Bauchgefühl: ja, aber nicht nur
In Krisenzeiten sollten Führungskräfte weder allein auf ihren Verstand noch auf ihr Bauchgefühl hören. Das gilt letztlich für alle strategischen Entscheidungen, denn: Sie beruhen stets auf vielen Annahmen.
Aufs Bauchgefühl zu hören ist zuweilen wichtig – vertrauen Sie aber nicht blind darauf. (Bild: iStock)
Im Alltag geraten wir oft in Situationen, in denen wir uns instinktiv entscheiden müssen – zum Beispiel beim Autofahren, wenn vor uns ein anderes Fahrzeug fährt. Dann sagt uns zuweilen unser «Bauchgefühl» bzw. «sechster Sinn»: Vorsicht, der könnte, ohne zu blinken, abbiegen. Und was wir ahnen, geschieht meist auch.
Ähnlich verhält es sich im Business-Alltag. Auch hier müssen Führungskräfte oft Entscheidungen treffen, bei denen sie sich nicht allein auf harte Fakten stützen können. Dies gilt nicht nur in Krisenzeiten wie der Aktuellen, in denen niemand weiss, was das Morgen bringt. Das gilt für alle strategischen Entscheidungen, denn sie nehmen die Zukunft gedanklich vorweg und beruhen auf entsprechend vielen Annahmen. Zum Beispiel darüber, wie sich der Markt nach der Covid-19-Krise entwickelt oder was in fünf Jahren technisch möglich ist.
Zuweilen ist es ein Rätsel, warum wir Personen und Situationen intuitiv richtig einschätzen. Denn eigentlich sind wir überzeugt, dass wir weitgehend rational entscheiden. Doch wissenschaftliche Untersuchungen belegen: Selbst unsere scheinbar rationalsten Entscheidungen werden von Emotionen mitbestimmt – nur ist uns dies meist nicht bewusst.
Intuition: eine Stimme aus unserem Unterbewussten
Auf uns prasselt nicht nur in Krisensituationen eine Flut von Informationen ein. Nur einen Bruchteil von ihnen nimmt unser Gehirn bewusst wahr. Der Rest wird an unser Unterbewusstsein weitergeleitet, dort bearbeitet und archiviert. Wenn wir eine Situation intuitiv erfassen, dringt sozusagen ein Fetzen des Unterbewusstseins in unser Bewusstsein. Jedoch nicht einfach so. Unser Unterbewusstsein nimmt vielmehr einen Abgleich der aktuellen Situation mit den in ihm gespeicherten Erfahrungen vor und signalisiert uns, wenn es Parallelen findet, zum Beispiel: Vorsicht, hier kann Gefahr entstehen. Oder: Achtung, vermutlich ist folgendes Verhalten angesagt.
Unsere Intuition: eine wichtige Orientierungshilfe
Hilfreich ist unser Unterbewusstsein im Alltag, in dem wir oft, ohne lange nachzudenken, auf Ereignisse reagieren. Doch auch bei vielen anderen Aufgaben ist unsere Intuition eine wichtige Orientierungshilfe. Einige seien genannt.
- Zwischen mehreren scheinbar gleich «guten» Alternativen wählen. Vor dieser Herausforderung stehen Führungskräfte zum Beispiel beim Besetzen vakanter Stellen. Dann haben sie nicht selten mehrere gleich gute Bewerber zur Auswahl. Trotzdem müssen sie sich entscheiden. Meist tun sie dies aufgrund ihres Bauchgefühls.
- Entscheide treffen trotz «schlechter», ungenügender Information. Auch vor dieser Herausforderung stehen Führungskräfte oft. Und in Krisenzeiten wie der aktuellen, wo kein Tag dem anderen gleicht, ist dies sozusagen «normal».
- Den passenden Zeitpunkt wählen. Vor dieser Herausforderung stehen Führungskräfte oft bei Investitionsentscheidungen. Dann ist meist das Timing erfolgsbringend.
- Für ein Problem eine ganz neue Lösung finden. Gerade in Krisenzeiten kommen Unternehmen mit ihrer gewohnten Art, Dinge anzugehen, nicht sonderlich weit. Sie brauchen eine «zündende Idee», wie das Problem eventuell ganz anders gelöst werden könnte.
Intuition ist auch das Ergebnis von Erfahrung
Viele Menschen sind überzeugt: Den «sechsten Sinn» hat man oder nicht. Wissenschaftliche Studien zeigen aber:
- Jeder Mensch verfügt über die Fähigkeit, Menschen, Situationen und Konstellationen intuitiv richtig einzuschätzen. Sie ist nur verschieden stark ausgeprägt. Und:
- Diese Fähigkeit lässt sich trainieren.
