Mit dem GAV Personalverleih wurde per 1.1.2012 auch ein völlig neues Weiterbildungsförderprogramm eingeführt. Sein Ziel ist es, die Arbeitsmarktfähigkeit von Temporärarbeitenden nachhaltig zu steigern. Gerade temporär beschäftigte Arbeitnehmende müssen ihre Marktfähigkeit aktiv managen. Denn ihr Arbeitseinsatz ist nicht immer, aber häufig kurz. Wo sich die nächste berufliche Station befindet, ist nicht immer klar beziehungsweise muss proaktiv in die Wege geleitet werden. Die temporäre Arbeitnehmerin gestaltet ihren Lebenslauf mosaikmässig und fügt die einzelnen Bausteine zu einem stimmigen Ganzen zusammen.
In einer zunehmend flexiblen, globalen und volatilen Welt wird es immer mehr Menschen geben, die in kreativer und selbständiger Manier ihren beruflichen Werdegang zusammenbauen. Heute ist es – zumindest in der Schweiz – aber noch eine Minderheit der Arbeitskräfte, die ihr Erwerbsleben auf diese Weise in völlig eigene Hände nimmt.
Um ihnen beziehungsweise jenen unter ihnen, die temporär arbeiten, beim Gestalten ihres Erwerbslebens Unterstützung zu bieten, haben die Sozialpartner des GAV Personalverleih einen Weiterbildungsfonds eingerichtet.
Bei den Bedürfnissen der Temporärarbeitenden angesetzt
Ein solcher, gesamtarbeitsvertraglicher Fonds ist zwar an sich kein Novum, im Falle des Personalverleihs in verschiedener Hinsicht aber doch ein völlig neuartiges Konstrukt: Erstens beschränkt sich die Unterstützung des Weiterbildungsfonds nicht wie üblich auf eine spezifische Branche. Ganz im Gegenteil subventioniert der GAV-Fonds Weiterbildungen in verschiedensten Berufen. Denn Temporärarbeitende kommen aus ganz unterschiedlichen Ecken – sei es dem Bau, der Gastronomie, der Logistik, dem Gesundheitswesen, der Informationstechnologie oder anderem – und suchen für ihre berufliche Zukunft möglicherweise Anschluss in einem nochmals anderen Berufsfeld.
Eine kaufmännische Fachkraft beispielsweise, die aus familiären Gründen von der Romandie in die Deutschschweiz zieht und im Gastgewerbe temporär jobbt, um sich einen Deutschintensivkurs zu finanzieren, will keinen Servicekurs absolvieren. Sie braucht vielmehr einen Beitrag an ihren Deutschkurs, um später auch in der Deutschschweiz in ihrem angestammten Beruf eine Stelle zu finden. Dem trägt der Weiterbildungsfonds des GAV Personalverleih Rechnung.
Zweitens setzt der Weiterbildungsfonds bewusst tiefe Anspruchsvoraussetzungen. Unter keinem anderen Gesamtarbeitsvertrag haben Mitarbeitende bereits nach 22 Arbeitstagen Anspruch auf eine Weiterbildungsleistung. Dies ist auch der Hauptgrund, weshalb Temporärarbeitende bis dato nicht von den existierenden Branchen-Weiterbildungsfonds profitieren konnten, obwohl sie – wenn in den betroffenen Branchen tätig – mit Lohnprozenten an diese Fonds beigetragen haben. Der «klassische» Gesamtarbeitsvertrag verlangt vom Mitarbeiter eine deutlich längere Branchenzugehörigkeit, bis er weiterbildungsberechtigt wird. Dies mag im Falle von Festangestellten zwar Sinn machen. Die Temporärarbeitenden wurden dadurch aber zu reinen Nettozahlern.
Dies ändert sich mit dem GAV Personalverleih! Der kurzen durchschnittlichen Einsatzdauer Rechnung tragend, können Temporärarbeitende beim neuen Weiterbildungsfonds wie erwähnt bereits nach 22 Einsatztagen Gelder beantragen. Diese Einsatztage müssen nicht notwendigerweise an einem Stück geleistet werden, sondern können innert zwölf Monaten akkumuliert werden. Da der Weiterbildungsbeitrag des GAV Personalverleih an die Stelle der bisher geleisteten GAV-Beiträge tritt, resultiert für die Temporärarbeitenden eine eindeutige Verbesserung.
Da jeder Temporärarbeiter nach kurzer Zeit anspruchsberechtigt ist, bedeutet dies aber auch, dass der Fonds auf dem Solidaritätsprinzip beruhen muss. Gesuchstellende Temporärarbeitende müssen eine höhere Weiterbildungsleistung abrufen können, als sie einbezahlt haben, soll die Leistung zweckdienlich sein. Bei einem Monatslohn von zum Beispiel 5000 Franken haben Arbeitnehmer und Arbeitgeber nach 22 Tagen nämlich «nur» 20 Franken (entspricht 0,4 Lohnprozent) in den Weiterbildungsfonds einbezahlt. Mit zwanzig Franken macht man weiterbildungsmässig aber keine grossen Sprünge. Deshalb lebt der Weiterbildungsfonds des GAV Personalverleih davon, dass nicht alle Temporärarbeitenden ein Weiterbildungsgesuch stellen, und die, die es tun, dafür mehr Gelder beziehen können, als sie effektiv einbezahlt haben.
