Ressource Wissen

Austausch von Wissen: Grundlagen und Entwicklungsperspektiven

Auf der Basis eines partizipativen Führungsstils sowie von Kollegialität und Solidarität unter den Mitarbeitenden bringt der Wissensaustausch im Unternehmen Gewinn. Den Akteuren die notwendigen Handlungs- und Entscheidungsspielräume zu überlassen – das sei die Kunst des Wissensmanagements, sagt Theo Wehner, ordentlicher Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der ETH Zürich.

HR Today: Kann man Wissen überhaupt managen? Wissen ist ein Abstraktum.

Professor Wehner: Wissen ist grundsätzlich personengebunden und deshalb gilt: Wer vom Wissen spricht, spricht immer auch vom Handeln. Vor diesem Hintergrund ist das persönliche Wissen auch grundsätzlich an die eigene Sinnstruktur des Handelns gebunden und geht damit über die gemeinsame, kollektive Bedeutung von Informationen und Daten weit hinaus. Akzeptiert man diese Umschreibung und die Abgrenzungen, so ist zu fragen, was man am Wissen managen kann. Grundsätzlich gesteuert werden könnten etwa Austauschforen, Vernetzungsmöglichkeiten und Kooperationsanlässe. Dabei muss man nicht unbedingt an neue Gefässe denken. Die bestehende Regelkommunikation könnte jeweils genutzt werden, um sich bei einem Projektreview weiter zu vernetzen, um dort eventuell ein Kooperationsangebot zu machen oder im Anschluss an den offiziellen Teil Raum für Austausch zu ermöglichen.

Überlassen Manager beim Wissensmanagement zu vielen Tools die Arbeit des Wissensaustauschs?

In der Tat war die erste Phase von Wissensmanagement technikgetrieben und hier vor allem gekennzeichnet durch das Anlegen von Datenbanken oder sonstigen softwarelastigen Unterstützungssystemen. Die sogenannten Yellowpages, Kompetenzverzeichnisse usw. wurden meist schon mit wenig Begeisterung angelegt, völlig leidenschaftslos – häufig gar nicht – gepflegt und sind vielerorts zu Informationsgräbern verkommen. Dennoch gilt: Wissensmanagement ist ein interdisziplinäres Thema und es braucht auch die Informationswissenschaften, um beim Austausch, bei der Vernetzung und beim kooperativen Handeln Unterstützung zu leisten, genauso wie es die Arbeits- und Organisationspsychologie braucht, um die jeweiligen Foren zu gestalten und in die bestehenden Organisationsstrukturen zu implementieren.

Wie werden alte Dokumente digital am 
effizientesten zugänglich gemacht?

Wer Wissen effizient teilen will und diesen Teilungs- oder Austauschprozess unterstützen möchte, der muss natürlich Dokumente digital zugänglich machen. Hier kann man aus den paar Jahrhunderten Erfahrung von Bibliotheken lernen: nämlich eine organisationsangemessene Nomenklatur zu entwickeln (Was heisst bei uns Angebot? Was heisst Projektbericht? Oder Reklamation?) und dann eine gute «Verschlagwortung» der jeweiligen organisationsspezifischen Dokumente vorzunehmen. Dies ist eine redaktionelle Aufgabe und kann nicht so ganz nebenbei, wenn womöglich nichts anderes anliegt, erledigt werden. Es braucht geschulte Personen und jemanden, der Ownership für ein solches Dokumentenarchiv übernimmt.

Welche Unternehmenskultur ist ideal, um Wissensaustausch zu fördern?

Die Frage nach der passenden Unternehmenskultur für Wissensmanagement ist zentral und doch könnte man umgekehrt behaupten, dass sich in der Art, wie Vorgesetzte den Wissensteilungsprozess unterstützen und Mitarbeitende die Gelegenheiten zum Wissensaustausch nutzen, sich die jeweilige Unternehmenskultur zeigt. Umgekehrt formuliert lässt sich sagen, dass in einem Unternehmen, in dem Konkurrenz herrscht, die Auswahl von Projektmitarbeitern intransparent verläuft und Partizipation kleingeschrieben wird, dass in einem solchen Unternehmen der Ruf nach Wissensmanagement geradezu zynisch wäre.

Ist Wissensmanagement primär eine Führungsfrage?