Denn inwieweit wir Personen sowie Situationen und Konstellationen richtig wahrnehmen und einschätzen können, hängt auch von unserem Vorwissen und unserer Erfahrung ab.
So nimmt zum Beispiel ein routinierter Autofahrer brenzlige Verkehrssituationen meist eher wahr als eine Person, die gerade den Führerschein erwarb. Ähnlich verhält es im Arbeitsbereich. Eine erfahrene Unternehmerin spürt oft intuitiv, was eine gewinnversprechende Geschäftsidee ist und was nicht. Und Techniker, die seit Jahren bestimmte Maschinen warten, müssen zuweilen eine Maschine nur anschauen und schon wissen sie, warum diese nicht funktioniert.
Die Intuition im Alltag trainieren
Allgemein müssen wir zuerst akzeptieren, dass Emotionen und unser Unterbewusstsein viel stärker unser Verhalten bestimmen als wir gemeinhin vermuten. Zudem müssen wir grundsätzlich bereit sein, auch auf unser Bauchgefühl zu hören. Ist dies der Fall, können Sie zahllose Übungen zum Trainieren Ihrer unbewussten Wahrnehmung kreieren. Hier einige Beispiele als Hilfestellung:
- Angenommen Sie warten mit vielen Menschen auf einen Fahrstuhl. Dann können Sie sich, bevor sich die Tür öffnet, fragen: Welche Personen werden wohl als erste den Fahrstuhl betreten?
- Oder Sie sind in einem Meeting. Dann können Sie sich fragen: Wann ergreift mein Kollege Müller das Wort und was sagt er?
Wenn Sie sich solche Aufgaben regelmässig stellen, merken Sie nach einiger Zeit: Ihre Prognosen sind häufiger richtig. Denn hierdurch lernen Sie, Personen und Situationen intuitiv richtig wahrzunehmen und einzuschätzen.
Besonders gut können wir unsere Intuition in der Freizeit trainieren. Denn: Wer gestresst ist, arbeitet Aufgaben nur mechanisch ab. Er ist nicht offen für Neues. Anders ist es, wenn wir relaxt sind und uns pudelwohl fühlen. Dann nehmen wir unsere Umwelt und Empfindungen sensibler wahr. Versetzen Sie sich deshalb, wenn Sie das Unterbewusstsein als Ideenquelle anzapfen möchten, zunächst in die richtige Stimmung – zum Beispiel mit Entspannungsübungen oder Musik, gehen Sie Spazieren oder nehmen Sie ein Bad.
Hilfreich ist es oft auch, ein Problem mit anderen Augen als gewohnt zu sehen. Stellen Sie sich zum Beispiel vor, Ihr Problem sei eine Landschaft. Wie würde diese aussehen? Dunkel und bedrohlich oder hell und sonnig? Eher wie ein Park oder ein Urwald? Oder stellen Sie sich vor, die Herausforderung sei ein Theaterstück. Wäre es dann ein Drama oder eine Komödie? Wer würde darin die Hauptrolle spielen, wer wäre ein Statist? Wenn Sie das tun, gewinnen Sie einen neuen Blick auf Ihr Problem und in Ihnen steigen neue Gedanken und Ideen empor.
Den Empfindungen nicht blind vertrauen
Klar, nicht jeder Gedanke ist eine «zündende Idee». Und nicht alles, was uns unser Empfinden sagt, sollten wir umsetzen. Viele Menschen tappen regelmässig in Fettnäpfchen, weil sie blind ihrem Bauchgefühl folgen, statt ihre Eingebungen zunächst zu prüfen. Dies sollten Sie speziell dann tun, wenn bestimmte Situationen oder Konstellationen aufgrund Ihrer Vorerfahrungen sozusagen automatisch positive oder negative Emotionen in ihnen wecken. Das ist in der aktuellen Corona-Krise gewiss der Fall.
Dann sollten Sie sich fragen, warum Sie diese bestimmte Situation positiv oder eben negativ stimmt. Denn nicht jede Emotion ist eine zielführende Intuition. Wer sich rein auf sein Bauchgefühl verlässt, steht gerade in Krisen- und Umbruchzeiten oft alleine da. Hören Sie deshalb zwar auf Ihre innere Stimme und schulen Sie diese. Vertrauen Sie Ihren Emotionen und Geistesblitzen aber nicht blind. Denn gerade bei wichtigen Weichenstellungen in unserem beruflichen und privaten Leben sind oft auch unser analytischer Verstand sowie unsere fachliche Expertise oder die von Experten gefragt.