Arbeit und Recht

Ausländische Einflüsse auf das Schweizer Arbeitsrecht

Immer mehr ausländische Unternehmen und Konzerne siedeln Niederlassungen oder gar ihren Europahauptsitz in der Schweiz an – und bringen ihr eigenes Verständnis von Arbeitsrecht mit. Auch die bilateralen Verträge mit der EU führen zu kaum vorhersehbaren Effekten für Schweizer Arbeitsverträge.

Sich hier ansiedelnde ausländische Unternehmen lassen oft ihr eigenes Personal einfliegen. Diese Expatriates oder Expats besetzen typischerweise Kaderpositionen, sind hervorragend ausgebildet, verdienen gut und bleiben unter sich – oft sprachbedingt, da die Firmensprache häufig Englisch bleibt.

Mit dem Englischen bringen die Unternehmen auch ein eigenes, häufig angelsächsisches Rechtsverständnis mit. Das schweizerische System von zwingendem und dispositivem Arbeitsrecht ist ihnen nicht vertraut: Es gilt automatisch das dispositive Arbeitsrecht, sofern die Parteien nichts Abweichendes vereinbart haben. Deswegen fallen Arbeitsverträge schweizerischer Arbeitgeber oft recht knapp aus. Im angelsächsischen Rechtsraum orientieren sich Vertragsparteien dagegen an der Parol Evidence Rule. Nach dieser Regel gilt ausschliesslich das schriftlich Vereinbarte. Die Parteien glauben, nur dann einen rechtssicheren Vertrag geschlossen zu haben, wenn er möglichst alle denkbaren Szenarien regelt. Verträge fallen entsprechend detailliert und umfangreich aus.

Zudem werden weitschweifige und unspezifische «Boilerplates» (Musterklauseln) verwendet. Bei der Übersetzung ins Deutsche droht die Gefahr der Abweichung der deutschen Umschreibung vom wahren rechtlichen Gehalt englischer Rechtsbegriffe. Vor einem Schweizer Arbeitsgericht nach Schweizer Arbeitsrecht Verträge epischer Länge zu verhandeln, die zudem englische Rechtsbegriffe verwenden und angelsächsischem Rechtsverständnis folgen, ist eine Herausforderung. Drei Beispiele:

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Der Vertrag eines Expats sieht vor, Arbeitnehmenden könnte bei unangemessenem Verhalten («inappropriate behaviour») fristlos gekündigt werden. Als «inappropriate» würde spezifisch falsches («wrongful») oder unehrliches («dishonest») Verhalten erachtet. Als Massstab gelte dabei die vernünftige Einschätzung der Arbeitgeberin («reasonable opinion of the company»). Schlechtestenfalls erweist sich diese vertragliche Regelung vor Gericht als gewollte Einschränkung zulässiger fristloser Kündigungsgründe – denn nach dem schweizerischen Obligationenrecht können Arbeitsverhältnisse generell «aus wichtigen Gründen» fristlos aufgelöst werden (Art. 337 OR). Oder das Gericht wertet den konkreten Einzelfall tatsächlich als unangemessenes Verhalten im Sinne des Arbeitsvertrags, sieht aber trotzdem keinen wichtigen Grund für eine fristlose Entlassung. Die Arbeitgeberin hätte sich in unserem Beispiel also wortreich in eine Rechtslage manövriert, die ihre eigene Rechtsposition in jedem Fall höchstens verschlechtern, keinesfalls aber verbessern kann.
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Die Frage der Zulässigkeit fristloser Kündigungen wird noch komplexer, wenn man kulturelle Aspekte mitberücksichtigt. Nehmen wir den Umgang zwischen den Geschlechtern oder diskriminierendes Verhalten gegenüber Minoritäten. Nach amerikanischem Verständnis beispielsweise gelten hier bekanntlich sehr strenge gesellschaftliche Regeln. Plötzlich wird der Aspekt, wann «ein wichtiger Grund» für eine fristlose Kündigung vorliegt, zu einer kulturellen Frage.
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Vielfältigen Anlass für Missverständnisse bietet auch das teilweise ausgesprochen gegensätzliche Verständnis von Persönlichkeits- und Datenschutz. Manche ausländische Unternehmen halten es für unbedenklich, im Rahmen von Whistleblower-Programmen aufgrund von anonymen Beschwerden interne Geheimuntersuchungen gegen Mitarbeitende zu führen. Diese erfahren erst am Tag ihrer fristlosen Kündigung von den Beschwerden und der Geheimuntersuchung. Eine konkrete Ausformulierung der Vorwürfe oder die Einsicht in das Personaldossier wird verweigert mit dem Hinweis, die anonymen Beschwerdeführer seien dadurch identifizierbar. Diese nach Schweizer Recht inakzeptable Linie wird umso strikter verfolgt, wenn heikle Fälle zur Chefsache erklärt und direkt von der HR-Zentrale im Ausland entschieden werden – natürlich nach ausländischem Rechtsverständnis. Die fristlos Entlassenen müssten also über das Arbeitsgericht versuchen, herauszufinden, was ihnen von wem konkret und im Einzelnen vorgeworfen wird.

Vorsicht vor Doppelbezahlungen

Gleichermassen wie ausländische Unternehmen ihren Weg in die Schweiz finden, führen Schweizer Unternehmen Aufträge im Ausland aus. Erfüllen Schweizer Unternehmen Aufgaben in einem EU-Staat, der das «Urlaubskassensystem» kennt, kann es kompliziert werden. «Urlaubskassen» verstehen sich als eine Art Sozialversicherung und verlangen von Unternehmen, den Ferienlohn ihrer Mitarbeiter bei ihnen zu hinterlegen. Diese «Beiträge», mit denen sinngemäss der Ferienlohn im Konkursfall des Unternehmens sichergestellt werden soll, werden von den Urlaubskassen später direkt an die Arbeitnehmer ausbezahlt, wenn diese ihre Ferien beziehen. Schweizer Unternehmen können folglich im Ausland zur Hinterlegung des Ferienlohns angehalten oder sogar gerichtlich gezwungen werden. Nach Erledigung des Auftrags kehren die Unternehmen mit ihren Mitarbeitern in die Schweiz zurück. Wenn jetzt Arbeitnehmer Ferien beziehen möchten, sollte der Schweizer Arbeitgeber – immer nach dem Verständnis der EU-Urlaubskassen – ihnen den Ferienlohn verweigern und sie stattdessen an die ausländischen Urlaubskassen verweisen. Dort sollen sie ihren Ferienlohn herausverlangen.

Es scheint zumindest fraglich, ob ein Schweizer Arbeitsgericht ein Schweizer Unternehmen schützen würde, das seinen Mitarbeitern die Auszahlung ihres Ferienlohns verweigert mit dem Hinweis, sie sollen ihren Ferienlohn – womöglich noch in einer Fremdsprache – bei einer ausländischen Behörde beantragen. Manches verunsicherte Schweizer Unternehmen zahlt deshalb doppelt, nämlich den Ferienlohn und die Beiträge an die ausländische Urlaubskasse.
 

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Dr. Heinz Heller 
praktiziert als Fachanwalt SAV Arbeitsrecht. Er berät überwiegend Arbeitgeber und Manager.

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