen. Hierbei wird das Gelernte stets in eigenen Worten nochmals zusammengefasst und einem so quasi selbst erklärt. «Die psychologische Lehr- und Lernforschung hat eine Reihe von Lernformen entwickelt, mit denen sich der Aufbau intelligenten Wissens im Unterricht effizient und nachhaltig fördern lässt», so Schumacher.
Ein wichtiger Ansatz bestehe darin, die Lernenden mit Aufträgen zur Erklärung von Konzepten und Zusammenhängen dazu zu bringen, den Lernstoff gezielt zu durchdenken. Im formalen Bildungsbereich wird Wissen immer noch oft in kleineren, unzusammenhängenden Häppchen vermittelt. Fertige Formeln und Lehrsätze bestimmen den Unterricht. Doch intelligentes Wissen entsteht auch durch Irrtum, Korrektur und Versuch. Zudem müsse verstärkt und kontinuierlich auf dem Vorwissen aufgebaut werden, so Schumacher. Manches Wissen ist anschlussfähig, anderes eben nicht.
Problematische Einordnung
Auf europäischer Ebene werden aufgrund der Vergleichbarkeit von Weiterbildungsstatistiken drei Lernformen unterschieden: Das formale Lernen findet innerhalb des Bildungssystems statt und umfasst das Lernen in Schule, Berufsausbildung und Tertiärbildung. Das non-formale Lernen beinhaltet alle Unterrichtsformen ausserhalb des formalen Bildungssystems, die nicht auf einen offiziellen Bildungsabschluss abzielen. Hierzu gehören Weiterbildungskurse, Seminare, Fernstudien und Konferenzen. Zum informellen Lernen gehören sämtliche Aktivitäten, die zwar einem bestimmten Lernziel dienen, aber nicht in einer Lernbeziehung stattfinden, wie selbstorganisiertes Lernen übers Internet oder mit frei gewählten Lehrmitteln, das Lernen durch Beobachtung oder on the Job. Laut dem Schweizer Verband für Erwachsenenbildung (SVEB) sind diese Begriffe für die Schweizer Realität jedoch problematisch, da sie mit der bisherigen Praxis nicht übereinstimmen. Nach der oben genannten Einordnung fällt fast der gesamte Weiterbildungsbereich in den non-formalen oder informellen Bereich, während früher ein Teil der Weiterbildung zum formalen System zählte. Die Ange bote der höheren Berufsbildung wie Vorberei tungskurse für Berufs- und Höhere Fachprüfungen werden der non-formalen Weiterbildung zugeordnet, während die Prüfungen selbst ins formale nationale System gehören.