Aus internationalem Projektaustausch wächst ein vielfältiges Talent-Netzwerk
Rajender Reddy kam im Mai letzten Jahres als VP Life & Health zur Swiss Re nach Zürich. Zuvor war der Inder in Mumbai für den Rückversicherer tätig. Über interkulturelle Herausforderungen äussert sich der 36-Jährige genau wie sein Westschweizer Kollege Jean-Michel Chatagny, Managing Director für die asiatischen Kundenmärkte: mit purer Selbstverständlichkeit.
Herkunft spielt für sie keine Rolle: Jean-Michel Chatagny und Rajender Reddy. (Foto: Connie Voigt)
Herr Chatagny, wie viele Asiaten sind bei Ihnen am Hauptsitz der Swiss Re tätig?
Jean-Michel Chatagny: Das kann ich Ihnen nicht genau sagen. Wir führen über die Nationalitäten unserer Mitarbeitenden nicht Buch, weil die Herkunft bei uns völlig belanglos ist für die Zusammenarbeit. Ich schätze, dass um die 25 Kolleginnen und Kollegen asiatischer Herkunft langfristig hier arbeiten.
Erleben Sie nicht hin und wieder Missverständnisse aufgrund unterschiedlicher Denkweisen?
Chatagny: Die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Denkweisen ist automatischer Bestandteil unserer regelmässig stattfindenden Leadershipkurse, die in der Schweiz, in den USA und in Hongkong auf verschiedenen Managementebenen stattfinden. In diesen fünf- bis zehntägigen Kursen besprechen wir nicht nur reale Fälle, wir simulieren und analysieren auch Situationen gemeinsam. Zudem trainieren wir Verhandlungsmethoden, die sehr aufschlussreich sind für interkulturelles Verständnis. Interkulturelles Training an sich brauchen wir also deshalb nicht, weil wir es thematisch bereits in das Managementtraining einbetten. So eignet sich beispielsweise die Storytelling-Methode nicht nur zum Wissensaustausch, sondern sie hat ausserdem den Nebeneffekt, dass die Sichtweise des jeweiligen Erzählenden durch den Erzählstil, die Schwerpunktsetzung der Geschichten und auch durch individuellen Humor deutlich wird.
Herr Reddy, was hat Sie zum Hauptsitz des Unternehmens geführt?
Rajender Reddy: Wer Karriere machen will bei der Swiss Re, muss in diversen Ländern für den Rückversicherer tätig gewesen sein. Der Hintergrund dieser Strategie ist die Bereitschaft, den konstanten Change aufrechtzuerhalten und vor allem auch ein internationales internes Management-Netzwerk aufzubauen. Für mich persönlich ist dieses Netzwerk eine Investition in die Vertrauensbildung von zukünftigen Generationen von Managern in Indien, wo wir einen wachsenden Bedarf an intern vernetzten Managern haben werden. Mein Vertrag hier in Zürich ist unbefristet. Wir entscheiden flexibel, wohin es danach geht.
Was motiviert denn indische Manager am meisten bei ihrem Job?
Reddy: In Indien, aber auch in Asien insgesamt, geht es den Menschen in erster Linie um den Lerneffekt in jeder Position. Wenn ein indischer Mitarbeitender nach sechs Monaten meint, in einer bestimmten Anstellung alles gelernt zu haben, will diese Person sich sofort weiter entwickeln und wird daher den Job wechseln. Europäern hingegen geht es mehr um eine sichere langfristige Anstellung und um eine Work-Life-Balance. Und die Amerikaner wiederum lassen sich primär durch finanzielle Reize antreiben. Wenn Sie also indische Mitarbeitende halten wollen, müssen Sie ihnen in einem in Europa überdurchschnittlich hohen Turnus ständig neue Herausforderungen bieten. Damit können Unternehmen sozusagen ein automatisch beschleunigtes Talent Management praktizieren. Im Fall der Swiss Re geht es darum, in möglichst unterschiedlichen Geschäftsfeldern in möglichst zahlreichen Ländern möglichst viel von dem jeweilig erworbenen Wissen immer wieder anzuwenden.
Chatagny: … und mit genau diesem Vorsprung an komplexem Wissen werden wir hier in Europa, wenn der demografische Wandel ab 2015 ein Loch in die Managementetagen reisst, sehr froh sein, dass indische Manager bereit sind, europäische Unternehmen zu führen.
Was unterscheidet indische von europäischen Managern, abgesehen von dem erwähnten grossen Lernwillen?
Chatagny: What you see is what you get. Indische Kollegen zeichnen sich durch ihre Direktheit aus. Sie stellen direkte Fragen. Intellektuelle Debatten, die sehr leidenschaftlich ablaufen, führen sie vornehmlich auf legalistischem Niveau. Konsens und Kompromisse sind dabei immer das Ziel. Zudem sind sie sehr sensibel, was ihnen ermöglicht, sich schnell an andere Kulturen anzupassen. Inder sind zudem nicht besonders individualistisch veranlagt und sie sind gleichzeitig unternehmerisch handelnd.
Reddy: Wir haben zum Beispiel eine indische Managerin, die nebenbei bemerkt Single ist, in China. Sie leitet seit Anfang 2008 dort eines unserer Geschäfte als COO, nachdem sie ein paar Monate zuvor erfolgreiche Projekte in China abgeschlossen hat. Sie ist extrem anpassungsfähig und flexibel.
Chatagny: Während andere Unternehmen ihre Manager notfallmässig ad hoc ohne grosse Vorbereitung auf Posten in Länder versetzen, in denen sie zuvor nie waren, haben wir einen ständigen internationalen Projekt-austausch, der Manager schematisch berufsbegleitend polyglott trainiert. Daher haben wir auch nicht das Bedürfnis, uns über die Herkunft unserer Mitarbeitenden Gedanken zu machen oder das Thema Interkulturelle Kompetenz in Mitarbeiterumfragen oder in speziellen Trainings aufzubringen.