Der Führungsaspekt beim Wissensmanagement betrifft die Unterstützung und Organisation von Möglichkeiten zum Austausch, dem kooperativen Handeln und der Vernetzung. Von daher ist ein partizipativer Führungsstil nicht nur hilfreich, sondern Voraussetzung für ein mitarbeiterorientiertes Wissensmanagement. Zusätzlich gilt jedoch auch, dass unter den Mitarbeitenden Kollegialität und Solidarität als Tugenden des Arbeitshandelns angesehen werden müssen und sich damit nicht jeder der Nächste ist.

Was sind wissensorientierte Führungs­methoden?

Wer im Rahmen eines partizipativen Führungsstils wissensorientierte Führungsmethoden einsetzen will, der wird in erster Linie für Begegnung sorgen. Dabei gilt natürlich, dass es sicher in jeder Organisation genügend Begegnungsmöglichkeiten gibt – viele werden sogar als überflüssig und zeitverschwendend angesehen. Die Orte und Anlässe der Begegnung müssen aber nicht nur unter der konkreten Aufgabe, sondern aus einer Metaperspektive – der des Wissensaustauschs – redefiniert werden: Ein Projektreview muss immer auch die «lessons learned» herausarbeiten, sollte immer auch die kritischen Ereignisse im Projektverlauf und die jeweiligen Bewältigungsformen thematisieren und letztlich auf den Erfahrungsgewinn für den Einzelnen und die Organisation aufmerksam machen. Als Methoden können dabei die bereits als klassisch anzusehenden Visualisierungstechniken, die Dialogmethoden und Methoden der systematischen Rekonstruktion von Organisationsabläufen (von der Offerte über den Auftrag bis hin zum Abschluss der Dienstleistung) genutzt werden.

Mit welchen Argumenten schaffen Sie 
Anreiz zum Wissensaustausch?

Der grösste Anreiz, sich am Wissensaustausch zu beteiligen, besteht darin, dass für jeden von uns die Wertschätzung des persönlichen Wissens und der eigenen Erfahrungen mehr als nur selbstwertdienlich ist. Die in Organisationen so oft fehlende soziale Anerkennung wird besonders dann vermisst, wenn die persönlichen Wissensbeiträge nicht wertgeschätzt werden; und zwar von den Kollegen häufig genauso wenig wie von den Vorgesetzten oder gar den Kunden. Ein weiteres Anreizmoment liegt darin, bewusst zu machen, dass das organisational vorhandene Wissen immer nur bruchstückhaft und verstreut anzutreffen ist und keinem in seiner Gesamtheit zur Verfügung steht, sondern immer nur in den bereits genannten Austauschforen gemeinsam zusammengetragen werden kann.

Nichtsdestotrotz besteht heute in vielen Organisationen jedoch wesentlich mehr Anreiz dahingehend, das eigene Wissen zu monopolisieren und es in der eigenen beziehungsweise in einer fremden Organisation zu vermarkten. In Interviews habe ich nicht nur einmal gehört: «Das Wissen ist in meinem Kopf und da gehört es auch hin!»

Kennen Sie Beispiele von konkreten Anreizsystemen?

Ich kenne keine brauchbaren Anreizsysteme und würde mich auch selbst an der Suche nach solchen nicht beteiligen: Den Wissensaustausch zu organisieren, ist eine Führungsaufgabe. Sich an den Austauschprozessen zu beteiligen, gehört in jede Job Description, und zwar ganz nach oben. Dabei muss die Organisation natürlich auch sicherstellen, dass sichtbar gemacht wird, wo das jeweilige Wissen herkommt, und dass das Wissen – sowohl das organisationale, das fertigungs- und logistikbezogene – genauso wie die persönlichen Erfahrungen geschützt werden müssen: Schutz des Wissens ist ein wichtiger Baustein des Wissensmanagements und taucht doch in vielen Sammlungen so genannter Wissensbausteine nicht auf.

Welche organisatorischen Rahmenbedingungen braucht es für ein funktionierendes Wissensmanagement?

Als Peter Senge vom MIT vor vielen Jahren die so genannten MIT Learning Centers zu organisieren versuchte, stellte er sich eine ähnliche Frage, nämlich: «Wie lässt sich eine Gemeinschaft des Lernens eigentlich organisieren?» Als Antwort hatte er – vor dem Hintergrund fünfjähriger Erfahrung – formuliert: «Die Frage hat zu der Erkenntnis geführt, gerade nicht eine Organisation zu schaffen, sondern nur die Bedingungen herbeizuführen, die es einer Gemeinschaft des Lernens und Wissensaustauschs gestattet zu existieren.» Der Austausch muss gewollt sein und die angemessenen Bedingungen müssen situations- und kontextabhängig selbst herbeigeführt werden. Hierfür den Handlungs- und Entscheidungsspielraum den jeweiligen Akteuren zu überlassen, ist die Kunst ernst gemeinten Wissensmanagements.

