Bei Spannungen in Familienunternehmen steht mehr auf dem Spiel als der Job
Der Vater ist auch der Chef, der Sohn der potenzielle Unternehmensnachfolger: Familienmitglieder, die in einer Firma arbeiten, stehen in verschiedenen Beziehungen zueinander. Spannungen werden so wesentlich komplexer, weil sie nicht selten auf verschiedenen Ebenen ausgetragen werden. Das kann zu Lasten des Betriebes gehen.
Die wirtschaftliche Bedeutung von Familienunternehmen ist enorm: In der Schweiz befanden sich 2005 nahezu neun von zehn Unternehmen in Familienbesitz, wie die Studie «Nachfolger gesucht» von PWC in Kooperation mit der Universität St. Gallen herausfand. Etwa 30 Prozent von diesen erleben in den nächsten fünf Jahren einen Eigentümerwechsel, doch ganze 56 Prozent haben keinen Nachfolgeplan, so eine weitere PWC-Studie von 2008. Diese ergab zugleich, dass die Unternehmensstrategie die häufigste Konfliktursache ist. Und dazu zählt auch die Unternehmensnachfolge – über die in vielen Familienunternehmen gestritten wird.
Doch warum sind Konflikte in Familienunternehmen, besonders solche, die sich um die Nachfolge drehen, so heikel? «In solchen Unternehmen treffen zwei unterschiedliche soziale Systeme aufeinander: die Familie und das Unternehmen. Beide funktionieren aber teilweise nach gegensätzlichen Spielregeln. In Familien stehen die Personen, ihre Beziehungen, Emotionen, Bedürfnisse und langfristige Entwicklungsprozesse im Vordergrund. In Unternehmen hingegen sind Aspekte wie die formale Funktionserfüllung, personenunabhängige Arbeitsabläufe sowie die Wirtschaftlichkeit entscheidend», erklärt Ladina Schmidt, dipl. Psychologin und Dozentin an der Hochschule für angewandte Psychologie.
Konflikte gehen an die Substanz
Franziska Müller Tiberini, eine auf Familienunternehmen spezialisierte Beraterin, sieht die Besonderheit darin, dass man im Familienbetrieb auf drei Ebenen miteinander verbunden ist: «Das heisst, im Konfliktfall streitet man nicht nur um seinen Arbeitsplatz, sondern auch noch um seine familiäre Stellung und schlimmstenfalls zusätzlich ums Geld.»
Solche Familienkonflikte können auch die Existenz des Unternehmens bedrohen, beispielsweise wenn bei einer Scheidung ein Ehepartner den anderen auszahlen muss. Aber auch Nachfolgestreitigkeiten können an die Substanz gehen. Denn Streit kostet Zeit und Energie, Ressourcen, die den Konfliktparteien an anderer Stelle fehlen – besonders in kleinen und mittleren Unternehmen, wo die Beteiligten in Nachfolgestreits immer auch die Führungspersonen und damit die treibenden Kräfte sind.
Angst vor dem Machtverlust
Viele Konflikte entstehen, weil sich die ältere Generation – bewusst oder unbewusst – von der jüngeren bedroht fühlt: «Man findet in den Unternehmen immer noch den allgegenwärtigen Patron, der seine Macht nicht abgeben kann oder will und Veränderungen nicht zulässt. In einem Unternehmen, das ich beraten habe, hatte der Vater dem Sohn die Verantwortung für den asiatischen Markt übertragen, konnte es aber nicht lassen, immer wieder mit Kunden oder Lieferanten zu telefonieren und sich einzumischen. Solch ein Verhalten ist natürlich Gift», weiss Müller Tiberini. «Dabei wäre es eine banale Sache, klar festzulegen, wer wofür zuständig ist.» Doch mit jedem Stück Verantwortung, das der nächsten Generation übergeben wird, rückt der letzte Lebensabschnitt näher: «Da kommen viele an ihre persönlichen Grenzen. Manche zögern die Nachfolgeentscheidungen selbst dann noch hinaus, wenn sie schon einen Herzinfarkt oder Schlaganfall erlitten haben», bedauert Müller Tiberini.
Dennoch, in Unternehmerfamilien steht der Wunsch und die Hoffnung, dass die nächste Generation das Geschäft weiterführt, implizit oder explizit im Raum. «Das bringt die Kinder in eine so genannte Doppelbindungssituation: Unterwerfen sie sich, übernehmen sie die schwache Position und verlieren Respekt. Entwickeln sie Unternehmerpersönlichkeit, sind Konflikte im bestehenden Machtgefüge vorprogrammiert», so Schmidt. Zudem besteht auch bei der familieninternen Rekrutierung die Gefahr einer Fehlbesetzung: «Man muss mindestens genauso gut abklären, ob man zusammenpasst, wie bei einer externen Bewerbung», findet Müller Tiberini.
Grundsätzlich entstehen Konflikte in Familienunternehmen ebenso wie in managementgeführten Unternehmen durch mangelnde Kommunikation. Doch kommt bei Ersteren die Rollenvielfalt der Beteiligten hinzu: «Der Vater ist zugleich Vorgesetzter, die Mutter möglicherweise die Buchhalterin, Sohn oder Tochter vielleicht Abteilungsleiter. Jeder hat mehrere Rollen und in jeder Rolle verschiedene Erwartungen und Ziele. Dadurch wird es ungleich schwieriger, Probleme anzusprechen», weiss Frank Halter, Geschäftsleitungsmitglied des Center for Family Business der Universität St. Gallen. Hinzu komme, dass Emotionen in Familienunternehmen stärker wahrgenommen würden. «Es ist schwieriger, dem eigenen Sohn zu sagen, dass er sein Ziel nicht erreicht hat und ihm deshalb der Lohn gekürzt wird.»
Konflikte in Familienunternehmen sind oft derart emotionalisiert, dass die Familien sie nicht allein lösen können. Dennoch ist die Beratungsresistenz extrem hoch, so die Experten. «Bei vielen herrscht die Meinung ‹Wenn bekannt wird, dass wir Hilfe von einem Mediator oder Coach hatten, ist das der Beweis, dass es uns nicht gut geht›», erklärt Halter. «Viele Konflikte werden deshalb einfach verdrängt oder beschönigt, mit dem Ziel, nach aussen Einigkeit auszustrahlen. In anderen Unternehmen kann man sich schlimmstenfalls einfach trennen, in Familien geht das nicht einfach so.» Auch Müller Tiberini findet, dass Familienunternehmen oft zu spät Hilfe suchen: «Viele kommen erst, wenn etwas passiert ist, das sie nicht mehr aushalten können. Das liegt vor allem daran, dass die Leute Angst haben, ihre Familie zu verlieren, wenn sie den Konflikt angehen. Und dazu sind die meisten einfach zu harmoniesüchtig.» Dabei, so die Expertin, könne man vielen Konflikten schon frühzeitig den Wind aus den Segeln nehmen. «Es braucht einfach klare Strukturen und feste Termine für den Austausch zwischen den Familienmitgliedern. Sie müssen sich zusammensetzen und herausfinden, was ihre Bedürfnisse sind und wo sie gemeinsame Ziele haben, und dann ein Familien- oder ein Firmenleitbild entwerfen. Das gemeinsam mit den Familien zu tun, ist für mich eine der schönsten Aufgaben.»