Das Rad nicht neu erfinden
Gerade weil Kurse aus verschiedensten Berufen und Branchen angeboten werden, schafft der Weiterbildungsfonds des GAV Personalverleih im Unterschied zu anderen Branchenfonds keine eigenen Kurse. Stattdessen stellt er einen Katalog mit Kursen bestehender Weiterbildungsanbieter zusammen, die er unterstützt. Dabei spielen einerseits die Bedürfnisse der Temporärarbeitenden eine Rolle. Grafik 1 und 2 verdeutlichen, in wie vielen verschiedenen Branchen und Funktionen Temporärarbeitende tätig sind. Entsprechend enthält der Weiterbildungs-Katalog eine Vielfalt von Schulungen – vom Asbestsanierungskurs über Hygieneschulungen für die Lebensmittelindustrie oder die Gastronomie bis hin zu Sprach- und Computerkursen.
Andererseits hat der Weiterbildungsfonds Qualitätskriterien definiert, die von den Bildungsanbietern erfüllt sein müssen, um im Katalog Eingang zu finden. Der Fonds stellt dabei auf das Schweizerische Qualitätszertifikat für Weiterbildungsinstitutionen Eduqua ab. Alternativ erachtet er auch ein vom betroffenen Branchenverband verliehenes Gütesiegel als Qualitätsgarant. Bei Tätigkeiten mit erhöhtem Gefährdungspotenzial stützt sich der Fonds schliesslich auf die Kurs-Anerkennung durch den Unfallversicherer Suva.
Der Weiterbildungsfonds startet mit einer Kursauswahl, die dann aufgrund der Anfragen stetig im Sinne der Gesuchstellenden erweitert werden soll. Mittelfristig wird der Weiterbildungsfonds des GAV Personalverleih mit den bei Temporärarbeitenden besonders beliebten Bildungsinstitutionen die Zusammenarbeit suchen.
Auch der Arbeitgeber – sprich: der Personaldienstleister – leistet einen Lohnbeitrag an den Weiterbildungsfonds des GAV Personalverleih. Und auch er profitiert davon. Er kann seine Kandidaten einsatzspezifisch weiterbilden lassen. Damit steigert er die Vermittlungschancen, weil er dem Einsatzbetrieb einen auf dessen Bedürfnisse optimal zugeschnittenen Mehrwert liefern kann.
Win-Win-Situation für Einsatzbetriebe und Personaldienstleister
Die Vermittlungsquote vergrössert der Personaldienstleister ausserdem dadurch, dass er mit den neuen Weiterbildungsmöglichkeiten auch nicht optimal qualifizierte Kandidaten zum geforderten Anforderungsniveau hinführen kann. Schliesslich gewinnt die Temporärarbeit generell an Attraktivität, wenn Weiterbildung ein gängiger Bestandteil der Vermittlung wird. Der Weiterbildungsfonds des GAV Personalverleih fungiert sozusagen als Employer Brand für die Personaldienstleister. Für den einzelnen Verleiher ist dabei interessant, dass er nicht für eine einzelne Mitarbeiterin Bildungsinvestitionen tätigt, die dadurch verpuffen könnten, dass die Mitarbeiterin den Arbeitgeber wechselt und ihr erworbenes Knowhow bei der Konkurrenz einsetzt. Da der Weiterbildungsbeitrag über die gesamte Branche erhoben wird, spielt auch hier das Solidaritätsprinzip. Jeder Arbeitgeber investiert aus der gesamtarbeitsvertraglichen Pflicht in die Weiterbildung, und dadurch erhöht sich das Qualifikationsniveau der Temporärarbeitenden gesamthaft.
Gerade in einem zunehmend volatilen und globalisierten Wirtschaftsumfeld bei – zumindest in Europa – wachsendem Fachkräftemangel dürften sich viele Unternehmen mit dem Gedanken auseinandersetzen, die Belegschaft weiter zu flexibilisieren und rare Fachkräfte projektmässig statt fest anzustellen. Die neuen Weiterbildungsmöglichkeiten für Temporärarbeitende eröffnen für die Einsatzbetriebe somit die Möglichkeit, aus einem Pool aus zunehmend besser qualifizierten Temporärarbeitenden zu schöpfen. Der durchschnittliche Temporärarbeitende hat sein Qualifikationsprofil über die letzten Jahre gesteigert, wie Analysen von swissstaffing zeigen.
Im Vergleich zur gesamten Erwerbsbevölkerung sind Temporärarbeitende aber nach wie vor schlechter qualifiziert. Der Weiterbildungsfonds des GAV Personalverleih könnte den festgestellten Trend in Richtung höherer Profile unterstützen und beschleunigen. Er dient damit auch den Einsatzbetrieben.
Wie es konkret funktioniert
Der Weiterbildungsfonds wird von der paritätischen Kommission des GAV Personalverleih verwaltet. Die operative Umsetzung hat diese swissstaffing übertragen. Weiterbildungsinteressierte Temporärarbeitende können somit bei swissstaffing ein Gesuch stellen und dabei aus dem Kurskatalog auswählen. Dem Gesuch haben sie die Lohnabrechnung(en) beizulegen, die belegen, dass sie mindestens 22 Einsatztage absolviert und in dieser Zeit den GAV-Beitrag entrichtet haben. Die genehmigten Weiterbildungsleistungen werden dem Gesuchsteller ausbezahlt, sobald er swissstaffing die Kursteilnahmebestätigung eingereicht hat.
Da der Fonds zunächst geäufnet beziehungsweise der GAV-Beitrag erhoben werden muss, bevor Leistungen ausbezahlt werden können, haben die Sozialpartner des GAV Personalverleih eine Übergangsfrist definiert. Die ersten Weiterbildungsgesuche können somit ab 1. Juli 2012 gestellt werden – für Kurse, die ab diesem Datum stattfinden. Im ersten Halbjahr 2012 erwerben die Temporärarbeitenden bereits ihren gesamtarbeitsvertraglichen Weiterbildungsanspruch, der zwölf Monate gültig ist und den sie ab 1. Juli 2012 einfordern können.