Was können die HR-Verantwortlichen konkret dazu beitragen, den Wissensaustausch optimal und konstant fliessen zu lassen?

HR-Verantwortliche können dazu beitragen, dass etwa bei Mitarbeiterbefragungen die Zufriedenheit über die Wissensnutzung und -wertschätzung sowie die Möglichkeiten zum Wissensaustausch erhoben werden und aus eventuellen Defiziten Handlungsempfehlungen für eine veränderte Praxis formuliert werden. Sie können auch bereits für Rekrutierungsprozesse Einstellungsfragen zur Bereitschaft des Wissensaustauschs formulieren und so das frühestmögliche Signal an potenzielle Mitarbeitende der Organisation senden. Auch bei der Möglichkeit innerbetrieblicher Hospitationen – eine fantastische Methode, um Erfahrungsaustausch einzuleiten – könnten sich HR-Verantwortliche beteiligen, um die interessanten Hospitationsorte und -partner zu bestimmen oder zu suchen.

Wenn HR-Verantwortliche nicht überbezahlte Archivare von Personaldossiers sind, dann sind die meisten ihrer Aktivitäten darauf ausgerichtet, dass die richtigen Erfahrungsträger an den richtigen Problemorten zum kooperativen Handeln – und damit zum Wissensaustausch – angeregt werden. Ich würde heute so weit gehen, dass Wissensmanagementaktivitäten in den Verantwortungsbereich von HR-Verantwortlichen übergehen sollten. Von hier aus wären Inhalte für eine Wissensstrategie zu erarbeiten, die Methoden zu entwickeln und die Anwendung zu koordinieren.

Braucht es wirklich eine Wissensstrategie?

Bei den Wissensstrategien geht es grundsätzlich darum, zu entscheiden, welches neue Wissen das Unternehmen morgen braucht. Welches aktuelle Wissen tagtäglich für Problemlösungen (vom Kundenkontakt über Reklamationen bis hin zur Neuentwicklung von Produkten und Prozessen) benötigt wird, wo in der Organisation wertloses Wissen liegt. In der Umsetzung von Wissensstrategien wäre das HR-Management insofern gefragt, als dass es jenes wäre, welches die klassischen Bausteine des Wissensmanagements (Wissensidentifikation, Wissensnutzung, Wissenstransfer etc.) um die Aspekte der Sensibilisierung für und Initiierung von Wissensmanagement gestalten könnte. Gerade in diesen beiden ersten Phasen ist es wichtig, nach Motiven und individuellem sowie prosozialem Nutzen für die Mitarbeitenden und für das Unternehmen zu suchen. In dieser Phase ist es ebenfalls wichtig, eine Bewusstmachung von Sozialisationsbarrieren beim Austausch von Wissen und Organisationsgrenzen sowie auf Interessenkonflikte bei der Teilung von Wissen aufmerksam zu machen. In dieser ersten Phase, aber auch in der die Wissensmodelle schliessenden Phase des Wissensschutzes können zusätzlich individuelle Enteignungsängste und Monopolisierungsstrategien bezüglich des persönlichen, aber auch des abteilungsspezifischen und organisationalen Wissens thematisiert und bearbeitet werden.

Im Laufe der letzten 15 Jahre haben wir in sehr vielen Projekten gerade diese Phasen der systematischen Sensibilisierung und gezielten Initiierung von Wissensmanagementprojekten eng mit den HR-Abteilungen durchzuführen versucht: Manchmal ist uns die Einbindung von eher traditionell orientieren HR-Abteilungen nicht gelungen, in der überwiegenden Zahl hat die Einbindung allerdings zu einem neuen Selbstverständnis und Selbstbewusstsein der HR-Verantwortlichen geführt. Sie waren schliesslich jene, die die Erfahrungs- und Wissenszirkel mitgestaltet und teilweise sogar selbst moderiert haben, sie waren es, die entscheiden konnten, ob in den verschiedenen Bereichen Wissenslandkarten entstanden und mit niedrigstem technischem Aufwand gepflegt und kontinuierlich fortgeschrieben wurden.

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Connie Voigt ist 
Executive Coach bei der Firma «Inside Out» sowie Gründerin der Netzwerkorganisation «Interculturalcenter.com GmbH». Zudem ist sie Dozentin für Organizational Behavior an der Edinburgh Business School, FHNW Basel und FU Berlin.

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